Krieg in der Ukraine: Odessa in Bereitschaft

Seit zwei Wochen ist die Stadt am Schwarzen Meer im Visier Russlands. Die Einwohner*innen, die geblieben sind, bereiten sich auf das Schlimmste vor.

Ein ukrainischer Soldat steht neben dem Denkmal des Herzogs von Richelieu, das zum Schutz vor möglichen Schäden mit Sandsäcken abgedeckt wurde

Sandsäcke gegen Bomben: Das Denkmal des Herzogs von Richelieu im Zentrum von Odessa Foto: Max Pshybyshevsky/dpa

ODESSA taz | Sie ist eine der malerischsten Städte der Ukraine, und sie liegt am Schwarzen Meer: Odessa. Hier leben über 1 Million Menschen, die über 100 Nationalitäten angehören. Odessa ist – was als Perle der Architektur und Kultur bezeichnet werden kann – mit Festfestivals, Konzerten, Museen und vielen Theatern. Eine Besonderheit ist die Oper, die 1887 fertiggestellt und nach Entwürfen der Wiener Architekten Ferdinand Fellner und Hermann Gottlieb Helmer erbaut wurde.

Aber das Unvorstellbare ist passiert: Odessa war eine der ersten Städte, die Russland am frühen Morgen des 24. Februar im Rahmen seiner „Befreiungsoperation“ angriff. Um 5 Uhr morgens explodierten die ersten Bomben, dann geht es Schlag auf Schlag. Vor den Geldautomaten bilden sich lange Schlangen, genauso wie vor Supermärkten, Apotheken und Wechselstuben.

Auf den Straßen aus der Stadt hinaus stauen sich die Autos. Sie fahren Richtung Moldau und in den Westen der Ukraine. Unterschiedlichen Angaben zufolge sind in den ersten 13 Tagen seit Kriegsbeginn mehr als 100.000 Menschen geflohen. Die, die geblieben sind, werden nicht weichen. In den ersten Tagen helfen viele Odes­si­t*in­nen an der Seite der ukrainischen Armee mit, „Saboteure“ zu fangen.

Es stellt sich heraus, dass sie schon vorher nach Odessa gekommen sind, Wohnungen gemietet und einfach „abgewartet“ haben. In der Stadt selbst ist niemand überrascht über einen Moskauer oder einen anderen Akzent. In der Tourismussaison sind in jeder Straße fünf bis sechs verschiedene Sprachen zu hören.

Sperrstunde ab 19 Uhr

Doch jetzt ist alles anders. In Odessa wird eine Sperrstunde ab 19 Uhr eingeführt. An den ersten Abenden kann man vom Fenster aus Schießereien hören – Zeugnisse dessen, dass Gruppen von Saboteuren gefangen und „neutralisiert“ werden. Tagsüber sind viele Menschen auf den Straßen. Die Odes­si­t*in­nen gehen einkaufen, Freiwillige beschaffen die notwendigsten Dinge. Ältere und Kinder werden nach Hause geschickt, um Tarnnetze zu flechten.

Ältere Menschen und Kinder sollen daheim Tarnnetze flechten

Läden sind geöffnet, die Preise für Lebensmittel um 30 Prozent gestiegen. Das Angebot an Nudeln und Müsli ist überschaubar, auch bei Fleischprodukten gibt es weniger Auswahl. In den Supermärkten ist der Verkauf von Alkohol verboten. Brot gibt es aber noch genug. Auch auf den Märkten ist fast alles zu haben, der berühmte Markt Odesski Privoz und der Neue Markt im Zentrum der Stadt sind in Betrieb. Hier ist aber alles teurer als im Supermarkt. Ein Kilogramm Fisch kostet dort umgerechnet knapp 2 Euro.

Auf dem Neuen Markt haben sogar einige Baumärkte eröffnet. Medikamente zu bekommen wird jedoch immer schwieriger. Besondere Arzneien werden nur über die sozialen Netzwerke vertrieben, einige müssen im Ausland besorgt werden. Sie werden dann von Privatpersonen ins Land gebracht.

Odessas Strände waren schon früher bei den Odes­si­t*in­nen beliebt, jetzt verbringen viele dort ganze Tage: Sie füllen Sand in Säcke, die sie dann in die Stadt bringen. Daraus werden Straßensperren gebaut. Im Stadtzentrum wurden überall Panzerigel aufgestellt. Die Oper ist, wie 1942, von Barrikaden umgeben. Mittlerweile ist der öffentliche Nahverkehr stark eingeschränkt. An der Haltestelle wartet man 30 Minuten.

Appelle an russische Schiffe

Taxiunternehmen erlauben denjenigen, die ihre Verwandten evakuieren wollen, die Autos kostenlos zu benutzen. In der Stadt wurden alle Straßenschilder entfernt. Stattdessen wurden Aufrufe an russische Schiffe angebracht. Die Odes­si­t*in­nen übernachten jetzt in Kellern, auf Fluren und in Badezimmern. Es gab Zeiten, da hörte der Fliegeralarm gar nicht mehr auf.

Gleichzeitig kümmert sich die Verwaltung weiter um die Stadt und pflanzt sogar Blumen. Es gibt Strom, Wasser, Gas, Internet und Mobilfunk. Einige Privatschulen bieten online weiter Unterricht an. Am Samstag ist ein Onlinekonzert geplant, in den Straßen sollen ukrainische Flaggen gehisst werden.

„Hunderte Freiwillige arbeiten in der ganzen Stadt“, sagt Ekaterina Noschewnikowa, Leiterin der Freiwilligenorganisation Monster-AG. „Ich habe meinen Sohn fünf Tage nicht gesehen. Ich schlafe im Büro auf dem Boden und wasche mich in der Küche über der Spüle. Viele machen das jetzt so. Aber ich bin stolz auf das, was gerade in der Ukraine passiert. Die Menschen sind einfach unglaublich“, sagt sie.

Seit 24. Februar treffen Marschflugkörper kritische Infrastruktureinrichtungen und Gebäude der Armee. Die ukrainischen Streitkräfte schießen immer wieder Raketen ab. Im Hafen feuert täglich Flugabwehrartillerie. Unweit von Odessa sind russische Schiffe aufgetaucht, eine Gruppe von Saboteuren hat versucht, an Land zu gehen. Die Luftverteidigung schießt russische Flugzeuge ab.

Wer Odessa noch nicht kennt, dem sei gesagt: Die Stadt verdient es, geliebt zu werden. Jetzt braucht es schnell humanitäre und finanzielle Hilfe. Es geht ums Überleben.

Oksana Maslowa war Teilnehmerin eines Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung.

Aus dem Russischen Barbara Oer­tel

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