Linkspartei will Spitze neu wählen: Hoffnung auf Neuanfang

Die Linke hat beschlossen, im Juni ihre komplette Führungsspitze neu zu wählen. Beim Parteitag soll es auch um Sexismus in den eigenen Reihen gehen.

Linken-Chefin Janine Wissler am Samstag an einem Pult bei einer Pressekonferenz ihrer Partei

Will „die Vielstimmigkeit in Kernfragen überwinden“: Linken-Vorsitzende Janine Wissler Foto: Christophe Gateau/dpa

BERLIN taz | Mit vorgezogenen Vorstandsneuwahlen versucht die Linkspartei, einen Ausweg aus ihrer tiefen Krise zu finden. Nach dem Rücktritt der Co-Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow soll nun Ende Juni auf dem Parteitag in Erfurt die komplette Führungsspitze neu gewählt werden. „Angesichts der schwierigen Lage der Partei sind wir überzeugt, dass der Parteivorstand ein neues Mandat des Parteitages benötigt“, beschloss der Linken-Bundesvorstand am Sonntag.

Die Linkspartei müsse „wieder mehr Menschen überzeugen“, dass sie gebraucht werde, sagte die verbliebene Vorsitzende Janine Wissler nach der Sitzung im Karl-Liebknecht-Haus. Es gehe um nichts weniger als die Existenz der Partei. Sie wolle dazu beitragen, die Linkspartei „als moderne Gerechtigkeitspartei neu aufzustellen“, sagte Wissler der taz. „Wir müssen unser Profil schärfen, mit Pluralität solidarisch umgehen und die Vielstimmigkeit in Kernfragen überwinden.“

Dazu solle der Parteitag im Juni einen entscheidenden Beitrag leisten, so Wissler. Neben den Vorstandsneuwahlen müssten dort der Umbau der Parteistruktur in Angriff genommen und inhaltliche Fragen geklärt werden. So würden den Delegierten Leitanträge zur Außen- und Friedenspolitik angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine sowie zum sozial-ökologischen Umbau vorgelegt. Zugleich solle es eine gesonderte Debatte zum Thema Sexismus geben.

Aufgrund einer #MeToo-Affäre in ihrem hessischen Landesverband, in den Wissler über ihren Ex-Partner auch persönlich involviert ist, sieht diese sich derzeit scharfen Angriffen ausgesetzt. Ob sie im Juni erneut für den Vorsitz kandidieren wird, ist derzeit noch offen. Wissler scheint jedoch dazu bereit zu sein.

Feministinnen stützen Wissler

Kurz vor der Bundesvorstandssitzung hatten bekannte Feministinnen in der Linkspartei der 40-jährigen Bundestagsabgeordneten den Rücken gestärkt. „Die teils selbst sexistische und entwürdigende Berichterstattung sowie die Attacken auf unsere Parteivorsitzende Janine Wissler weisen wir zurück“, heißt es in ihrem am Samstag veröffentlichten Aufruf. Es sei „eine völlige Verdrehung des Problems, nun eine Frau stellvertretend für mutmaßliche Täter an den Pranger zu stellen“.

Zu den 23 Unterzeichnerinnen gehören mehrere Bundestagsabgeordnete, darunter Cornelia Möring und Kathrin Vogler, die Parteivorstandsmitglieder Bettina Gutperl und Daphne Weber, die Landessprecherinnen von Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sowie die Vorsitzenden der Bürgerschaftsfraktionen in Bremen und Hamburg.

„Viele von uns haben eigene Erfahrungen mit sexueller Belästigung, verbalen oder körperlichen Übergriffen in dieser Partei und außerhalb gemacht“, schreiben die 23 Autorinnen. Nicht nur in der Linkspartei müsse es darum gehen, „Strukturen zu schaffen, die Übergriffe verhindern und Betroffene schützen“, fordern sie. „Für uns steht fest: Sexualisierte Gewalt und sexistische Strukturen dürfen in unserer Partei keinen Platz haben.“

Nur 14 Monate nach Amtsantritt hatte Wisslers bisherige Co-Vorsitzende Hennig-Wellsow am Mittwoch ihren sofortigen Rücktritt erklärt. Die 44-jährige Thüringerin begründete ihren überraschenden Abgang mit persönlichen Motiven, unerfüllten Erwartungen bei der Erneuerung der Partei, aber auch mit dem Umgang der Linkspartei mit Sexismus in den eigenen Reihen.

Keine Mehrheit für Urabstimmung

Als Alternative zu der jetzt beschlossenen Neuwahl auf dem Parteitag im Juni wurde auf der Bundesvorstandssitzung auch über eine mögliche Urabstimmung diskutiert, also die neue Führungsspitze von den knapp 60.000 Mitgliedern wählen zu lassen. Doch wie schon bei einer Sondersitzung am Mittwoch fand die Idee, dem Beispiel der griechischen Schwesterpartei Syriza zu folgen, nicht ausreichend Fürsprecher:innen.

Die Urwahl-Idee sei sachlich diskutiert worden, so die stellvertretende Parteivorsitzende Katina Schubert. „Im Endeffekt waren pragmatische Gründe ausschlaggebend“, sagte Schubert der taz. Auch finanzielle Gründe sollen eine Rolle gespielt haben. Nach dem schlechten Abschneiden bei der Bundestagswahl hat die Linkspartei auch erhebliche finanzielle Probleme.

Mit dem Neuwahlbeschluss wächst nun auch der Druck auf Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali, die blassen Vorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag. „Die Linke ist in einer schweren Krise“, sagte das Parteivorstandsmitglied Lorenz Gösta Beutin der taz. „Das bedeutet, alle Strukturen, alles Personal muss auf den Prüfstand.“ Gerade die Fraktion habe in den letzten Monaten ein „Bild der Beliebigkeit“ geboten, so Beutin. Eine „Führung nach vorne“ habe gefehlt.

Der Ex-Bundestagsabgeordnete kritisierte, dass in der Linksfraktion zu häufig eine „Vielstimmigkeit je nach Tagesform“ geherrscht habe – ob bei Corona, beim Klima oder der Außenpolitik. „Wir brauchen eine Linke, die weiß, wo sie hinwill.“ Beutin forderte Bartsch und Mohamed Ali auf, den Weg für eine personelle Neuaufstellung freizumachen: „Eine Neuwahl des Fraktionsvorstands ist zwingend für eine glaubwürdige Erneuerung.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.