Coronaimpfung für Mi­gran­t*in­nen: Jeder Piks zählt

Franziska Giffey vermutete Vorbehalte gegen das Impfen bei Migrant*innen. Mehrere Impfaktionen zielten danach explizit auf die Communitys.

Ende Januar: Impfaktion in den Neuköllner Arkaden Foto: dpa

BERLIN taz | Montagmittag in Kreuzberg. Gegenüber vom Springer-Hochhaus, an einer der ungemütlicheren Ecken im Kiez. Auf dem Boden hat jemand mit bunter Kreide und großen Lettern „Impfen“ aufgemalt und einen Pfeil auf den Nebeneingang des Jobcenters Friedrichshain-Kreuzberg gezeichnet. Passanten eilen an der Kreideschrift vorbei, kaum jemand interessiert sich für die Impfaktion im Jobcenter.

Und doch: Ein Vater und seine Tochter lugen vorsichtig in den Eingang hinein. Innen herrscht konzentrierte Betriebsamkeit. Die Impfteammitglieder des Malteser Hilfsdiensts kümmern sich um das Ausfüllen der Formulare für die Impfungen, checken Impfpässe und bieten Getränke an. Gekommen sind zwei junge Männer und eine Frau mit Kleinkind im Kinderwagen. Vater und Tochter treten ein.

Organisiert hat diese Impfaktion die Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt, Ulrike Spieler, mit den mobilen Impfteams im Bezirk. Drei Tage lang wird hier im März von 11 bis 16 Uhr geimpft. Groß ist der Ansturm nicht, jedoch weitaus besser besucht als am Tag zuvor in der Şehitlik-Moschee am Columbiadamm: Dort sind nur wenige Menschen auf dem Gelände zu sehen, ein einsamer Mitarbeiter deutet auf das Untergeschoss der Moschee. Unter dem Gebetsraum befindet sich der Saal mit mehreren Tischen und leeren Stühlen. Am Eingang liegen Infomaterialien aus.

Die drei Mit­ar­bei­te­r*in­nen der Impfteams dürften nicht mit der Presse reden, wehrt man hier ab. Die Impfaktion in der Moschee wurde in den sozialen Medien in mehreren Sprachen beworben und sollte eigentlich bis in den Nachmittag hinein Impfwillige anlocken. Aber hier ist es ziemlich ruhig. Vielleicht, weil draußen die Sonne so schön scheint? Dort versuchen zwei weitere Mitarbeiter der Malteser, Vorbeiflanierende zur Impfaktion zu bewegen. „Danke, schon geimpft“, hört man hier öfters.

Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) hat dafür geworben, dass in den Schulen auch nach Auslaufen der meisten Corona-Schutzmaßnahmen weiter freiwillig Maske getragen wird. „Ich halte das sehr abrupte Ende dieser einfachen und bewährten Schutzmaßnahme für besorgniserregend“, sagte Busse am Donnerstag im Bildungsausschuss des Abgeordnetenhaus. Sie könne da aber „nur appellieren“.

Am 31. März laufen die Maßnahmen des Bundesinfektionsschutzgesetzes endgültig aus. Berlin nutzt, wie andere Länder auch, eine Übergangsfrist des Bundes. Der Bundestag hat am Donnerstag das Auslaufen der meisten Schutzmaßnahmen, darunter auch die Maskenpflicht mit Ausnahme im ÖPNV, zum 20. März beschlossen. (akl)

Giffeys interessante Aussagen

Noch Anfang Januar hatte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) auf einer Pressekonferenz erklärt, dass „vor allem Menschen in bestimmten Communitys große Vorbehalte gegen das Impfen“ hätten. Belege für diese Behauptung gab es nicht. Eine Woche später erklärte die Landesregierung per Pressemeldung, dass sie alles daran setze, die „Impfbereitschaft aller Berlinerinnen und Berliner zu erhöhen“ und eben auch in „die Kieze mit schwierigen sozialen Lagen und auch in die Communities zu gehen“.

Mit Katarina Niewiedzial, Berlins Integrationsbeauftragter, wurden Impfaktionen koordiniert, Ende Januar starteten sie. Laut Gesundheitsverwaltung wurden in Kooperation mit den Bezirken und migrantischen Organisationen etwas mehr als 700 Personen geimpft. In Stadtteilzentren, Moscheen, in Malls und Möbelhäusern.

Aufgerufen habe man mit persönlichen Briefen, durch Plakate und die sozialen Medien. Vater und Tochter kamen durch den Brief des Jobcenters auf die Idee, erzählt die 12-jährige Tochter. Der Vater könne nicht so gut Deutsch und sie dolmetscht jetzt für ihn ins Vietnamesische. Allerdings ist der Vater schon geboostert und wollte nur seine Tochter begleiten, die heute zur Erstimpfung gekommen ist. Ihren Namen wollen sie beide nicht preisgeben. Dafür erzählt die Tochter, warum sie sich impfen lässt: „In der letzten Woche hatten wir in der Klasse fünf positive Coronafälle, da wollte ich mich noch schnell schützen“, erklärt sie freudestrahlend. In der Schule sei die Impfung gegen das Coronavirus immer wieder Thema, manche hätten die Impfung schon. Wieder andere seien dagegen („Da streiten wir uns nicht darüber, wir sind sehr freundlich zueinander“), und einige könnten es gar nicht abwarten, 12 Jahre alt zu werden und sich impfen zu lassen.

