Die Wahrheit: Wunder Tür

Zu den mechanischen Mirakeln, die sich dem menschlichen Geist ebenso verschließen wie öffnen, gehört zweifelsohne die Tür.

Und so stand ich dann vor dem Wunder namens Tür. Man unterscheidet zwischen einerseits „Naturwundern“ wie Leben, Geburt, Verdauung oder Firmament und andererseits menschengemachten Wundern. Zu Letzteren gehört, neben Geigenspiel, Lesebrille und Elektronik, auch die Tür. Schon früher waren mir Türen – so lautet der Plural – begegnet, daher wusste ich, worum es sich handelte.

Eine Tür ist eine Schwachstelle der Wand, doch gleichwohl ungemein nützlich, wenn ein hinter der Wand gelegener Raum – es kann auch ein räumlicher Außenbezirk wie das sogenannte Freie sein – erreicht werden soll, ohne die Wand auf umständliche Weise zu durchbrechen. Anders als Lappen, die in Wandöffnungen gehängt werden, kann so eine aus Holz oder Metall gefertigte Tür durchaus ein guter Ersatz für das öffnungsbedingt fehlende Stück Wand sein. Hinzu kommt der vorteilhafte Effekt ihrer Beweglichkeit.

Türen werden gern an sogenannten Scharnieren befestigt, sodass sie, je nach Notwendigkeit, in Schwingung versetzt werden können. Dadurch lassen sie sich sowohl öffnen als auch schließen. Auf der den Scharnieren gegenüberliegenden Seite ist bei einer Tür in praktischer Höhe ein Mechanismus angebracht, für dessen Bestandteile Ausdrücke wie „Griff“ oder „Klinke“, „Schloss“ und „Riegel“ erfunden wurden.

Dieser Mechanismus findet seine funktionale Entsprechung (Einrastung) an einer unmittelbar benachbarten Stelle des Türrahmens. Man muss das alles selbst gesehen und ausprobiert haben. Beschreiben lässt es sich kaum.

Die Tür, vor der ich nun stand, war also ein nützlicher Gegenstand. Zu mir in Beziehung gesetzt, wirkte sie um so nützlicher, denn sie konnte mir von Nutzen sein. Weil ich sonst nicht in den – zumindest theoretisch vorausgesetzten – Raum hinter ihr gelangen, ja nicht einmal einen Blick in denselben werfen konnte, blieb mir nichts anderes übrig, als den Öffnungsmechanismus in Gang zu setzen.

Es ist jedoch ganz unmöglich, diesen komplexen Vorgang mit Worten auch nur einigermaßen anschaulich zu schildern. Das Werkzeug der menschlichen Sprache ist dazu ungeeignet, der menschliche Verstand sieht sich hoffnungslos überfordert.

Eingeleitet wurde der Prozess mit einem dreimaligen „Anklopfen“, das heißt, ich klopfte mit dem mittleren Gelenkknochen meines rituell eingebogenen Zeigefingers vernehmlich an die Holzplatte, aus der die Tür zum größten Teil bestand. Dann erst erfolgten die Manipulationen an oben erwähntem Mechanismus. Während die Tür selbst schon ein Wunder war, ereignete sich nun auch noch, von meiner Hand und vor meinen Augen, das Wunder ihrer Öffnung. Ich war sein Urheber und Zeuge zugleich!

Zweifellos gehört große seelisch-nervliche Festigkeit dazu, die Wandlung des Anblicks zu verkraften, die stattfindet, wenn die Tür dem Druck der Hand nachgibt, aufschwingt und dem Durchgangswilligen zuletzt einen neuen Raum offenbart.

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kari

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