Neues Buch zum Verrat an Anne Frank: „Das Buch ist voller Fehler“

Wer verriet Anne Frank? Eine Recherche nannte den Namen eines jüdischen Notars aus Amsterdam. Nun mehrt sich die Kritik daran.

Eine Statue von Anne Frank

Eine Statue in Amsterdam erinnert an Anne Frank Foto: Paulo Amorim/imago

BERLIN taz | Die Zweifel an den Recherchen eines internationalen Ermittlerteams, das den Verräter von Anne Franks Versteck entdeckt haben will, wachsen. Inzwischen hat der niederländische Verlag, der das Buch von Rosemary Sullivan zu der Ermittlung mit dem Titel „Het verraad van Anne Frank“ (Der Verrat an Anne Frank) herausgibt, um Entschuldigung gebeten. Ob die deutsche Fassung des Buchs wie geplant bei HarperCollins im März erscheinen wird, ist zweifelhaft. Man befinde sich „nach zwei Fachlektoraten des Manuskripts in einer internen Überprüfung“, sagte Verleger Jürgen Welte der Süddeutschen Zeitung.

Das Team hatte fünf Jahre untersucht, wer 1944 das Versteck von acht jüdischen Menschen in Amsterdam an die Nazis verraten hatte. Anne Frank schrieb dort ihr weltberühmtes Tagebuch. Zwei Jahre lang lebten die Familien in dem Hinterhaus, bevor sie entdeckt und deportiert wurden. Nur Annes Vater Otto überlebte.

Mitte Januar hatte das Team um den ehemaligen FBI-Agenten Vincent Pankoke und dem Journalisten Pieter van Twist mit der Erklärung, ein jüdischer Notar namens Arnold van den Bergh habe das Versteck der Familie Frank verraten, um selbst der Deportation zu entgehen, für internationale Schlagzeilen gesorgt. Als wesentliches Indiz präsentierten die privaten Ermittler die Kopie eines Schreibens von Annes Vater Otto Frank, in dem ein Unbekannter van den Bergh beschuldigt, eine Liste mit den Orten versteckter Juden an die SS weitergegeben zu haben.

Allerdings war die Existenz dieses Briefs schon lange bekannt, nur lag das Papier nicht mehr vor. Unklar bleibt bis heute, wer der anonyme Hinweisgeber war und ob seine Behauptung der Wahrheit entspricht. Das Ermittlerteam machte in seiner Präsentation der Ergebnisse daraus eine Wahrscheinlichkeit von „mindestens 85 Prozent“ für den Verrat des Notars. Einen Beweis für diese These konnte es aber nicht vorlegen.

Vorwurf der unsauberen Arbeit

Historiker werfen den Rechercheuren eine unsaubere Arbeit vor. So zweifelt Sytze van der Zee, der selbst ein Buch über jüdische Verräter während der Nazi-Besatzung in den Niederlanden mit dem Titel „Vogelfrei“ veröffentlicht hat, an der Behauptung, das Team habe andere mögliche Verräter mit Sicherheit ausgeschlossen. So hätten die Privatermittler zwar seine Forschungen herangezogen, dabei aber die bekannte Gestapo-Zuarbeiterin Ans van Dijk nicht in Betracht gezogen, weil sich diese zum Zeitpunkt der Verhaftung von Anne Frank in Utrecht aufgehalten habe. Tatsächlich sei sie aber zeitweise zu Besuch in Amsterdam gewesen und habe dort ihren Gestapo-Kontaktmann getroffen, sagte van der Zee der taz.

Zudem moniert van der Zee, dass der beschuldigte Notar Arnold van den Bergh zum Zeitpunkt von Anne Franks Verrat längst untergetaucht in einem Versteck gelebt hat. „Es bestand überhaupt keine Notwendigkeit für einen Verrat“, sagt der Historiker: „Das Buch ist voller Fehler und falscher Annahmen.“ Auch der in Basel beheimatete Anne Frank Fonds wirft dem Team vor, nicht ergebnisoffen und nicht rein wissenschaftlich“ gearbeitet zu haben. „Wir hofften auf eine seriöse und faktenbasierte Recherche“, sagte deren Präsident John D. Gold­smith. „Doch die Art und Weise, wie da ‚geforscht‘ worden war, hat uns enttäuscht.“

Ein Jude verrät Juden?

Unstrittig ist, dass es in der NS-Zeit auch wenige Juden gab, die meist unter Zwang mit der Gestapo kooperierten und andere Juden ans Messer lieferten. Die Art und Weise der Veröffentlichung – als internationales Medienevent einschließlich einer Fernsehshow beim US-Sender CBC – löste allerdings heftige Kritik aus. Das Buch schiebe „die Schuld am grausamen Tod von Anne Frank einem unschuldigen Juden in die Schuhe“, sagte der Schriftsteller Leon de Winter.

„Jetzt lautet die Kernaussage: Ein Jude verrät Juden. Das bleibt im Gedächtnis und das beunruhigt“, beklagte auch Goldsmith vom Anne Frank Fonds. Und Elise Tak, eine Verwandte des 1950 verstorbenen van den Bergh, sagte dem Spiegel: „Jetzt ist das Stereotyp eines jüdischen Verräters wieder in der Welt.“

Der niederländische Verlag Ambo Anthos kündigte am Montag in einer E-Mail an, den Druck des Buchs auszusetzen. Es seien Fragen aufgetaucht, schrieb Verlegerin Tanja Hendriks. Man entschuldige sich „aufrichtig bei allen, die sich durch das Buch angegriffen fühlen“. Unklar blieb allerdings, ob auch der Verkauf der ersten Auflage gestoppt wird.

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