Peter Weissenburger Unisex
: Gender vs. Gender, oder: Warum ist alles so kompliziert?

Foto: Fo­to: Diviam Hoffmann

Unser biologisches Geschlecht ist wichtig für einige medizinische Belange, darunter Fortpflanzung, und sonst für nicht viel. Biologisches Geschlecht („sex“) hat seine Bedeutung de facto verloren. Sein angeblich massiver Einfluss auf Fähigkeiten und Neigungen, an den wir früher glaubten, ist widerlegt. Seltenst checken wir im Alltag jemandes biologisches Geschlecht. Wir ziehen höchstens Rückschlüsse darauf. Was uns eigentlich umtreibt, vom Ankleiden am Morgen bis zu den politischen Debatten am Abend, ist das soziale Geschlecht: gender.

Deswegen trifft es die Sache nicht ganz, wenn über die anstehende Reform des Transsexuellengesetzes jetzt häufig gesagt wird, da würde sex gegen gender verhandelt.

Niemand interessiert das sex. Das biologische Geschlecht ist ein putziges Steckenpferd passionierter Hor­mon­zäh­le­r*in­nen und Genitalbetrachter*innen. Was gerade politisch und rechtlich gegeneinander verhandelt wird, sind zwei Seiten von gender: Das Innen und das Außen. Innen heißt: die eigene Gewissheit, welchem Geschlecht ich angehöre; und Außen: die Erfahrungen, Diskriminierungen und Privilegien, die mir im Patriarchat zukommen, weil man mir ein Geschlecht zuschreibt.

Die Regierung will demnächst ein Selbstbestimmungsgesetz entwerfen. Das soll entwürdigende und unverhältnismäßige Hürden bei der Änderung des Geschlechtseintrags abbauen. Das amtliche Geschlecht wäre dann nicht mehr fremd- sondern selbstdefiniert. Der Staat würde das Innen, die individuelle Gewissheit, ernst nehmen. Für transgender Bür­ge­r*in­nen hieße das: Anerkennung und ein Leben in Würde – was ihnen übrigens zusteht.

Nun sagen einige: „Hallo, pardon, es gibt aber noch das Außen. Denn welche genderbasierten Erfahrungen eine Person im Laufe ihres Lebens macht und welchen patriarchalen Diskriminierungen sie ausgesetzt ist, entscheidet nach wie vor niemand selber. Schön wärs ja.“

Die Fünftage­vorschau

Mo., 30. 5. Gilda Sahebi Krank und Schein

Di., 31. 5. Lou ZuckerHot und hysterisch

Mi., 1. 6. Sophia ZessnikGreat Depression

Do., 2. 6. Hengameh Yaghoobifarah Habibitus

Fr., 3. 6. Volkan AğarPostprolet

kolumne @taz.de

Sie sagen: „Deshalb haben wir Gleichstellungspolitik, Antidiskriminierung und (cis-)Frauenförderprogramme. Und die funktionieren nun mal oft nach der Formel sex = gender = Innen = Außen und dass man Menschen eben objektiv diesen Gruppen zuteilen kann. Das zu entkoppeln macht doch alles, nun ja, zu kompliziert! Oder?!“

Das ist ein „Wo-kommen-wir-da-hin?“-Reflex, aber es stimmt: Wenn Geschlecht an einem Punkt im Recht diverser wird, entstehen anderswo Lücken, Bedarfe. Wie sind trans und cis Frauen gleichermaßen und doch differenziert zu schützen? Wo sind trans und cis Männer analog in die Pflicht zu nehmen, wo nicht? Welche „objektiven“ Kriterien sind denkbar außer Genitalbeschau? Diese und andere Fragen werden uns Jahre oder Jahrzehnte beschäftigen. Das ist nicht die Schuld von trans Menschen. Das war unausweichlich und überfällig. Nicht trans Menschen haben Geschlecht kaputtgemacht. Es war von Anfang an verkorkst.