Viele Fragen

Der Untersuchungsausschuss zum Neukölln-Komplex hat seine Arbeit aufgenommen. Erste Befragungen von Betroffenen ab September

Von Marie Frank

Der Untersuchungsausschuss zum Neukölln-Komplex hat sich in seiner konstituierenden Sitzung am Donnerstag auf Verfahrensregeln geeinigt und zahlreiche Akten zur rechtsextremen Terrorserie angefordert. Diese sollen von den 13 Ausschussmitgliedern über die parlamentarische Sommerpause im „Selbstleseverfahren zur Kenntnis genommen“ werden. Der Ausschussvorsitzende Florian Dörstelmann (SPD) sprach im Anschluss an die knapp einstündige Sitzung von einer „ausgesprochen guten und sachlichen Atmosphäre“.

Vor dem Abgeordnetenhaus demonstrierten zeitgleich rund 40 Menschen für eine Aufklärung der Anschlagserie und forderten Konsequenzen für rechtsextreme Netzwerke und ihre Unterstützer*innen. Der Anfang Mai gewählte Untersuchungsausschuss soll das Behördenversagen in der „rechtsextremistischen Straftatenserie im Zeitraum von 2009 bis 2021 in Neukölln“ beleuchten.

„Die Erwartungen sind hoch“, sagte Niklas Schrader – von der Links-Partei. Er kündigte an, die Sicherheitsbehörden nicht zu schonen und Fehler und Missstände konsequent aufzudecken. Zur Kritik, dass mit Ferat Kocak (Linke) ein Betroffener im Ausschuss sitzt sagte Schrader: „Ich sehe überhaupt kein Problem darin, dass er stellvertretendes Mitglied ist. Bei Themen, die ihn betreffen, wird er sich zurückhalten.“ Kocaks Auto war Anfang 2018 mutmaßlich von Neonazis angezündet worden. Die Sicherheitsbehörden wussten vor dem Anschlag, dass er im Visier von Neonazis stand, warnten ihn aber nicht. Kocak selbst hatte im Vorfeld angekündigt, sich aus dem Ausschuss zurückzuziehen, wenn auch die AfD dies tut.

Der Start des Untersuchungsausschusses, den Betroffene bereits seit vielen Jahren fordern, hatte sich verzögert, weil der Kandidat der AfD erst im 3. Anlauf eine Mehrheit erhielt. Der Vertreter der rechten Partei, die im Zuge des Neukölln-Komplexes immer wieder auftaucht, will den Ausschuss nach eigenen Angaben dazu nutzen, um zu zeigen, „dass die AfD mit diesen Sachen nichts zu tun hat“. „Der Ausschuss ist nicht dazu da, die AfD reinzuwaschen“, widersprach der FDP-Abgeordnete Stefan Flörster. „Die AfD ist im Bereich der Täter und nicht der Opfer anzusiedeln“, stellte er klar.

Im Juli geht es weiter. Nach taz-Informationen sollen Anfang September die ersten Betroffenen befragt werden. 60 Fragen wollen die Abgeordneten abarbeiten, um Ungereimtheiten im Ermittlungsvorgehen der Behörden auf den Grund zu gehen. Ziel sei, noch in dieser Legislaturperiode Handlungsempfehlungen für die Sicherheitsbehörden zu geben, damit der Ermittlungsdruck bei rechten Anschlägen stärker wird, so der Grünen-Abgeordnete André Schulze.

Die rechtsextreme Terrorserie, zu der die Polizei seit 2016 mehr als 70 Taten gegen An­ti­fa­schis­t*in­nen zählt – etwa Brandanschläge, Sachbeschädigungen und Drohungen – ist bis heute nicht aufgeklärt. Ein Gerichtsverfahren gegen die zwei hauptverdächtigen Neonazis Sebastian T. und Tilo P. startet im August. Auswirkungen auf die Arbeit des Untersuchungsausschusses seien eher unwahrscheinlich.