Tunesische Anwältin Yosra Frawes: Preisverdächtiger Feminismus

Yosra Frawes ist Juristin und Menschenrechtsaktivistin. Nun wird sie mit dem Anne-Klein-Frauenpreis der Heinrich-Böll-Stiftung ausgezeichnet.

Porträt der tunesischen Feministin Yosra Frawes

Setzt sich für die Rechte von tunesischen Frauen ein: Yosra Frawes Foto: Youssef Ben Ammar

BERLIN taz | Als Männer – wieder einmal – das Sagen hatten in ihrem Land, setzte sie ein Zeichen für die Frauen: Nach der Revolution in Tunesien im Jahr 2011 wurde die Juristin, Lyrikerin und Menschenrechtsaktivistin Yosra Frawes Mitglied des Expertenausschusses der Obersten Behörde – eines Gremiums, das für den demokratischen Übergang und vor allem für die Gesetzgebung nach der Revolution zuständig war. Darin saßen vor allem Männer. Frauenrechte, das ahnte die heute 43-Jährige, würden erneut zu kurz kommen. Auch die Schwächsten der Gesellschaft – Kinder, Alte, Kranke, Arme, unverheiratete Mütter – könnten bei der Gestaltung der neuen Gesellschaft vergessen werden.

Fortan durchforstete Frawes tunesische Gesetzestexte nach Fragen wie: Höhlen Paragrafen Menschenrechte aus? Gewährleisten Gesetze individuelle Rechte? Wie steht es um die Meinungs- und Pressefreiheit? Sind tunesische Rechtsvorschriften vereinbar mit internationalen Normen? Ihr Bemühen um Gleichstellung sorgte unter anderem für eine paritätische Besetzung von Frauen und Männern auf Wahllisten. Zudem schreibt die tunesische Verfassung von 2014 eine geschlechtergerechte Besetzung der politischen Ämter als Staatsziel fest.

Schon als Schülerin wehrte sich Yosra Frawes­ gegen patriarchale Erwartungen an sie als Mädchen und Frau. Als ein Junge auf dem Schulhof konstatierte, seine zukünftige Frau bleibe zu Hause, er sei es, der arbeiten gehe, erklärte sie inbrünstig: „Frauen haben das volle Recht zu arbeiten. Genauso wie die Männer!“ Heute nennt Frawes das eine „vollumfänglich praktizierte Gleichheit zwischen Männern und Frauen“.

Yosra Frawes wuchs in einem patriarchalen Umfeld auf. Und doch war es ihre Mutter, die die Familie managte, für deren Unterhalt sorgte und dafür, dass alle Töchter zur Schule gingen. Yosra Frawes studierte Rechts-, Politik- und Sozialwissenschaften und später auch Wirtschaft an der Universität Tunis. In ihrer Masterarbeit befasste sich die Feministin, die erst Mitglied der tunesischen Vereinigung demokratischer Frauen und später deren Präsidentin war, mit dem tunesischen Eherecht.

Islamisten im Parlament kritisierten das Antigewaltgesetz

Damals gehörte in Tunesien eine Frau ihrem Mann, oft prägte männliche Gewalt den Alltag von Frauen. In dieser zutiefst misogynen Gesellschaft setzte sich Frawes für Alleinerziehende und Gewaltopfer ein und dafür, dass unverheiratete Paare mit Eheleuten rechtlich gleichgestellt werden. Sie bereitete das erste tunesische Gewaltschutzgesetz mit vor, das im Sommer 2017 verabschiedet wurde. In diesem Zuge wurde ein Paragraf aus dem Jahr 1958 aufgehoben, der 13-jährige Mädchen für sexuell mündig erklärte. Die Islamisten im Parlament kritisierten das Antigewaltgesetz damals heftig.

Seit 2013 leitet Frawes als erste tunesische Frau die Fédération Internationale pour les Droit Humains, einen Dachverband verschiedener Menschenrechtsorganisationen für den Maghreb und den Nahen Osten. Nun wird sie mit dem feministischen Anne-Klein-­Frauenpreis der Heinrich-Böll-Stiftung ausgezeichnet.

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