USA schließen Botschaft in Kiew: Diplomatie ohne Diplomaten

Die USA verlegen ihre Botschaft von Kiew nach Lwiw. Doch statt Absetzbewegungen braucht die Ukraine jetzt Präsenz – auch zivilgesellschaftliche.

Eine Aktivistin mit freiem Oberkörper reckt die Faust.

„Don't be a pussy!“, Femen-Aktivistin vor der US-Botschaft in Kiew demonstriert gegen den Umzug Foto: Umit Bektas/reuters

Die Di­plo­ma­t:in­nen der US-Botschaft in Kiew brechen ihre Zelte ab. Über 200 Botschaftsangehörige sollen nun in das westukrainische Lwiw, gerade mal eine Autostunde von Polen entfernt, umziehen. Deutschland will vorerst seine Botschaft in Kiew offen halten, hat aber wie viele andere Botschaften in der Ukraine auch, sein Personal reduziert und gleichzeitig das Konsulat vom ostukrainischen Dnipro nach Lwiw verlegt.

Die Message, die bei diesen Evakuierungen rüberkommt, könnte eindeutiger nicht sein: Die Ukraine ist ein sinkendes Schiff, eine heiße Kartoffel. Und was macht man mit einer heißen Kartoffel? Man lässt sie einfach fallen. Dieses Signal einer Absetzbewegung ist in seiner Aussagekraft stärker als alle Beteuerungen von Solidarität und Unterstützung. Gerade, weil eine Invasion der Ukraine durch Russland keinesfalls so sicher wie das Amen in der Kirche ist, muss man gerade jetzt den potentiellen Imageverlust, den Russland bei einem Angriff erleiden würde, so hoch wie möglich ansetzen. Diplomaten, die sich jetzt nach Lwiw absetzen, schauen weg, halten einem Angreifer den Weg frei, gehen an einen Ort, wo sie nicht gebraucht werden. Jetzt ist die Stunde der Diplomatie und bei wichtigen Verhandlungen ist es nicht ratsam, nur auf den Online-Kontakt angewiesen zu sein, es braucht die Anwesenheit geschulter Kräfte vor Ort.

Doppelte Botschaften kommen auch aus Deutschland. Olaf Scholz hat bei seinem kürzlichen Kiew-Aufenthalt viel von Solidarität, Gemeinsamkeiten und Werten gesprochen. Doch so schnell wie er gekommen ist, war er dann auch wieder weg. Nicht einmal übernachtet hat seine Delegation in Kiew. Als sei man nach Tschernobyl gereist. Und was sind schon die großspurig von Scholz in Kiew versprochenen Milliönchen, verglichen mit den Milliarden-Geschäften, die Deutschland mit Russland im Energiebereich macht!

Eines haben die Evakuierung der US-Diplomaten aus Kiew und der sechs Meter lange Verhandlungstisch von Wladimir Putin gemeinsam: Diplomaten und PolitikerInnen gehen derzeit auf Abstand. Dabei ist gerade jetzt Nähe gefragt. Daher müsste es eigentlich genau andersherum laufen: Botschaften sollten ihr Personal aufstocken, internationale Organisationen wie die OSZE sollten noch mehr Präsenz zeigen, Präsident Biden sollte die jüngste Einladung von Präsident Selenski, kurzfristig nach Kiew zu reisen, annehmen und Bundeskanzler Scholz sollte mal für eine Woche nach Kiew kommen.

Weil die PolitikerInnen zunächst an ihre eigene Haut denken, könnte jetzt die Zivilgesellschaft das Vakuum füllen. Wie wäre es mit einem Konzert der in der Ukraine und Russland populären Musikband Rammstein mitten in Kiew oder Charkiw? Wie wäre es mit einem internationalen Kongress in der Nähe der Grenze zu Russland? Signale sind genau so wichtig wie Sprache, und sie müssen jetzt auch von der Zivilgesellschaft kommen.

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Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.

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