Sprachlich gewandt

„Meine beste Freundin darf aber nicht, obwohl sie das schon möchte“, erzählt sie und fasst sich noch kurz an den Oberarm. Der Piks habe gar nicht weh getan. Das Jobcenter ist bereits erprobt mit Impfangeboten, die erste Runde im Februar sei gut angelaufen, erzählt Anita Leese-Hehmke, stellvertretende Geschäftsführerin des Jobcenters Friedrichshain-Kreuzberg. Ihre Mitarbeiterin Ulrike Spieler bedauert, dass das heute „leider mit Vietnamesisch nicht geklappt hat“. Sie hätten Impf­ärz­t*in­nen mit verschiedenen Muttersprachen angefragt. Das Ärzteteam an diesem Tag spreche neben Deutsch und Englisch, klar, Arabisch und Rumänisch. „Wir impfen jetzt in die nächste große Welle hinein“, sagt Spieler.

Viele Erstimpfungen habe es heute gegeben, mehr könne sie nicht sagen. Die Sprecherin von Berlins Integrationsbeauftragten kann nur teilweise Zahlen liefern: Bei zwei Veranstaltungen im Januar ließen sich noch über 100 Menschen impfen, bei weiteren Pop-up-Aktionen im Februar waren es durchschnittlich nur noch knapp die Hälfte pro Aktion.

Ist also das aufsuchende Impfen gescheitert?

So einfach ist es nicht. Laut Covid-19-Impfquoten-Monitoring des Robert-Koch-Instituts von Ende Februar zeigt sich, dass die Impfquote bundesweit bei Befragten ohne Migrationshintergrund bei 92 Prozent, die der Mi­gran­t*in­nen nur bei 84 Prozent liegt. Der Migrationshintergrund reicht aber nicht aus als Erklärung, denn weitere Faktoren sind hier ausschlaggebend: etwa Bildungsgrad, Deutschkenntnisse und Einkommen.

Diskriminierung bringt Vertrauensverlust

Nicht zu vernachlässigen sei auch das Vertrauen in das Gesundheitssystem – je öfter Menschen hier Diskriminierungen ausgesetzt sind, desto geringer ist es. Das aufsuchende Impfen biete eine Möglichkeit, mit divers besetzten Teams in den jeweiligen Erstsprachen Vorurteile abzubauen, aufzuklären und weitere Informationen zu Gesundheitsthemen zu liefern. Denn auch das wird durch das RKI-Monitoring deutlich: Ungeimpfte Personen mit Migrationshintergrund neigen eher dazu, sich noch impfen zu lassen als Ungeimpfte ohne Migrationsgeschichte.

Das kann auch Laura Scholaske vom Dezim-Institut in Berlin bestätigen. Als „heikel“ empfand sie Giffeys Aussagen zur vermeintlichen Impfflucht von Mi­gran­t*in­nen und Communitys im Januar, vor allem weil zu dem Zeitpunkt „noch keine validen Daten veröffentlicht waren“.

Die Psychologin forscht zu den Themenbereich Migration und Gesundheit. „Die Lösungen finden sich in den Communitys selbst“, stellt sie fest, es gebe bereits fachlich bestens ausgebildete Menschen mit Migrationsgeschichte, die Zugänge in die Communitys hätten. „Es geht nichts über das persönliche Gespräch. Flyer werden häufig direkt weggeworfen“, so ihre Beobachtung. Wichtig sei, diese Angebote breit und divers zu streuen – in den sozialen Medien als mehrsprachiger Hinweis oder im öffentlichen Stadtbild.

Lücken schließen

In diesem Sinne seien Impfaktionen in Moscheen oder Jobcentern gut – ganz gemäß des psychologischen „Mere-Exposure-Effekts“: Dabei wird eine anfangs als neutral bewertete Sache durch den wiederholten Kontakt positiver bewertet. Selbst wenn einige Impfaktionen nicht die erwünschte Zahl an Impfungen generierten.

Ob und wie diese Pop-up-Aktionen weiterhin durchgeführt werden, lässt sich derzeit noch nicht sagen. Denn momentan geht es auch darum, eine andere Impflücke möglichst schnell zu schließen. „Aktuell rücken auch die aus der Ukraine ankommenden Menschen in den Blickpunkt“, sagt die Sprecherin der Integrationsbeauftragten. Die Impfquote in dieser Gruppe sei niedrig. „Viele sind mit Sputnik geimpft, einem Impfstoff, der in Deutschland nicht anerkannt ist. Erste Impfangebote werden auch auf Ukrainisch beworben“, heißt es aus dem Büro der Integrationsbeauftragten.

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