Ausstellung in Hamburg zu Pueblo-Kunst: Lauter Leerstellen

Studierte der Kunsthistoriker Aby Warburg indigene Gesellschaften aus kolonialem Interesse? So oder so ließ er sich dabei Touristenramsch andrehen.

Der Kunsthistoriker Aby Warburg und ein unbekannter Navajo-Mann

Touristisch erschlossenes Reiseziel: Aby Warburg und ein Navajo-Mann, Keams Canyon, Arizona, 1896 Foto: © Warburg Institute Archive, London

HAMBURG taz | Ist es okay, Aby Warburg als geistigen Ahnherrn des Berliner Humboldt-Forums heranzuziehen? Horst Bredekamp, Gründungsintendant des umstrittenen Ausstellungshauses, hatte vor einem Jahr Warburg in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als geistige Inspiration in Dienst genommen: als Kunsthistoriker, der nicht aus kolonialem Interesse die Werke indigener Gesellschaften studierte, sondern um deren Schätze für die Nachwelt zu bewahren.

„Rettet, rettet, rettet“, das sei Warburgs Motivation hinter dem Sammeln gewesen, behauptete Bredekamp und macht den 1929 Verstorbenen so zum Kronzeugen gegen einen linken, identitätspolitisch motivierten Postkolonialismusdiskurs.

Im gleichen Atemzug unterstellt Bredekamp diesem Diskurs auch grundsätzlichen Antisemitismus – ob der säkulare Jude Warburg es gut gefunden hätte, heute als Stichwortgeber für eine Institution zu gelten, die sich bis zum Kreuz auf der Kuppel des Gebäudes als christlich versteht?

Zumal Warburgs kunsthistorisches Denken nicht per se als antikolonialistisch durchgeht. Das zeigt die Hamburger Ausstellung „Blitzsymbol und Schlangentanz – Aby Warburg und die Pueblo-Kunst“. Warburg war 1895 in die USA gereist, zunächst zur Hochzeit seines Bruders nach New York, dann aber, angewidert von der vorgeblichen Kulturlosigkeit der Metropole, weiter Richtung Westen, als „gebildeter Tourist“, wie es Co-Kurator Uwe Fleckner ausdrückt, der in rituellen wie alltäglichen Gegenständen indigener Gesellschaften die Ursprünge symbolischer Kunst finden wollte.

„Blitzsymbol und Schlangentanz. Aby Warburg und die Pueblo-Kunst“: bis 8. 2. 23, Hamburg, Museum am Rothenbaum (Markk)

Und der sich dabei nicht immer vorbildlich verhielt: Warburgs Blick war ein formalistischer, der davon überzeugt war, dass sich das Wesen eines rituellen Objekts durch Anschauung erschließen ließe. Dass diese Anschauung ein Gewaltakt sein kann, wollte ihm nicht in den Sinn.

Tatsächlich sind aber bestimmte rituelle Objekte Träger von Geheimwissen, das keinem breiteren Publikum zur Verfügung gestellt werden darf; wenn man diese Objekte also sammelt und weiterträgt, entweiht man sie. Warburgs gut gemeintes „Rettet, rettet, rettet“ bedeutet eigentlich „Sammelt, katalogisiert, präsentiert“, und es zielt somit an den Exponaten vorbei, trotz bester Absichten.

Fotografier- und Abbildungsverbot

Die von Warburg besuchten Pueblo-Gesellschaften befinden sich in der heutigen Four-Corners-Region im Grenzbereich von Arizona, Utah, Colorado und New Mexico. Das war Ende des 19. Jahrhunderts kein unbekanntes Land mehr, sondern eine touristisch erschlossene Gegend, in der reges, kulturell meist unsensibles Interesse für indigene Kultur vorherrschte. Zwischen 1898 und 1920 hatten die meisten Pueblo-Gemeinschaften ein Fotografier- und Abbildungsverbot für rituelle Aktionen erlassen – ein Hinweis darauf, wie belastend die öffentliche Aufmerksamkeit gewesen sein muss.

