Angeklagter will Drohungen nicht verfasst haben

Tag zwei beim „NSU 2.0“-Prozess: Der Beschuldigte schiebt alles auf eine Chatgruppe im Darknet

Aus Frankfurt am Main Konrad Litschko

Er gibt sich als Unschuldiger. Die Vorwürfe gegen ihn seien „unsäglich“, erklärt Alexander M. am Donnerstag vor dem Frankfurter Landgericht. Er werde hier als „nützlicher Idiot“ hingestellt, dem man aufgrund seiner Vorstrafen „alles in die Schuhe schiebt“. Dabei habe er kein einziges „NSU 2.0“-Schreiben verschickt, kenne keine der Bedrohten. „In keinem einzigen Fall habe ich eine Straftat begangen.“

Dabei sind die Vorwürfe und Indizien gegen Alexander M. massiv. Fast drei Jahre lang soll der 54-jährige Berliner als selbst ernannter „NSU 2.0“ 116 Drohschreiben an zumeist Engagierte gegen Rassismus verschickt haben, an die NSU-Opferanwältin Seda Başay-Yıldız, Linken-Chefin Janine Wissler oder die Kabarettistin Idil Baydar. Wüste rassistische Beschimpfungen mit expliziten Todesdrohungen, oft gespickt mit privaten Daten – die in den Fällen von Başay-Yıldız, Wissler und Baydar zuvor auf Polizeirevieren abgerufen wurden. Bis Alexander M. am 3. Mai 2021 in Berlin festgenommen wurde.

Seit Mittwoch steht der Erwerbslose nun vor Gericht, am zweiten Prozesstag zückt er einen Zettel mit einer Erklärung, setzt seine Lesebrille auf und legt aufgeregt berlinernd los. Nicht er, sondern eine Gruppe in einem Darknetforum, zu der auch Polizisten gehörten, habe die „NSU 2.0“-Schreiben koordiniert, behauptet er. Er selbst sei dort über einen Bekannten Mitte 2019 Mitglied geworden, ein Jahr später aber wieder ausgestiegen. Es sei um „rechte Politik“ gegangen, mit „lustigen“ Chats, der Umgangston sei aber „unter aller Sau“ gewesen. Başay-Yıldız sei bedroht worden, weil sie für Ärger in der hessischen Polizei gesorgt habe, sagt M. Dass ihre kleine Tochter bedroht wurde, sei „eine Sauerei“, aber: „Ich wars jedenfalls nicht.“

Jedoch ging der Ärger für die hessische Polizei überhaupt erst nach den ersten Drohschreiben an Başay-Yıldız los. Und Alexander M. nennt weder den Namen des Forums, noch die von Mitgliedern. Das brächte ihm Nachteile, er bräuchte ein Zeugenschutzprogramm, sagt er im Gericht. Dass er laut Anklage über fingierte Anrufe an Polizeidaten kam, weist er als „hanebüchenen Unsinn“ zurück. Kein Polizist würde einfach so am Telefon Daten herausgeben. Und die Diktion der Schreiben spreche eher für „politisch frustrierte Polizeibeamte“. Aber M. raunt, er habe aus der Darknetgruppe „Polizeiinsiderwissen“, etwa über den Suizid eines Polizisten. Der Staatsanwalt kontert: Der Fall habe auch in der Zeitung gestanden.

Wozu Alexander M. indes fast nichts sagt, sind die „NSU 2.0“-Drohschreiben oder Fragmente davon, die auf seinem Computer gefunden wurden. Oder die Zugriffsdaten auf ein Yandex-E-Mail-Postfach, von dem fast alle Schreiben verschickt wurden. Da habe er sich mal was aus dem Darknetforum runtergeladen, sagt er nur. Und auch seine vielen Vorstrafen „sagen gar nichts“.

Nachfragen des Gerichts aber will Alexander M. nicht beantworten. Seine Verteidiger wollten das nicht, sagt er. Ob er denn seine teils noch verschlüsselte Rechnerfestplatte freigeben würde, fragt Richterin Corinna Distler. Alexander M. lehnt auch das ab. „Ich verspreche mir daraus keine Verbesserung meiner Verhandlungsposition.“