Experte über Nato-Verhandlungen: „Türkei in der schwächeren Positon“
Um mit Moskau auf Augenhöhe zu verhandeln, brauche die Türkei die Rückendeckung der Nato, sagt Günter Seufert von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
taz: Die Türkei hat Forderungen etwa nach der Lieferung US-amerikanischer Kampfjets und einem härteren Vorgehen gegen die Kurdenorganisation PKK an die Nato-Partner gestellt. Wie könnten diese darauf eingehen?
Günter Seufert: Offiziell haben die USA erklärt, dass sie nicht der Ansprechpartner der Türkei sind, sondern Schweden und Finnland. Aber selbst türkische Kommentatoren sagen, dass es der Türkei primär darum geht, mit den USA zu verhandeln, etwa um die sogenannten CAATSA-Sanktionen (Sanktionen gegen die „Gegner“ der Vereinigten Staaten; Anm. d. Red.) aufzuheben. Die hatte noch Donald Trump erlassen als Reaktion auf die Aktivierung des russischen Raketenabwehrsystems S-400.
61, ist Journalist und Soziologe. Er forscht für die Stiftung Wissenschaft und Politik. Seufert verfasste mehrere Bücher und zahlreiche Aufsätze zur politischen Lage in der Türkei.
Der Lieferung von F-16-Kampfjets stimmt heute zwar die US-Regierung zu, aber der Kongress muss noch überzeugt werden. Wenn man sieht, wie der griechische Ministerpräsident Mitsotakis letzte Woche dort nach seiner Rede – in der er zwischen den Zeilen gefordert hatte, die Jets nicht an die Türkei zu liefern – gefeiert wurde, zeigt das: Es gibt diesbezüglich noch viel zu tun. Doch für die USA wäre der Verkauf finanziell und rüstungspolitisch interessant. Dass sie der Türkei nun doch die neueren F-35-Jets liefern, so wie von ihr gewünscht, ist kaum mehr möglich.
Welche Trümpfe hält die Türkei gegenüber den USA in der Hand?
Am Dienstag hat der Chef der rechtsextremen MHP, inoffizieller Koalitionspartner des türkischen Präsidenten Erdoğan, gedroht, man könne auch aus der Nato austreten – eine rein rhetorische Drohung. Es ist eher so, dass die Türkei glaubt, mit dem Beitrittswunsch von Schweden und Finnland zur Nato endlich einen Hebel in der Hand zu haben. Die USA konnten in den letzten Jahren nach Belieben und Bedarf den Druck auf die Türkei erhöhen oder mildern. Etwa mit dem Ausschluss der Türkei aus dem F-35-Programm oder dem Prozess gegen die türkische staatliche Halkbank. Erdoğan muss sich sehr darum bemühen, von Biden empfangen zu werden. All das sind Mosaiksteine, die zeigen, dass die Türkei in der schwächeren Position ist.
Wie sieht das für die europäischen Nato-Staaten aus? Am Dienstag meldete die dpa, dass die Zahlen der Geflüchteten an der türkisch-griechischen Grenze zunehmen.
Im Jahr 2019 hat die Türkei schon einmal versucht, auf diese Weise Druck auf die EU auszuüben – als Erdoğan die Grenzen öffnete und türkische Sicherheitskräfte versuchten, Migranten über die Landgrenze nach Griechenland zu bringen. Das ist natürlich ein Instrument. Aber das hat mit dem aktuellen Streit nur indirekt zu tun: Die Türkei könnte versuchen, die europäischen Nato-Partner unter Druck zu setzen, und dann hoffen, dass diese ihrerseits Druck auf Schweden, Finnland und die USA ausüben.
Könnte die Türkei etwa die Sanktionen gegen Russland als Druckmittel nutzen?
Die Türkei hat den Bosporus für Kriegsschiffe – übrigens aller Nationen – bereits gesperrt. Sie könnte zwar noch größere Schlupflöcher zur Umgehung von Sanktionen für Russland öffnen, aber die Türkei hat auch ein starkes Interesse daran, mit der Nato zu kooperieren. Denn am Schwarzen Meer sieht sie sich mit russischer Überlegenheit konfrontiert. Die Annexion der Krim und die Geländegewinne Russlands im Süden der Ukraine machen aus dem Schwarzen Meer zunehmend einen russischen See. In den letzten Jahren hat sich die russische Flotte hochgerüstet, sie ist heute der türkischen überlegen. Russland sitzt auch in Syrien am östlichen Mittelmeer. Die Türkei wird von Russland eingekreist. Sie braucht die Mitgliedschaft in der Nato, um mit Moskau einigermaßen auf Augenhöhe umgehen zu können.
Welche Zugeständnisse könnte die EU der Türkei machen?
In den europäischen Ländern hat es unterschiedliche Stadien gegeben, in denen mehr oder weniger strikt gegen kurdische Organisationen, denen man eine Nähe zur PKK unterstellt hat, vorgegangen wurde. Überall in Europa ist die PKK als Terrororganisation gelistet, immer wieder gibt es Prozesse gegen mutmaßliche PKK-Unterstützer. Aber wie viel politischer Druck dahinter ist, ist von politischen Konjunkturen abhängig. Finnland hat bereits angekündigt, künftig strikter darauf zu achten, wenn PKK-Symbole durch die Straßen getragen werden. Doch zu viel mehr wird man sich schlecht durchringen können – kein Nato-Mitglied wird die kurdisch-syrische YPG offiziell als Terrororganisation anerkennen, solange die USA mit dieser Organisation kooperieren.
Braucht die Nato die Türkei überhaupt?
Die Nato-Staaten sind in einer schwierigen Phase: Die geschlossene Front gegen Russland ist brüchig. Große Teile der Welt beteiligen sich nicht an den Sanktionen gegen Russland. Auch die Türkei hat sich bisher nicht an Sanktionen beteiligt und Russland ihren Luftraum nur für Militärflugzeuge gesperrt. Doch hat die Türkei die Entscheidungen der Nato, Truppen an die Ostgrenze zu verlegen, auch nicht blockiert – diese Strategie könnte sie künftig aber ändern. Deshalb muss sich die Nato fragen, wie sie die Türkei an Bord hält.
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