: Grüne: Gas und Kohle plötzlich okay
Das Wirtschaftsministerium ist unter Robert Habeck auch für den Klimaschutz zuständig, beweist aber Flexibilität – notgedrungen und vorübergehend, wegen des Kriegs in der Ukraine
Von Malte Kreutzfeldt
In ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl hatten die Grünen eine klare Position zu neuer Infrastruktur für fossiles Erdgas: „Neue Hafenterminals zur Anlandung von Flüssigerdgas sollen nicht mehr genehmigt werden“, war dort etwa zu lesen.
100 Tage nach dem Start der Ampelkoalition hat sich diese Position ins Gegenteil verkehrt. Jetzt will Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck neue Flüssiggasterminals an der deutschen Nordseeküste nicht nur besonders schnell genehmigen, sondern deren Bau sogar mit staatlichem Geld unterstützen. „Es geht darum, unsere Importmöglichkeiten zu erweitern“, sagt Habeck zur Begründung.
Im Gegenzug wurde dafür zwar eine andere Forderung aus dem Wahlprogramm Realität, die die Grünen selbst bisher für kaum realistisch gehalten haben dürften: Die fertiggestellte, aber noch nicht genehmigte zweite Ostseepipeline Nord Stream 2 wurde nach Ausbruch des Kriegs sofort gestoppt. Doch um zumindest mittelfristig auch auf das russische Gas verzichten zu können, das bisher per Pipeline durch die Ostsee und durch die Ukraine und Polen aus Russland kommt, müssen Alternativen geschaffen werden. Neben den neuen Terminals gehören dazu auch neue Lieferanten, die bei den Grünen bisher ebenfalls nicht als ideale Partner galten – etwa Katar: In das Land, in dem weder Menschenrechte noch Freiheit viel zählen, reist Habeck in der nächsten Woche, um zusätzliches Flüssiggas zu akquirieren.
Auch bei weiteren energiepolitischen Fragen haben der russische Krieg gegen die Ukraine und der dadurch ausgelöste Wunsch, möglichst schnell von Energielieferungen aus Russland unabhängig zu werden, alte grüne Wahrheiten infrage gestellt. Selbst längere Laufzeiten für Atomkraftwerke hat Habecks Ministerium zwischenzeitig geprüft – allerdings mit dem erwartbaren Ergebnis, dass diese kurzfristig weder möglich noch hilfreich wären.
Anders sieht es bei den Kohlekraftwerken aus: Waren die Grünen hier mit dem Ziel angetreten, deren Nutzung früher zu beenden als bisher geplant, wird nun über eine Verlängerung gesprochen: Um auf einen möglichen Stopp der Gaslieferungen aus Russland vorbereitet zu sein, werde geprüft, „ob und inwiefern auch zur Stilllegung anstehende Kraftwerke in eine vorübergehende Reserve überführt werden können, damit sie im Notfall zu Verfügung stehen“, heißt es in einem Papier aus Habecks Wirtschafts- und Klimaministerium.
Eine andere Grünen-Forderung, die den Bedarf an russischen Ölimporten schnell senken würde, steht hingegen trotz des Kriegs nicht auf der Agenda: Ein Tempolimit auf Autobahnen war im Koalitionsvertrag auf Druck der FDP so klar ausgeschlossen worden, dass bisher niemand öffentlich daran rütteln mag. Die Deutschen am unbegrenzt schnellen Fahren zu hindern – das ist offenbar nicht mal in Zeiten von Krieg und Energieknappheit drin.
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