Hexenprozesse: Die Hexenjäger-Universität

Die vor 400 Jahren gegründete Universität von Rinteln war mal eine Autorität – in Sachen Hexenprozesse. Heute ist sie weitgehend vergessen.

Rinteln im Weserbergland: Von hier kamen massenhaft juristische Gutachten für Hexenprozesse Foto: Moritz Frankenberg/dpa

BREMEN taz | Orte der Wissenschaft sind immer auch jene ihrer Irrtümer und Fehlentwicklungen, kurz ihres Scheiterns: Ein herausragender Ort der Wissenschaft in Norddeutschland ist daher die Universität von Rinteln, die vor 400 Jahren gegründet worden war. Weitestgehend ist sie vergessen und selbst architektonisch hat sie nur wenige Spuren in der kleinen Stadt am Rande des Schaumburger Lands hinterlassen. Für ein eigenes Hauptgebäude hat es nie gereicht. Und bezeichnenderweise ist von der originären Substanz der Alma Mater Ernestina eigentlich nur die hübsche Fachwerk-Kommisse stehen geblieben – sprich: die Uni-Kneipe. Sie diente praktischerweise auch als Wohnheim – und ermöglichte der akademischen Kleinstadtwelt aus Professoren und Studenten, auch jenseits der Sperrstunde zu saufen. Nichts konnten sie besser als das!

Die Akkreditierung hatte der zuständige Landesherr Ernst von Schaumburg-Holstein für 100.000 Reichstaler beim Kaiser erworben, und wäre er nicht am 17. Januar 1622, ein halbes Jahr nach der Einweihungsfeier, gestorben, wer weiß, vielleicht hätte die Institution eine bessere Entwicklung erfahren. Es spricht allerdings wenig dafür. Im Gegenteil, noch vor Ableben des Stifters hatte ein verdienstvoller Jurist und Domscholar aus Bremen namens Engelbert von Wippermann sich und die Seinen in den akademischen Betrieb dauerhaft eingekauft, durch Schaffung einer rechtswissenschaftlichen Professur: Deren Statuten sahen vor, dass sie durch Angehörige seiner eigenen Familie und der seiner Frau jeweils an einen dazu befähigten Angehörigen seiner eigenen Familie oder notfalls der seiner Frau zu vergeben sei. Und so wurde es gemacht, mit einer Ausnahme, nämlich den ersten Lehrstuhlinhaber, Hermann Goehausen. Der war nämlich ein guter, vielleicht ein bester Freund.

Regeln fürs Foltern

Der Gerechtigkeit halber muss man sagen, dass Goehausens Forschungen in Rinteln schulbildend gewirkt haben – und die Universität zumal in den protestantischen Ländern zu einer Autorität haben avancieren lassen, bei der fast ein Jahrhundert lang juristische Gutachten bestellt wurden. Goehausens Beitrag zur Rechtswissenschaft verdient noch heute Beachtung, weil er so verhängnisvoll war. Mit zwei in der Rintelner Universitätsdruckerei veröffentlichten Abhandlungen hat er das Hexenstrafprozesswesen geordnet. Die erste beantwortet die drei konkreten Fragen, ob das Gottesurteil der Wasserprobe im Zaubereiprozess in Westfalen angewandt werden sollte, ob man alle unter der Folter angezeigten Personen nur mit weiteren Anzeichen foltern darf und ob die nächtlichen Treffen der Zauberer und Hexen mit dem Teufel real sind, umständlich, aber entschieden mit Ja.

Die andere, lateinisch und deutsch verfasst, regelt, getreu dem Titel „Wie man gegen Unholdten und Zauberische Personen verfahren soll“ die Abfolge und Teilschritte von der Denunziation über die Festnahme und Folter – nie länger als eine Stunde am Stück! – bis zur Verbrennung. Während der psychopathische Autor des irrlichternden Hexenhammers um 1500 noch eine Ideologie durchsetzen wollte und legitimieren musste, geht es hier um die Regelung und Festigung einer etablierten Praxis: Einer weiteren Rechtfertigung bedarf diese nicht mehr. Die Ordnung, die Wissenschaft hier bestätigt und zementiert, ist eine des Alltags. Sie optimiert den Betrieb.

Goehausen stirbt 1632. Im Jahr zuvor war Friedrich von Spees „Cautio Criminalis“, die erste Streitschrift gegen Hexenverfolgung, erschienen – ebenfalls im Verlag der Rintelner Universitätsdruckerei, allerdings anonym. Mit gutem Grund: Bis 1675 haben Rintelner Juristen im Sinne Goehausens bei Hexenprozessen in ganz Norddeutschland als Gutachter mitgewirkt – stets zu Ungunsten der Bezichtigten. Dass danach eine aufklärerische, genau gegenläufige Denkschule die örtliche Jura-Fakultät übernimmt, gehört zur historischen Wahrheit, die im örtlichen Stadtmuseum mustergültig erforscht und aufbereitet worden ist. Dass Rintelns Universität danach nie mehr den Status einer anerkannten Autorität genossen hat, beweist hingegen, dass die Ironie der Wissenschaftsgeschichte besonders bitter ist.

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