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Die FDP stützt Kanzler Scholz – und kritisiert ihn

Auf dem FDP-Bundesparteitag monieren Delegierte den Kurs der Ampel und fordern die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine. Doch Parteichef Lindner verteidigt die Koalitionspolitik und kritisiert lieber die Union

Aus Berlin Jasmin Kalarickal und Malte Kreutzfeldt

Als Christian Lindner etwas angeschlagen vom Bildschirm ins Publikum guckt, ist klar, dass dieser FDP-Parteitag anders wird. Wegen einer Coronainfektion wird der FDP-Chef und Finanzminister aus Washington digital zugeschaltet. Seine Haut glänzt, fit sieht er nicht aus – er beteuert aber später auf Twitter, das sei nur der fehlenden Maske und der Uhrzeit geschuldet gewesen. Zum Zeitpunkt seiner Rede am Samstag ist es 6 Uhr morgens in Washington. Lindner nimmt die unfreiwillige Trennung mit Humor: Das sei „Ausdruck der transatlantischen Partnerschaft“.

Etwas skurril wirkt es dennoch: Während Lindner in einem Hotelzimmer in Quarantäne sitzt, tummeln sich in Berlin rund 600 Delegierte am Samstag und Sonntag in der Berliner Veranstaltungshalle Station und feiern die Rückkehr zur Normalität. Keine Testpflicht, kaum jemand trägt Maske, die Stimmung ist locker in der Freedomday-Partei. „Die Pandemie ist nicht vorüber“, sagt Lindner – und führt sich selbst als Beispiel an. Er verteidigt dennoch die weitgehende Abschaffung der meisten Coronaregeln, die die FDP durchgeboxt hat.

Es ist der erste Parteitag für die FDP seit Regierungseintritt. Während sich die Krisen Krieg, Klimawandel und Pandemie multiplizieren, hakt es in der Ampelkoalition gerade mächtig. Die Impfpflicht ist kürzlich gescheitert. Bei der Coronapolitik wächst der Unmut bei Grünen und SPD über die Liberalen. Die Haushaltslage stellt den Finanzminister vor eine Riesenherausforderung. Die Umfragen für die Liberalen sehen nicht gut aus, obwohl wichtige Landtagswahlen anstehen.

Und überschattet wird das Ganze vom russischen Angriffskrieg. In der Koalition tobt Streit darüber, ob Deutschland schwere Waffen an die Ukraine liefern soll und ob Kanzler Olaf Scholz seinen Job gut genug macht. Lindner hielt sich hier zuletzt auffällig zurück, während FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann vehement die Lieferung schwerer Waffen forderte und dem Kanzler Führungsschwäche vorwarf.

Auf dem FDP-Parteitag wird schnell klar: Lindner entscheidet sich für den staatsmännischen Kurs. „In der Ukraine wird um die Werte gekämpft, die uns wichtig sind. Und deshalb muss die Ukraine diesen Krieg gewinnen. Und die Ukraine wird diesen Krieg gewinnen“, sagt er. Für Lindner heißt das auch: Die Ukraine braucht schwere Waffen für den Sieg. Aber es dürfe nicht zu einer Gefährdung der Sicherheit Deutschlands und des Nato-Gebiets kommen. „Wir dürfen keine Kriegspartei werden.“ Ausdrücklich stellt sich Lindner hinter den Kanzler. Dieser wäge „sorgsam ab“ und zeige ein „inneres Geländer“. Scholz habe „das Vertrauen der FDP und auch ihrer Fraktion im Deutschen Bundestag“.

Doch das sehen offenbar nicht alle so. Als später Strack-Zimmermann in einer energischen Rede kein Zaudern und Zögern, sondern „Kühnheit und Mut“ fordert, erhält sie Standing Ovations. Sie warnt vor einer falschen Rücksichtnahme auf Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Auch FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki beklagt sich über „das Bild, das viele Vertreter der größten Regierungspartei gerade vor den Augen der Weltöffentlichkeit abgeben“.

Das kann auch als Arbeitsteilung verstanden werden: Für den Part Regierungstreue ist Lindner zuständig, um die Brüche innerhalb der Ampel nicht weiter zu vertiefen. Den Part Profilierung müssen andere übernehmen. Mit großer Mehrheit stimmen die Delegierten am Samstagabend einem Antrag des Bundesvorstands zu, die Ukraine stärker zu unterstützen – auch mit schweren Waffen. „Worte alleine zählen nicht, es zählen Taten, es kommt auf jede Stunde an“, sagt der auf dem Parteitag neu gewählte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai.

Im Antrag heißt es nun: „Das wichtigste und kurzfristig wirksamste Mittel, um den russischen Vormarsch zu stoppen, ist die deutliche Intensivierung und Beschleunigung der Lieferung hochwirksamer und dabei auch schwerer Waffen an die ukrainische Armee.“ Deutschland müsse diese Waffen so liefern, dass sie schnell von der Ukraine eingesetzt werden könnten. Zusätzlich müsse die ukrainische Armee unterstützt werden durch die „schnelle Bereitstellung von Rüstungsgütern durch die deutsche Industrie, für die Deutschland wie angekündigt die Finanzierung übernimmt“. Doch auffällig ist: Die Debatte über schwere Waffen verläuft oberflächlich. Die Argumente von Scholz, dass Marderpanzer von der ukrainischen Armee nicht bedient werden können und dass die Bundesregierung derzeit nicht mehr liefern könne, werden nicht besprochen.