Die Hamburger Ausstellung thematisiert das mit einer Karikatur aus „The Illustrated Police News“ von 1886, in der die An­thro­po­lo­g*in­nen James und Matilda Coxe Stevenson sich in einem Pueblo-Umfeld wie die Axt im Walde aufführen. Dass Warburgs Verhalten im Vergleich kultursensibler gewesen sein dürfte, ändert nichts daran, dass er die rituellen Objekte ebenfalls ohne tieferes Verständnis öffentlich machen wollte: Ab 1902 vermachte er dem Markk-Vorgänger, dem Hamburger Museum für Völkerkunde, einen Großteil seiner Sammlung.

In Teilen wurde der Bestand immer wieder präsentiert, meist in der heute als inhaltlich problematisch angesehenen Ausstellung über die Völker Nordamerikas. „Blitzsymbol und Schlangentanz“ ist allerdings die erste kritische Gesamtpräsentation dieses Vermächtnisses. Und man merkt den Ku­ra­to­r*in­nen Christine Chávez und Fleckner an, wie bemüht sie sind, tatsächlich kritisch mit dem Erbe umzugehen: dass sie Warburg eben nicht wie Bredekamp lobend für eine antikoloniale Sicht vereinnahmen wollen. Und dass sie seine anthropologischen Forschungen dennoch würdigen.

Abwesendes als Scherenschnitt

In der praktischen Umsetzung allerdings bringt das gewisse Probleme mit sich. Den Ku­ra­to­r*in­nen standen mit Stewart B. Koyiyumptewa (Direktor des Hopi Cultural Preservation Service), Joseph H. Suina (Oberster War Chief von Cochiti Pueblo) und Joseph R. Aguilar (stellvertretender Beauftragter des Tribal Historic Preservation Office von San Ildefonso Pueblo) Betroffene beratend zur Seite; sobald bei einem Exponat die Frage auftauchte, ob man es hier mit einem rituellen Objekt zu tun haben könnte, wurden diese um Rat gefragt.

Und wenn etwas als „kulturell sensibel“ eingestuft wurde, wurde es nicht gezeigt. Beziehungsweise: In den Vitrinen sind hier „Leerstellen“ zu sehen, Scherenschnitte, die auf die problematischen Objekte verweisen, ohne sie zu zeigen. Es sind einige „Leerstellen“, die hier aufscheinen.

Das macht „Blitzsymbol und Schlangentanz“ zur Gratwanderung. Einerseits geht es darum, etwas zu zeigen, andererseits sorgt das kuratorische Selbstverständnis dafür, dass man nicht alles zeigen kann. Zumal Letzteres immer Interpretationssache ist: Wenn man um das Abbildungsverbot innerhalb der Pueblo-Gemeinschaften weiß, sind Warburgs Fotos des Büffel-Hirsch-Tanzes im San Ildefonso Pueblo problematisch, auch wenn Berater Aguilar grünes Licht gibt.

Schön allerdings sind einzelne Objekte, die zwar durch die typischen Stufenverzierungen wirken, als ob sie einen rituellen Zweck erfüllt hätten, in Wahrheit aber tatsächlich nur Töpfe und Schalen sind. Aguilar: „Nur weil etwas rituell aussieht, heißt das noch nicht, dass es das auch ist.“ Mit anderen Worten: Warburg ließ sich hier Touristenramsch andrehen.

An einer Stelle verweist die Ausstellung auf den Indigenen Cleto Yurina, der Warburg ein „extrem bedeutendes“ Ritualobjekt verkauft hatte. Bloß: Yurina war in Cochiti Pueblo als Trinker und Betrüger verrufen, das Objekt hatte er in Wahrheit selbst hergestellt. Dass Warburg, der eine übergreifende Struktur in den untersuchten Arbeiten suchte, sich so leicht über den Tisch ziehen ließ, ist erfrischend menschlich – einerseits.

Andererseits lässt sich über die – jenseits der Betrugsabsicht durchaus beeindruckende – künstlerische Fertigkeit Yurinas auch ein Bezug herstellen zur heutigen ­Pueblo-Kunst, die eine ganz und gar nicht marginale Position auf dem US-Kunstmarkt darstellt; und von der einzelne Beispiele, von Roxanne Swetzell und von Victor Masayesva etwa, einen Link in die Gegenwart herstellen, wie ihn die zwangsläufig fragmentarische Ausstellung ansonsten vermeidet.

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