: Ein Hoch auf den Naturschutz?
Ist das Errichten von Naturschutzgebieten im Kampf gegen die Biodiversitätskrise nur eine Form von grünem Kolonialismus?
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Von Nisa Eren
Wir befinden uns in einer ökologischen Krise, die viele Gesichter hat. Während die Temperaturen zu stark steigen, wächst auch die Zahl der vom Aussterben bedrohten Arten. Ähnlich wie die Klimakrise gefährdet die Biodiversitätskrise unsere Lebensgrundlage auf dem Planeten. Das Errichten von Naturschutzgebieten soll dem entgegenwirken.
Wir alle kennen die Plakate mit traurigen Elefantenbabys, die uns dazu animieren sollen, für den Artenschutz in Afrika zu spenden. Diese Art von Mobilisierung verfolgt immer ein ähnliches Narrativ: Europäische Naturschutzorganisationen erklären unberührtes, sich noch in einem Urzustand befindendes Land im Globalen Süden zu einem Schutzgebiet. In diesem können wilde Tiere ungestört von menschlichem Einfluss leben. Und sie sollen dort durch von den Organisationen eingesetzte Ranger*innen vor Wilderei beschützt werden.
Was bei dieser Betrachtungsweise jedoch außen vor bleibt, ist die politische Dimension solcher Naturschutzmaßnahmen. Und die koloniale Vergangenheit von Reservaten, die den Strukturen zum Teil noch innewohnt.
Die Planung von Naturschutzgebieten ist hauptsächlich im Globalen Norden angesiedelt und die naturwissenschaftlich basierten Ansätze folgen dabei einem eurozentrischen Naturverständnis. Die Idee von einer „unberührten Wildnis“ beispielsweise beruht auf der Vorstellung, dass es eine konzeptionelle, ontologische Trennung zwischen Menschen und der Natur gibt. „Natur“ wird dabei als eine Art vorindustrieller Urzustand gedacht, den es zu erhalten und vor der destruktiven Kraft des Menschlichen zu beschützen gilt.
Dieses binäre Verständnis ist aber ahistorisch und exklusiv, weil es vergisst, dass fast alle Landschaften über Jahrtausende durch das Zusammenleben von Menschen und Umwelt geprägt worden sind. Es lässt damit auch keinen Raum für lokale und indigene Bevölkerungsgruppen, die meist einen ohnehin nachhaltigen Umgang mit den Ökosystemen pflegen. Denn wird der Zugang zu Land und die Nutzung von Ressourcen in einem Gebiet beschränkt, weil es zum Schutzgebiet erklärt wird, betrifft das besonders diese Gruppen.
Es kommt dabei nicht selten zu Interessenkonflikten und Menschenrechtsverletzungen. Vertreibung, der Entzug von Zugangsrechten zu Land und Ressourcen, aber auch zu religiösen und kulturellen Stätten sind Folgen der eingesetzten Maßnahmen, die unter der Prämisse des „Artenschutzes“ legitimiert werden. Ihre Durchsetzung verläuft selten gewaltfrei und die Kontrolle erfolgt im militärischen Stil. Denn oft kommt es dazu, dass vertriebene Menschen aus Alternativlosigkeit weiterhin die Schutzgebiete nutzen, um ihr Überleben zu sichern.
Von der Gewalt dringt nach außen wenig durch. Und wenn doch, wird das Bild zugunsten der Parkbetreibenden verzerrt: Ranger*innen wird die Rolle der aufopferungsvollen Helden zugeschrieben, während lokale Bevölkerungsgruppen unter dem Label der „Wilderei“ kriminalisiert werden. Das Paradoxe daran: Die ökologische Krise hat ihre Ursache fast ausschließlich in der Lebens- und Wirtschaftsweise des Globalen Nordens. Dort also, wo Planung und Umsetzung der Schutzgebiete gesteuert werden.
Was außerdem selten zur Sprache kommt: Das Errichten von Schutzgebieten und Reservaten durch europäische Institutionen, das Exotisieren von „unberührter Wildnis“ und das Kriminalisieren von nichtweißen, nichteuropäischen Menschen hat seine Wurzeln in eben den rassistischen Motiven, die zur Kolonialzeit genutzt wurden, um Gewalt, Vertreibung und Versklavung zu rechtfertigen. Die wichtige Diskussion über den Artenschutz darf daher Kolonialität und soziale Dimensionen nicht ausblenden.
Über (Dis-)Kontinuitäten kolonialer Machtasymmetrien im Bereich des Naturschutzes sprechen Sozialwissenschaftlerin und Aktivistin Imeh Ituen und Historiker Bernhard Gißibl auf dem taz lab. Moderation: Nisa Eren. „Grüner Kolonialismus“. Spiegelsaal, 10 Uhr
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