Das kommt am 1. Mai in Berlin: Solide Basisarbeit im Kiez

In der Walpurgisnacht zieht die Kiezdemo „Hände weg vom Wedding!“ los. Man will die Reichen enteignen, erlaubt sich aber ansonsten keine Träumereien.

Klare Botschaft auf der „Hände-weg“-Demo 2019 im Wedding Foto: dpa

BERLIN taz | Jedes Jahr gibt es zur stets neu angesetzten Revolution am 1. Mai einen Probelauf am 30. April. Nun, genau genommen sind es zwei: Während sich in Kreuzberg die feministische „take back the night“-Demo kämpferisch gegen das Patriachat zur Wehr setzt, findet in Wedding alljährlich eine antikapitalistische Demonstration statt. Das diesjährige Motto ist dasselbe wie im letzten Jahr: „Von der Krise zur Enteignung! Die Reichen müssen zahlen!“. Beginn ist um 15 Uhr am Elise-und-Otto-Hampel-Platz.

Die organisierende Initiative „Hände weg vom Wedding“ zielt ins Herz der kapitalistischen Ungleichheit – wobei ihre Forderungen, etwa nach Enteignung, recht pragmatisch sind. Und auch sonst fehlt die für den 1. Mai typische Revolutionsträumerei: Lediglich eine Reichensteuer, ein vergesellschaftetes Gesundheitssystem und Strafen für Bosse, die Union Busting betreiben, sollen her. Enteignet werden sollen Lebensmittel-, Strom-, Wasser-, Immobilien- und Rüstungskonzerne, also Wirtschaftsbereiche, für die die kapitalistische Verwertung ohnehin nicht angemessen erscheint.

Samstag, 30. April

Von der Krise zur Enteignung

Kiezdemo „Hände weg vom Wedding“. U-Bahnhof Leopoldplatz, 15 Uhr

Take back the Night

FLINTA* (Frauen, Lesben, Inter, Nonbinary, Trans, Agender-Personen) – exklusive Demo. Mauerpark, Eingang Bernauer Straße, 20 Uhr

Sonntag, 1. Mai

DGB-Gewerkschaftsdemo

Nach zwei Jahren Pandemiepause findet erstmals wieder die traditionelle Gewerkschaftsdemo statt. Es wird auch einen radikalen klassenkämpferischen Block geben. Alexanderplatz 10.45 Uhr, Kundgebung Platz des 18. März 12 Uhr

Umverteilung oder Barbarei

Das „Quartiersmanagement Grunewald“ ruft zum Protest im Villenviertel auf. Drei Fahrradkorsos und eine Kundgebung. Treffpunkte der Fahrradkorsos zwischen 10 und 11 Uhr: Gesundbrunnen, Laskerstraße nahe Ostkreuz, Hohenstaufenplatz Neukölln. Kundgebung am Johannaplatz in Grunewald, 12 bis 16 Uhr. Die Fahhradkorsos enden gegen 17.30 Uhr in Neukölln

Revolutionäre 1.-Mai-Demo

Dieses Jahr unter dem Motto „Yallah Klassenkampf – No war but class war“. Kundgebung Hertzbergplatz ab 16.30 Uhr. Start der Demo 18 Uhr. Endpunkt Oranienplatz. (taz)

In diesem Jahr ist natürlich auch der Ukrainekrieg Thema, wobei die Initiative auf der orthodoxen Linie der Ostermärsche verharrt: Keine Aufrüstung und schwere Waffenlieferungen, nur der Weg der Diplomatie könne eine Lösung sein. Auf taz-Nachfrage sagt Sprecher Marc Brunner, er könne schon nachvollziehen, dass einige Ukrai­ne­r:in­nen zur Verteidigung Waffen wollen. „Das würde aber eine Eskalationsspirale bedeuten, die schnell zu einem Atomkrieg führen könnte.“

Seit 2012 findet die Demonstration im Wedding statt. Seither hat sich der Protest quasi vollständig verfriedlicht – und ist zudem wieder politischer geworden. Vorbei sind also die Zeiten, in denen es „erst ein Punkkonzert und dann Krawalle“ gab, wie sich Brunner erinnert. Inzwischen fremdeln die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen sogar mit dem Begriff der Walpurgisnacht. „Wir haben uns organisatorisch und inhaltlich vom früheren eventorientierten Demotyp entfernt“, sagt Brunner.

Foto: grafik: infotext-berlin.de

Schon 2010 und 2011 habe die Gruppe die traditionellen Walpurgisnachtproteste um den Boxhagener Platz in Friedrichshain herum durch eine Demonstration in Prenzlauer Berg ergänzt, welche den Kampf gegen die Gentrifizierung in den Mittelpunkt stellte. Als sich dann die Sternburg-Brigaden, die die Friedrichshainer Demos bisher organisierten, 2012 auflösten, bot sich die Verlagerung in den Wedding an. „Im Prenzlauer Berg war der Kampf ja auch verloren“, sagt Brunner.

In Wedding habe das erst einmal „große Wellen geschlagen“, erinnert er sich. „Ladenbesitzer:innen haben aus Angst vor Krawallen ihre Fenster zugenagelt.“ Mit den Jahren aber habe sich Vertrauen aufgebaut. Es zahle sich aus, dass die Gruppe im Bezirk aktiv sei, Nach­ba­r:in­nen bei Problemen unterstütze, alle Kämpfe solidarisch begleite. Für den erfolgreichen Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnkonzerne im vergangenen Jahr war die Initiative aktiv; auch den Streik der Berliner Krankenhausbewegung hat sie eng begleitet und etwa Kundgebungen vor Weddinger Krankenhäusern organisiert.

Die Initiative unterstützt die linke Kiezzeitung Plumpe und co-betreibt das Kiezhaus „Agnes Reinhold“ in der Afrikanischen Straß sowie ein internationalistisches Büro in der Genter Straße. Darüber hinaus organisiert sie offene Treffen, den Solidaritätstreff Soziale Arbeit zum Beispiel. „Dort tauschen sich So­zi­al­ar­bei­te­r:in­nen über ihre schlechten Arbeitsbedingungen aus und unterstützen sich gegenseitig bei der Gründung von Betriebsräten oder Betriebsgruppen“, erzählt Brunner.

Er ist sich sicher: „Das, was Veränderung bringt, ist die Selbstorganisation der Menschen, die vom Kapitalismus betroffen sind.“

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