Zweites Entlastungspaket: Es ist ein Kompromiss

Die Ampel entlastet die Bür­ge­r:in­nen von den hohen Energiekosten. ÖPNV für 9 Euro pro Monat, Beschäftigte erhalten 300 Euro als Zuschuss vom Staat, die Benzinsteuer sinkt

Drei Monate lang können Bür­ge­r:in­nen für 9 Euro Bus und Bahn fahren Foto: Fo­to:­ Cars­ten Coall/picture alliance

Von Hannes Koch

Mit kleinen schmalen Augen traten SPD-Chef Lars Klingbeil, Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang und FDP-Bundesfinanzminister Christian Lindner am Donnerstagvormittag vor den Bundestag. Ihren Vorsatz, auf Nachtsitzungen zu verzichten, mussten sie über Bord werfen: Quasi die ganze Nacht hatten sie durchverhandelt, um das zweite Entlastungspaket angesichts der steigenden Energiepreise präsentieren zu können.

Das Ergebnis kann als klassischer Kompromiss bezeichnet werden. So zählten Lindner, Lang und Klingbeil der Reihe nach auf, was ihren Parteien besonders wichtig war. Im Wesentlichen sind es drei Punkte, die auf schnelle Entlastung zielen: Alle steuerpflichtigen Erwerbstätigen erhalten einen staatlichen Zuschuss von 300 Euro, die Benzin- und Dieselsteuer sinkt für drei Monate um 30 beziehungsweise 14 Cent, und alle Bür­ge­r:in­nen können 90 Tage lang den öffentlichen Nahverkehr für neun Euro pro Monat benutzen.

Die Regierung wolle die Bür­ge­r:in­nen „kurzfristig und befristet schützen“, erklärte Lindner. Lang bezeichnete die Maßnahmen als „soziale Entlastung und energiepolitische Unabhängigkeitserklärung“.

Die „Energiepreispauschale“ von 300 Euro funktioniert so: Alle „einkommensteuerpflichtigen Erwerbstätigen“ bekommen den Zuschuss demnächst zusammen mit ihrem Monatslohn von den Arbeitgebern ausgezahlt. Die holen sich diese Ausgabe vom Staat zurück. Für Selbstständige wird das Finanzamt die Steuervorauszahlung um 300 Euro reduzieren. Wichtig: Der Zuschuss ist zu versteuern. Bei einem individuellen Grenzsteuersatz von beispielsweise 30 Prozent behält das Finanzamt nächstes Jahr knapp 100 Euro davon wieder ein. Etwa 40 Millionen Erwerbstätige können sich auf die Unterstützung freuen. Wer jedoch einen Minijob macht, geht laut Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) leer aus.

Die Idee des Zuschusses stammt von SPD und Grünen. Weil die Beschäftigten pro Kopf denselben Betrag erhalten, profitieren Leute mit niedrigen Einkommen relativ stärker als Personen mit hohem Verdienst. Diese soziale Staffelung wird durch die Versteuerung des Zuschusses unterstützt. Wer wegen des hohen Gehalts viele Steuern zahlt, muss von den 300 Euro mehr zurückzahlen als Niedrigverdiener.

Etwa 7,5 Milliarden Euro dürfte die Pauschale den Staat kosten, hat Bach grob überschlagen. Insgesamt betrügen die Aufwendungen etwa 13,5 Milliarden Euro – ungefähr so viel wie das erste Entlastungspaket. Finanzieren will die Regierung diese Zusatzausgaben über neue Schulden im sogenannten Ergänzungshaushalt für 2022.

Grünen-Chefin Lang stellte den Quasinulltarif im öffentlichen Nahverkehr heraus. Das 9-Euro-Ticket, das es drei Monate geben soll, ermöglicht der Mehrheit der Bun­des­bür­ge­r:in­nen, nahezu kostenlos in ihrer Stadt oder Region unterwegs zu sein. Millionen Leute können damit die steigenden Benzinkosten ausgleichen. Der Bund soll die finanziellen Ausfälle der Verkehrsbetriebe mit seinen Regionalisierungsmitteln an die Länder kompensieren, beschloss die Ampel.

Die Dritte im Bunde, die FDP, kann sich die Senkung der Energiesteuer für Autotreibstoff zugutehalten. Mit der Idee eines Tankrabatts, mit der Lindner kürzlich unabgesprochen vorstieß, was für Unmut bei Grünen und SPD sorgte, konnte er sich aber nicht durchsetzen. Herausgekommen ist ein gesichtswahrender Kompromiss. Darauf, dass die Tankstellen die Preissenkung nun an die Ver­brau­che­r:in­nen weitergeben, will die Regierung achten.

Lang bezeichnete das Paket als „energiepolitische Unabhängigkeits­erklärung.“

Außerdem will die Ampel einen zusätzlichen Kinderbonus von 100 Euro zusammen mit dem Kindergeld ausschütten. Be­zie­he­r:in­nen von Sozialtransfers wie Hartz IV bekommen ebenfalls 100 Euro Extra­überweisung. Rent­ne­r:in­nen erwähnt die Koalition in ihrem Entlastungskatalog dagegen nicht.

Zusammen mit dem ersten Entlastungspaket der Ampel vom Februar dürften die addierten staatlichen Maßnahmen, Steuersenkungen und Zuschüsse 2022 nun für viele Haushalte 600 oder 700 Euro erreichen. Das sind nennenswerte Erleichterungen, wenngleich sie in vielen Fällen nicht die kompletten Zusatzkosten durch höhere Gas-, Benzin- und Stromrechnungen ausgleichen.

Gleichzeitig beinhaltet der Beschluss zahlreiche Vorhaben, um den Verbrauch fossiler Energie zu vermindern, die Abhängigkeit von Russland zu verringern und die erneuerbaren Energien auszubauen. So soll ab 2024 „jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent“ mit Ökoenergie laufen. Im­mo­bi­li­en­be­sit­ze­r:in­nen sollen alte Heizungen nach 20 Betriebsjahren durch regenerative Modelle austauschen.

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