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Erst Londongrad, dann Saudi United

Roman Abramowitsch war ein Pionier in England. Er hat den Investoren-Fußball erst hoffähig gemacht

Die Blauen von der Stamford Bridge

Der FC Chelsea

Der Klub, trainiert vom deutschen Trainer Thomas Tuchel, lässt sich im laufenden Spielbetrieb wenig anmerken von den Turbulenzen um den Klubchef Roman Abramowitsch. In der Champions League ist der Klub aus London souverän ins Viertelfinale eingezogen, und in der heimischen Premier League liegen die Blues ungefährdet auf Platz drei, hinter Liverpool und Manchester City.

Der Marktwert

Unter den zehn wertvollsten Vereinen in Europa befinden sich allein fünf Klubs aus der englischen Premier League, was bestimmt kein Zufall ist. Ganz vorn rangiert Manchester City mit 977 Millionen Euro, auf Platz drei folgt der FC Liverpool (889 Millionen Euro). Der FC Chelsea steht an vierter Stelle in dieser Rangliste: mit 883 Millionen. Der aktuell teuerste Spieler ist Stürmer Romelu Lukaku, gefolgt von Mittelfeldakteur Mason Mount (75 Millionen Euro) und der deutschen Offensivkraft Kai Havertz (70 Millionen).

Aus London Hendrik Buchheister

Der Mann, der den englischen Fußball revolutionierte, kam aus der Luft. Die Legende besagt, dass Roman Abramowitsch im Sommer 2003 mit einem Hubschrauber über dem Westen Londons kreiste, um sich einen Verein auszusuchen, wie ein Kind, das im Spielwarenladen am Wühltisch steht. Abramowitsch, damals 36 Jahre alt, erblickte von oben das altmodische Craven Cottage des FC Fulham und war wenig beeindruckt. Besser gefiel ihm ein Stadion rund zweieinhalb Kilometer weiter – die Stamford Bridge des FC Chelsea. Abramowitsch kaufte die „Blues“ für 140 Millionen Pfund, damals umgerechnet rund 210 Millionen Euro, und veränderte den englischen Fußball für immer.

Nach fast 19 Jahren geht die Ära des Rohstoffmagnaten als Chelsea-Besitzer zu Ende, im Schatten von Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine. Die britische Regierung hat Abramowitsch als „kremlfreundlichen Oligarchen“ eingestuft, Sanktio­nen verhängt und seine Besitztümer eingefroren. Neben Chelsea gehört dazu ein Immobilien-Portfolio in London im Wert von knapp 240 Millionen Euro. Abramowitsch, mittlerweile 55, bestreitet eine Nähe zu Putin. Chelsea wird in Kürze einen neuen Besitzer bekommen, Interessenten hatten bis Freitag Zeit, ihre Angebote einzureichen. Das Erbe des russischen Milliardärs wird bleiben.

Abramowitsch war der wohl erste Superreiche, der einen Fußballverein im Ausland kaufte, und das nicht, um Geld zu verdienen, sondern als Hobby. Rund zwei Milliarden Euro hat er während seiner Regentschaft an der Stamford Bridge in den FC Chelsea gesteckt und ihn damit von einem einst verschuldeten Mittelklasseklub mit nur einer Meisterschaft (1955) zur Weltmarke gemacht. Unter Abramowitsch gewannen die Blues je fünfmal die Premier League und den traditionsreichen FA-Cup, zweimal die Europa League und zweimal die Champions League.

Als erster Oligarch im englischen Fußball ebnete Abramowitsch den Weg für hoch vermögende Klubeigentümer aus dem Ausland mit teilweise fragwürdigen Motiven. Der Einstieg von Abu Dhabi 2008 bei Manchester City und – im vergangenen Jahr – des Staatsfonds von Saudi-Arabien bei Newcastle United wären wohl nicht möglich gewesen ohne Abramowitsch. Viele Beobachter stufen ihn rückwirkend als Türöffner für das sogenannte Sportswashing in der Premier League ein.

Durch Abramowitsch ging dem englischen Fußball das Augenmaß verloren. Sein FC Chelsea war der erste Verein, der sich praktisch nach Belieben eine Mannschaft aus Superstars zusammenkaufte. Außerdem kultivierten die Blues die Politik, beim ersten Anzeichen einer Krise den Trainer zu feuern. Thomas Tuchel ist seit 2003 der 15. Übungsleiter an der Stamford Bridge.

Er war Türöffner fürs sogenannte Sportswashing in der Premier League

Die Prioritäten des englischen Publikums haben sich mit Abramowitsch verschoben. Viele Fans finden es gut, mit dem reichsten Eigentümer prahlen zu können. Moralische Bedenken werden ignoriert. Der Anhang von Newcastle United sieht die Übernahme durch den Staatsfonds Saudi-Arabiens als Glücksfall und schwenkt Saudi-Fahnen, trotz kürzlich 81 Hinrichtungen in dem Land. Viele Chelsea-Fans besingen weiter Abramowitsch. Sie sehen ihn als „guten Besitzer“, denn er hat Erfolg gebracht.

Der russische Oligarch hat sich stets rar gemacht hat, er hat keine Interviews gegeben, trat öffentlich kaum in Erscheinung. Zum letzten Mal im Umfeld des FC Chelsea wurde er Mitte Februar in Abu Dhabi gesichtet, als der Verein jene Trophäe gewann, die ihm noch fehlte – die Klub-WM. Es gibt Fotos von Abramowitsch mit dem Silberpokal in der Hand, gütig lächelnd. Wahrscheinlich ahnte er, dass seine Zeit bei den Londonern in Kürze enden würde.

Die Sanktionen der britischen Regierung gegen Abramowitsch sind der Höhepunkt einer Entwicklung. Nach dem Giftanschlag auf den Exagenten Sergej Skripal in Salisbury gerieten viele reiche Russen in London unter Druck. Ihr Wohlstand ist in der britischen Hauptstadt so präsent, dass sie auch „Londongrad“ genannt wird. Mit so enannten goldenen Visa lockte die Regierung seit den 90ern Investoren aus dem Ausland. Abramowitsch bekam nach dem Skripal-Fall Schwierigkeiten mit seiner Aufenthaltsgenehmigung, nahm die israelische und portugiesische Staatsbürgerschaft an und besuchte praktisch keine Chelsea-Heimspiele mehr. Putins Krieg gegen die Ukraine hat die Ära Abramowitsch endgültig beendet.

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