Debatte um Berlinale in der Pandemie: Kino bedeutet Mut

Am Donnerstag beginnt die Berlinale, trotz hoher Inzidenzen live vor Ort. Das ist, trotz allem, der richtige Weg.

Zwei Menschen stehen vor einem Plakat der Berlinale

Die Berlinale-Chef*innen Carlo Chatrian (r.) und Mariette Rissenbeek mit dem Winter-Berlinale-Bär Foto: dpa

Was lange kaum jemand erwartet hatte, scheint zu passieren: die Berlinale 2022 findet statt, live, in Farbe, vor Ort, (fast) wie geplant. Seit Dienstag ist das wie immer kaum zu überblickende Programm online, am kommenden Donnerstag soll es mit dem Eröffnungsfilm und einer etwas kleiner dimensionierten Eröffnungsfeier losgehen. Auch Corona-Inzidenzen von über 2.000 in der Berliner Innenstadt können das Filmfest offenbar nicht stoppen.

Für die meisten Cineasten ist das ein Grund zur Freude; nur wenige mahnen und halten eine internationale Großveranstaltung in der aktuellen Situation für einen Irrweg. An einer Präsenzveranstaltung festzuhalten sei „ein Schlag ins Gesicht derer, die sich die letzten zwei Jahre in Solidarität geübt und an die Regeln gehalten haben“, kommentiert zum Beispiel der RBB.

Diese Argumentation hätte vielleicht in den ersten Coronawellen ihre Gültigkeit gehabt, inzwischen wirkt sie gestrig. Tatsächlich ist nämlich das Gegenteil der Fall. Dass Ereignisse wie die Berlinale stattfinden, ist eine Belohnung für alle jene, die Solidarität gezeigt und die Regeln beachtet haben. Ihnen sei gegönnt, ins Festivalkino zu gehen – sofern sie denn Tickets ergattern können.

Längst geht es in der Pandemie nicht mehr darum, Veranstaltungen großflächig zu verhindern, sondern sie zu ermöglichen. Das Konzept, auf das sich die Berlinale-Organisator*innen zusammen mit dem Bund als Hauptfinanzier geeinigt haben, ist dabei deutlich strikter als das, was sonst in Berlin gilt: Nur halb voll (oder halb leer, je nach Geschmack) dürfen die Kinosäle werden, dazu gilt 2G plus. Letzteres ist auch Vorschrift zum Beispiel in Berliner Landestheatern, allerdings bei gleichzeitig voller Auslastung. Und in den meisten Kinos sitzt man deutlich weiter voneinander entfernt als etwa im Berliner Ensemble. Offizielle Filmpartys- und empfänge sind abgesagt.

Warten auf den Höhepunkt der Welle

Bislang geht die bundesweite Taktik, die Pandemie weitgehend laufen zu lassen, ohne die Krankenhäuser zu überfordern, offensichtlich auf. In Berlin deutet gar einiges darauf hin, dass der Höhepunkt der Welle bald erreicht ist – sofern die Zahlen über Infektionen stimmen. Vor diesem Hintergrund macht eine Politik, die sich an möglichst wenig oder gar keinen Infektionen orientiert, keinen Sinn. Wenn das Virus bleibt, und danach sieht es aus, müssen wir damit leben. Und das heißt nicht: einigeln.

Vor zwei Jahren war die Berlinale die letzte Großveranstaltung, die vor der Pandemie in Deutschland stattfand. Am ihrem letzten Tag, dem 1. März, wurde der erste Corona-Infizierte in Berlin bestätigt. Zwei Wochen später waren Schulen und Kulturorte dicht, das Land im Lockdown. Es ist gut möglich, dass diese Berlinale den ersten Schritt aus der Pandemie heraus signalisiert.

Besondere Filme zeichnet aus, dass sie etwas zeigen, das so bisher nicht zu sehen war. Sie müssen mutig sein, etwas wagen, sei es inhaltlich, sei es visuell. Diesen Mut brauchen auch Festival-Chef*innen – in der Pandemie eben nicht nur bei der Auswahl des Programms. Mögen die Filmfestspiele beginnen.

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Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.

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