Etwas heißer diskutiert wird die mit dem Krieg zusammenhängende Energiepolitik. Am Ende bleibt der Parteitag aber auf Koalitionslinie: Die Forderung nach einem sofortigen Importstopp für Energie aus Russland, die unter anderem vom Bezirksverband Oberbayern eingebracht wurde, lehnt die Parteiführung ab. „Die politische Intention ist mir sehr sympathisch“, sagt der neue Generalsekretär, Bijan Djir-Sarai. Aber es wäre „außerordentlich unklug, wenn wir unsere wirtschaftliche Stabilität gefährden würden“. Eine deutliche Mehrheit der Delegierten lehnt einen sofortigen Exportstopp daraufhin ab. Gefordert wird im schließlich verabschiedeten Antrag zum Ukrainekrieg deshalb nur, dass Deutschland die Importe aus Russland „schnellstmöglich“ beenden soll – was das heißt, bleibt offen.

Um auf Gas, Öl und Kohle aus Russland verzichten zu können, fordert die FDP zum einen den „konsequenten und zügigen Ausbau erneuerbarer Freiheitsenergien“, zum anderen Terminals für den Import von Flüssiggas an der deutschen Küste. Diese Forderungen stehen im Einklang mit dem Kurs des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck.

Ein Konflikt drohte dagegen beim Thema Atomkraft: In mehreren Anträgen war eine Laufzeitverlängerung für die noch am Netz befindlichen deutschen Reaktoren gefordert worden. Im beschlossenen Ukraine-Antrag wird dieser Wunsch jedoch nur sehr unverbindlich aufgenommen: Gefordert wird darin keine Laufzeitverlängerung, sondern lediglich eine Debatte darüber. Zudem spricht sich die FDP für eine „ideologie- und technologieoffene Erforschung neuer Generationen von Kernenergie“ aus. Noch zurückhaltender ist in dieser Frage Parteichef Lindner: In seiner 40-minütigen Rede plädiert er zwar für eine verstärkte heimische Gasförderung – das Thema Atomkraft erwähnt er dagegen mit keinem Wort.

Scholz habe das Vertrauen der FDP, sagt Partei­chef Lind­ner. Dieser zeige beim Ukra­ine­krieg ein „in­neres Ge­län­der“

Ein wichtigeres Profilierungsfeld für die FDP ist offenbar die Bundeswehr. Diese müsse materiell gestärkt werden, und auch ideell brauche es ein neues Verhältnis zu den Soldat:innen, sagt Lindner. FDP-Parlamentsgeschäftsführer Johannes Vogel bestärkt das: Die sicherheitspolitische Debatte in Deutschland sei in den vergangenen Jahren von einem „Vulgärpazifismus“ geprägt gewesen. Zu oft würden Sol­da­t:in­nen in der Gesellschaft angefeindet. Dass in der Bundeswehr immer wieder rechtsextreme Netzwerke aufgeflogen sind, ist offenbar nicht erwähnenswert. Schließlich sollen 100 Milliarden Euro Sondervermögen die Bundeswehr wieder aufpeppen.

Doch die Union könnte das torpedieren. Lindner spricht deshalb harte Worte in Richtung Union. In Zeiten des Krieges habe er kein Verständnis „für parteipolitische Manöver“. Es gehe der Union offenkundig darum, „die Regierungskoalition in Schwierigkeiten zu bringen“, kritisiert er und fordert von CDU und CSU „staatspolitische Mitverantwortung“. Schließlich sei die Union auch mitschuldig an der Vernachlässigung der Bundeswehr.

Darauf reagiert der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz sogleich in der Bild am Sonntag. Merz kündigt zwar auch eine Aufarbeitung der Russlandpolitik seiner Partei an, droht aber, dem geplanten Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr nicht zuzustimmen. Nur wenn das Geld „ausschließlich der Aufrüstung der Bundeswehr zugutekommt“ und dauerhaft mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgegeben werden, sei die Union bereit zuzustimmen. Zudem plant die Union im Bundestag einen eigenen Antrag zur Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine – was die Ampel ebenfalls unter Druck setzt.

Dass sich Union und FDP aneinander abarbeiten, ist wenig verwunderlich: Beide wollen das konservative Bürgertum ansprechen, das Wert legt auf solide Finanzen. Lindner beteuerte deshalb auch, dass es mit der FDP keine Steuererhöhungen und keine Aufweichung der Schuldenbremse geben wird. Das findet sich auch im am Sonntag recht zügig verabschiedeten Leitantrag „Freiheit sichern, Werte schaffen – für eine wehrhafte liberale Demokratie in Deutschland und Europa“ wieder, bei dem es ebenso wie im Ukrainebeschluss vorrangig um Sicherheitspolitik und Energiepolitik geht. Ein kleiner Seitenhieb findet sich aber auch gegen den früheren SPD-Kanzler Schröder: „Ehemaligen Repräsentanten der obersten Verfassungsorgane“, die bezahlte Positionen in ausländischen Staatsunternehmen autoritärer Staaten annehmen, sollten keine Büros durch Steuermittel finanziert bekommen.

Der neue Generalsekretär Djir-Sarai räumt in seiner Rede ein, dass sich mit dem Ukrainekrieg die politischen Prioritäten in Deutschland geändert hätten. „Die Richtigkeit der Ziele des Koalitionsvertrags“ hätten sich aber nicht verändert, nur einige Rahmenbedingungen. Den Ukrainekrieg bezeichnete er als „Schande unserer Zeit“. Man solle künftig weiter auf Handel setzen, aber nicht mit Staaten, die „unsere Werte ablehnen“. Dann ist er zum Abschluss auch um Ermutigung bemüht: So hoffnungslos die Situation erscheine – der Einsatz für Freiheit und Bürgerrechte „sei immer die richtige Antwort“.

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