Neues Album von US-Künstlerin Mitski: Toxische Lorbeeren

Mit „Laurel Hell“ kommt ein Lebenszeichen von Mitski, die ihre Karriere bereits beendet hatte. Warum die US-Indie-Ikone wieder aufgetaucht ist.

Mitski in leuchtend rotem Kleid und ebensolchem Schlipps

Kopfstarke Reime und schnittige Hooklines: Mitski hat den Masterplan Foto: Ebru Yildiz

Eine Handvoll Leute hatten sich 2016, zur ersten Deutschlandtour der US-Künstlerin Mitski, zum Konzert in Frankfurt eingefunden, bass erstaunt darüber, dass kaum jemand ihre energetischen Songs hören wollte. Die Zeiten ändern sich: Die für Mai angekündigte Deutschlandtour der 31-Jährigen ist bereits vor Veröffentlichung ihres neuen Albums „Laurel Hell“ ausverkauft. Inzwischen bedeuten Songtexte von Mitsuki Frances Laycock, wie Mitski eigentlich heißt, etlichen Fans sogar so viel, dass sie sich ganze Zeilen tätowieren lassen und diese online wie Orden präsentieren.

Was war geschehen? 2018 hatte die US-Musikerin mit japanischen Wurzeln mit „Nobody“ einen Song komponiert, der zur Tiktok-Sensation avancierte. Wenige Monate später zog sie sich aus der Öffentlichkeit zurück und kündigte an, nie mehr auftreten zu wollen. Alle Beschwichtigungsversuche halfen nichts, tatsächlich hatte die Musikerin mit sich und ihrem Erfolg gehadert und warf hin.

Warum sie ihre Entscheidung nun rückgängig gemacht hat, ist nicht bekannt. Jedenfalls hat Mitski vor wenigen Tagen eine neues Album veröffentlicht und tourt damit um die Welt. „Laurel Hell“ heißt es. Die Songs hatte sie bereits 2018 komponiert, als sie über den eingeschlagenen Weg zu zweifeln begann. Von zeitgenössischem Indiepopsound hat sie sich inzwischen verabschiedet und ist mitsamt Synthesizer-Sounds und Halleffekten in den von ihr imaginierten artifiziellen Achtzigern gelandet.

Eighties ohne Nostalgie-Anwandlungen

Die Musik ist zwar an jener Pop-Epoche ausgerichtet, verliert sich jedoch nie zu sehr in Nostalgie. „Valentine, Texas“ beginnt mit einer einsamen Bass-Synth-Line, zu der die Sängerin in merkwürdig leblosen Hall gehüllt „Let’s step carefully into the Dark“ singt. Dann explodiert das spärliche Arrangement in melancholischem Varietésound: „I’ll show you who my sweetheart’s never met“. Hinein also in die Untiefen des Inneren, die nicht einmal ihre Liebsten kennen.

Mitski: „Laurel Hell“ (Dead Oceans/Cargo)

Noch nie hat sich Mitski gänzlich an die simple diatonische Harmonik von Pop gehalten. Ihre Songs sind auch nicht der typischen Strophe-Refrain-Strophe-Struktur verpflichtet, „Laurel Hell“ bildet da keine Ausnahme. Das hypnotische „There’s Nothing Left Here for You“ tanzt spielerisch um ein eindeutig tonales Zentrum herum, „Everything“ beschwört in seinem minimalistischen Arrangement eine düstere Spielart von New-Wave-Synthiepop herauf.

Mit „Heat Lightning“ geht es noch weiter zurück, der Song zitiert Velvet Undergrounds „Venus in Furs“ – auch das Thema Schlaflosigkeit taucht bei Mitski auf, genau wie seinerzeit in Lou Reeds masochistischem Songtext. Nun singt auch die US-Musikerin ihre Schlaflosigkeit evozierenden Dämonen an.

Fast wie bei der Karaoke

Die Zitate täuschen nicht darüber hinweg, dass sich Mitski stärker denn je an Dancepop orientiert: Etwa beim makellosen Hit „The Only Heartbreaker“ (der zugleich kess an eine am Kitsch vorbeischrammende Karaoke-Nummer erinnert); und bei den Motown/Disco-Anleihen von „Should’ve Been Me“ samt „Dancing Queen“-Piano-Zitat. Mitskis neue Songs ergeben zusammen gehört zwar auch ein Puzzle einer gescheiterten Beziehung. So stellt sich Mitskis erzählerisches Ich mehreren bitteren Wahrheiten: von der Einsicht über eigene Unzulänglichkeiten bis zur Unmöglichkeit emotionaler Hingabe.

Es bietet sich noch eine andere Lesart an: Anstatt die Songs nur als traurigen Liebesreigen zu interpretieren, verhandelt ­Mitski in ihnen auch ihr Verhältnis zur Musik insgesamt. „Laurel Hell“ thematisiert zugleich ihre schwierige Beziehung zum Indiestar-Alter-Ego, zum Publikum und zur Branche. Sie begegnet in den Songs nicht zuletzt ihrer Angst davor, hinter einem Kunstcharakter, den die Musikerin simultan natürlich selbst kultiviert, verloren zu gehen.

Schon der Albumtitel transportiert jenen Zwiespalt: Als „Laurel Hell“ bezeichnen die Einheimischen in den Appalachen dicht bewachsene Berglorbeer-Sträucher. Die Pflanze selbst erstrahlt vollständig erblüht in wunderschöner Pracht. Verirrt man sich jedoch einmal ins Dickicht, ist aus dem unüberschaubaren Labyrinth bisweilen kein Entrinnen mehr: Etliche Menschen seien dort schon spurlos verschwunden, heißt es.

Hochtoxisch sind jene Lorbeeren obendrein. Und so ist die Musik, eingerahmt durch die geltungssüchtige Forderung in „Love Me More“ und der ernüchterten Reflexion in „I Guess“, ein kreativer und narrativer Befreiungsversuch geworden, intro­spektiv in einem Moment und frenetisch im nächsten.

Ein Tanz auf des Messers Schneide, oder wie es etwas kryptisch in „Working for the Knife“ heißt: „I used to think I’d be done by twenty / Now at twenty-nine, the road ahead appears the same […] I start the day lying and end with the truth / That I’m dying for the knife“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.