Sprechen über die Nazi-Vergangenheit: Die dritte Generation

Wie hängt das Erstarken der rechten Szene mit der NS-Vergangenheit und deren Aufarbeitung zusammen? Dieser Frage geht die „Vierte Welt“ in Berlin nach.

Aus der Performance „Böse Déjà-vus“ von Elisa Müller Foto: Michaela Muchina

„Sind Sie Deutsche?“, fragt die Person mit gruseligem Clownsgesicht auf der Bühne. Zaghaftes Nicken im Publikum. Bei der prompt und freudig ausgerufenen Antwort „Das finde ich guuuut“ macht sich instinktiv Unbehagen breit. Das will die Performance „Böse Déjà-vus“ in der Regie von Elisa Müller an diesem Abend in Berlin auch erreichen. Mit wenig Sätzen und viel Metaphorik zeigt die Vorstellung: Über die Nazi-Vergangenheit, über Tä­te­r*in­nen­schaft im privaten Umfeld zu sprechen ist schwer. Also wird von Generation zu Generation lieber geschwiegen. Oder eine geschönte Geschichte erzählt. Was macht das mit uns?

In den künstlerischen Produktionsräumen der „Vierten Welt“, die sich direkt am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg befinden, werden seit dem 28. April bis zum 15. Mai rechte Kontinuitäten in Deutschland thematisiert. Bei der an drei Wochenenden stattfindenden Veranstaltungsreihe „Trauma – rechte Zukunft. Deutsche Geschichte(n)“ werden die häufigen Täter*innen-Opfer-Verdrehungen deutlich gemacht. Das „3G“ in der Veranstaltungsbeschreibung weist dabei nicht auf Pandemieregeln hin, sondern meint die Positionen der dritten Generation nach dem Zweiten Weltkrieg und der Shoah.

In Gesprächsrunden und Workshops sind Be­su­che­r*in­nen aufgefordert, sich mit der eigenen Nazi-Vergangenheit auseinanderzusetzen. Am ersten Veranstaltungswochenende sprachen vor allem Menschen, die von Rassismus und Diskriminierung betroffen sind. Das zweite Wochenende legte den Fokus auf die Täter*innen. Etwa gab der Historiker Johannes Spohr in einem Workshop Einblicke, wie man die eigene familiäre Geschichte im Nationalsozialismus recherchieren kann.

Dass es da viel Scham und ein internalisiertes Sprechtabu gibt, zeigte unter anderem eine Gesprächsrunde in der „Vierten Welt“ am vergangen Freitag, dem 6. Mai. Trotz des Veranstaltungstitels „Menschen mit Nazi-Hintergrund“ erzählten die eingeladenen Gäste nicht viel Persönliches. Dafür zeigten die Sozialpsychologin Alina Brehm, der Historiker Dominik Rigoll, die Journalistin Sonja Smolenski und der Architekt Philipp Rüge auf, in wie vielen Bereichen es faschistische Kontinuitäten in Deutschland gegeben hat und gibt. Da werden Spendengelder von einem Antisemiten akzeptiert, wie es der Fall von Ehrhardt Bödecker und dem Humboldt Forum zeigte. Dort finanzieren sich Unternehmen mit Geldern aus der Shoah. Mit Letzterem beschäftigt sich Sonja Smolenski in ihrem Recherchenetzwerk „Boykott deutsche Leidkultur“, sie erreicht mit ihren Posts auf Instagram auch ein jüngeres Publikum.

Der Begriff „Menschen mit Nazihintergrund“ polarisierte 2021, nachdem ihn die Künst­le­r*in­nen Moshtari Hilal und Sinthujan Varatharajah in einer Diskussion verwendeten. Die sprachliche Umkehr von „Menschen mit Migrationshintergrund“ wird auch in der „Vierten Welt“ diskutiert. Ist der Begriff zu verallgemeinernd, genau richtig verallgemeinernd oder doch zu „ichbezogen“, weil sich Nachkommen von Tä­te­r*in­nen so mit dem eigenen „Nazi-Opa“ wieder in den Fokus rücken können?

Trotz Erinnerungskultur wird über rechte Kontinuitäten zu wenig gesprochen

Einig waren sich alle Gesprächsteilnehmer*innen, dass über die rechten Kontinuitäten in Deutschland trotz Erinnerungskultur viel zu wenig gesprochen wird. „Deutschland hat es geschafft zu suggerieren, dass man eine Wahl hat, ob man sich erinnern möchte. Als Nachkomme von Überlebenden stellt sich diese Frage aber nicht“, sagt auch die Sozialpsychologin Alina Brehm.

Für die Theaterwissenschaftlerin Elisa Müller, die gemeinsam mit Annett Hardegen die Veranstaltungsreihe konzipierte, wurde das Thema Erinnerungskultur noch dringlicher mit dem Einzug der AfD in die Parlamente. „Die Legitimation, mit der die AfD in Gremien und in Parlamenten sitzt und dass es da so wenig Widerstand gibt, das hat mich geschockt und mir Angst gemacht.“ Müller habe sich dann gefragt, was die vielfältigen psychologischen Abwehrprozesse, die es nach 1945 gab, mit den Menschen gemacht haben: „Wenn alle schweigen, täuschen und in Schuld verstrickt sind: Was ist das für eine Gesellschaft? Was bringt die für Kinder hervor?“

Wie so häufig bleibt bei den Veranstaltungen das Gefühl, dass die angesprochenen Recherchen zu rechten Kontinuitäten zu groß und vielschichtig sind, um sie an einem Abend in einem künstlerischen oder in einem Gesprächsformat fassen zu können.

Aber Denkanstöße kann man immerhin geben, und das tun die Köpfe hinter der „Vierten Welt“. Mit einer sprachlich lockeren und gestalterisch einladenden Herangehensweise wird mitten im Kreuzberger Trubel ein Raum geschaffen, wo es nicht nur die Ankündigung gibt, über etwas zu sprechen, sondern das auch tatsächlich passiert.

Trauma – rechte Zukunft | deutsche Geschichte(n), wieder am 12.-15. Mai, in der „Vierten Welt“, Adalbertstraße 96, 10999 Berlin, mehr Infos unter: https://viertewelt.de

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