Friedensverhandlungen in Pakistan: Waffen­stillstand mit vielen Fragen

In Pakistan gibt es wieder Gespräche mit den lokalen Taliban. Doch die Regierung hat kaum Einfluss darauf – im Unterschied zum Militär.

Innenminister am Sarg eines getöteten Polizisten.

Islamabad: Zeremonie für einen Polizisten, der nach Ende des letzten Waffenstillstands getötet wurde Foto: Sohail Shazad/Epa

ISLAMABAD taz | Der Hashtag #NoMoreTaliban trendet auf Twitter in Pakistan, nachdem eine weitere Verhandlungsrunde mit der größten Terrororganisation des Landes, der Tehreek-i-Taliban Pakistan (TTP), am 2. Juni in Kabul abgeschlossen wurde. Die Gespräche mit den pakistanischen Taliban hatten im September 2021 in der afghanischen Hauptstadt begonnen, stockten jedoch nach ersten Erfolgen. So ließen die Taliban einen ersten Waffenstillstand im Dezember auslaufen.

Vom 26. bis 30. Mai gab es drei weitere Gesprächsrunden in Kabul unter Leitung von Siradschuddin Hakkani. Der Innenminister der afghanischen Taliban-Regierung ist zugleich Chef des Hakkani-Netzwerkes und wird auf internationalen Terrorlisten geführt.

Er vermittelte jetzt zwischen der TTP und einer 50-köpfigen pakistanischen Delegation. Die setzt sich aus Politikern und Parlamentariern verschiedener Ebenen zusammen und wurde von Pakistans Militärführung an der Regierung vorbei zusammengestellt.

Zwischen den Verhandlungen im Herbst und jetzt hat Pakistans Regierung gewechselt, doch hat die bei den Verhandlungen ohnehin nichts zu sagen. Entscheidend ist das mächtige Militär, das in Pakistan ein Staat im Staate ist.

Ex-Geheimdienstchef als Strippenzieher

Als Kopf hinter der pakistanischen Strategie und informeller Verhandlungsführer gilt Generalleutnant Faiz Hameed. Der frühere Chef des mächtigen Militärgeheimdienstes ISI führt jetzt die Armee in der nordwestlichen Unruheregion. Er soll gute Beziehungen zu den jeweiligen Taliban auf beiden Seiten der Grenze haben.

Bereits letztes Jahr wurden über hundert gefangene TTP-Kämpfer freigelassen, jetzt kamen weitere hinzu, darunter verurteilte TTP-Kommandeure. Der Waffenstillstand wurde jetzt bis zur nächsten Gesprächsrunde vereinbart, die für Mitte Juni geplant ist. Die Details sind geheim.

Einer vertrauenswürdigen Quelle zufolge wird von der TTP das Abgeben der Waffen gefordert, die Anerkennung der Verfassung und dass nicht mit terroristischen Organisationen kooperiert wird.

Die Taliban fordern ihrerseits die Wiederherstellung der Autonomie der Stammesgebiete (Fata) entlang der afghanischen Grenze. Dort ist die TTP-Hochburg. Sie fordern dort auch die Einführung des Islamischen Rechts (Scharia), den Abzug des Militärs aus der Region und eine Amnestie für TTP-Mitglieder.

Ohne Verhandlungen kein Frieden

„Der 20-jährige Krieg mit der TTP kann nur am Verhandlungstisch beendet werden. Selbst die USA mussten mit den afghanischen Taliban verhandeln, um die US-Truppen abziehen zu können,“ sagt Habib Ullah Orakzai von der pakistanischen Verhandlungsdelegation der taz. Er sei optimistisch, dass ein dauerhafter Waffenstillstand bald Stabilität bringe.

Manzoor Pashteen, Chef der gewaltfreien paschtunischen Tahaffuz-Bewegung, ist skeptischer: „Ein Friedensabkommen in der früheren autonomen Stammesregion ist eine Hauptforderung von uns. Doch sehe ich nicht, dass der Waffenstillstand mit der TTP hält.“

Er fürchtet, dass die Taliban wie schon früher ein Abkommen zur Konsolidierung nutzen, um dann wieder zuzuschlagen.

Der Parlamentsabgeordnete Mohsin Dawar aus dem Stammesgebiet Nordwasiristan kritisiert das Militär: „Die Sicherheitsbehörden müssen zugeben, dass entweder ihre frühere Politik in der Stammesregion falsch war oder die jetzige falsch ist. Alle Militäroperationen sind doch gescheitert und Berichte über die Ausrottung des Terrorismus dort gelogen.“

Analyst: Auch China drängt zu Verhandlungen

Terrorismus sei ein Geschäft und das Militär würde nicht ernsthaft versuchen, einen dauerhaften Frieden in der Stammesregion zu schaffen, meint Dawar.

Der Journalist und Sicherheitsanalyst Gohar Mehsud aus der früheren Fata-Region sagt zur taz: „Da die Separatisten in der Provinz Belutschistan an Stärke gewinnen und der sogenannte Islamische Staat in der Provinz Khorasan (ISKP) in den Stammesgebieten aktiv geworden ist, will die Regierung unbedingt Frieden mit der TTP schließen, um sich auf die Bekämpfung anderer bewaffneter Gruppen konzentrieren zu können.“

Auch dränge China auf Frieden mit der TTP, um den chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor CPEC zu schützen, so Mehsud. Doch jüngere TTP-Mitglieder lehnten einen Waffenstillstand und die Abgabe der Waffen ab.

Zivilgesellschaftliche Gruppen kritisieren, dass über Details der Verhandlungen nicht informiert werde und auch das Parlament sie nicht berate. Die neue Informationsministerin Marriyum Aurangzeb erklärte daraufhin der Presse, die Friedensgespräche würden mit Zustimmung der pakistanischen Regierung geführt.

„Was auch immer in den Verhandlungen beschlossen wird, wird vom Parlament und der Koalitionsregierung ratifiziert werden“, versprach sie.

Immer wieder Waffenstillstände seit 2004

Es ist bei Weitem nicht der erste Waffenstillstand mit der TTP. Seit 2004 gab es 16 Friedensverhandlungen und 5 schriftliche Abkommen mit der TTP, keines führte zu einem dauerhaften Frieden in den Stammesgebieten. Vielmehr ist die TTP stärker geworden.

Heute zählt das Bündnis verschiedener Taliban-Gruppen geschätzte 10.000 bis 15.000 Kämpfer. Sie sollen inzwischen über moderne Waffen verfügen, welche die Amerikaner bei ihrem überstürzten Rückzug aus Afghanistan zurücklassen mussten. Diese wurden zunächst von den afghanischen Taliban übernommen und dann weitergereicht.

Die afghanischen sind organisatorisch von den pakistanischen Taliban getrennt, aber teilen die gleiche Ideologie und kooperieren miteinander.

Selbst während der jetzigen Friedensgespräche und bei der von der TTP angekündigten Waffenruhe kam es zu Anschlägen auf Sicherheitskräfte in Wasiristan.

Diese Anschläge wurden mutmaßlich von anderen Terrorgruppen verübt, die offiziell nicht zur TTP gehören und separat operieren. Sie bedrohen weiter die Sicherheit in der Region. Doch vielleicht wird der Waffenstillstand noch auf sie ausgedehnt.

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