Zukunft des Berliner Molkenmarkts: Showdown hat begonnen
Zurück in die Vergangenheit oder vorwärts in die Zukunft? Am Molkenmarkt in Mitte entscheidet sich Berlins künftige Stadtentwicklungspolitik.
Marek Czyborra und Tom Klingbeil haben zusammen mit dem Kopenhagener Büro OS arkitekter einen der beiden ersten Preise für den städtebaulichen Wettbewerb am Berliner Molkenmarkt gewonnen. Ihr Entwurf könnte gegenüber dem zweiten Siegerentwurf von Bernd Albers und Silvia Malcovati unterschiedlicher nicht sein. Stadtplanung auf der Höhe der Zeit auf der einen und die Wiedergewinnung des „Herzens Berlins“ durch eine Annäherung an den historischen Molkenmarkt hinter dem Roten Rathaus auf der anderen Seite. Am Donnerstag haben beide Büros ihre Arbeiten im Rahmen einer Auftaktveranstaltung zu einem sogenannten Werkstattverfahren vorgestellt.
Es war zugleich der erste öffentliche Termin für Berlins neue Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt (SPD). Der Molkenmarkt sei der älteste Markt der Stadt, sagte sie und sprach von einem „Geburtsort unserer schönen Stadt“. Doch das war es dann schon mit den Emotionen. Eher nüchtern stellte Kahlfeldt zu Beginn der Veranstaltung das weitere Verfahren vor.
Zunächst sollen die beiden Siegerbüros ihre Entwürfe auf der Grundlage der Jury-Empfehlungen überarbeiten, bevor sie im Februar in einer Werkstattsitzung öffentlich diskutiert werden. Nach einer weiteren Überarbeitungsphase folgt im April die zweite Werkstattsitzung. Danach entscheidet nach ihrer ersten Sitzung im November die Jury im Juli erneut.
Architektur kommt später
„Unser Ziel ist ein Entwurf, der die zahlreichen Herausforderungen weitgehend löst“, sagte Kahlfeldt. „Das ist dann Grundlage für eine Charta, in der die Kriterien für die Entwicklung des Quartiers definiert wird.“ Über die Architektur der einzelnen Gebäude wird dann in einem weiteren Verfahren diskutiert.
Klingt erst einmal nach einem Verfahren, wie es sie viele gibt in einer Stadt, die sich an zahlreichen Ecken immer wieder neu erfinden muss. Doch der Molkenmarkt ist nicht nur der älteste Markt Berlins. Er ist auch als städtebauliche Herausforderung einzigartig, da die meisten Grundstücke in Landesbesitz sind. Nachdem die Arbeiten zur Verlegung der Grunerstraße längst begonnen haben, soll dort in Zukunft Berlins neuestes Stadtquartier entstehen. Aber wie soll es aussehen?
Schon jetzt ist absehbar, dass Berlin vor einer neuen städtebaulichen Kontroverse stehen könnte. Von einer „Richtungsentscheidung“ etwa spricht der baupolitische Sprecher der Grünen, Andreas Otto. „Es geht um die Frage, ob wir ins wilhelminische Zeitalter zurückwollen oder in die Zukunft“, sagte Otto der taz. Für ihn hat der Entwurf von Czyborra/Klingbeil und OS arkitekter klare Vorteile. „Das sind herausragende Holzbauarchitekten“, sagte Otto. „Damit hat der Molkenmarkt die Chance, ein Leuchtturm der Nachhaltigkeit zu werden.“ Bernd Albers und Silvia Malcovati wollen sich dagegen eher mit der Geschichte auseinandersetzen. So soll der historische Jüdenhof an der Jüdenstraße wiederentstehen. In der Jüdenstraße und der Parochialstraße sollen schmal geschnittene Parzellen für eine „lebendige Kleinteiligkeit“ sorgen. Erfahrungen dafür hat Bernd Albers schon beim Bau der „neuen Altstadt“ in Frankfurt am Main sammeln können.
Allerdings räumte Malcovati ein, dass eine exakte Rekonstruktion der Grundstücke und Parzellen am Molkenmarkt nicht möglich sei. „Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Molkenmarkt aus der Topografie der Stadt gelöscht“, sagte sie. „Der Stadtgrundriss wurde dann durch die autogerechte Stadt vernichtet.“
Abreißen oder nicht?
Für Streit dürfte auch der Umgang mit dem Atelierhaus in der Klosterstraße 44 sorgen. Bernd Albers und Silvia Malcovati wollen das ehemalige Fernmeldeamt Ost-Berlins abreißen. Der private Eigentümer hätte dann freie Hand, lukrative Neubauten zu errichten. Czyborra/Klingbeil und OS arkitekter wollen den Gebäuderiegel dagegen in ihr städtebauliches Konzept integrieren. Dafür spricht sich auch Andreas Otto aus und verweist auf den Koalitionsvertrag. „Dort wollen wir einen Strategiewechsel weg von Abriss hin zum Erhalt und Umbau“, sagt Otto der taz. „Das gilt an allen Stellen der Stadt, an denen Abriss vorgeschlagen wird.“
Auch wenn die Architektur derzeit noch kein Thema ist, haben Albers und Malcovati bereits die Rekonstruktion einzelner Gebäude in Erwägung gezogen. Auch der Bau von Townhouses wie auf dem Friedrichswerder ist geplant.
Das passt zur Forderung der „Planungsgruppe Stadtkern“, der auch die neue Senatsbaudirektorin angehört. Im Tagesspiegel hatte sich der Sprecher der Gruppe, Benedikt Goebel, für sogenannte „Leitbauten“ ausgesprochen, also einzelne Gebäude, deren Fassaden wieder rekonstruiert werden sollten. Goebel favorisiert deshalb den Entwurf von Albers und Malcovati.
Quartier Wenn die Grunerstraße zum Roten Rathaus verschwenkt ist, ist vor dem Stadthaus Platz für zwei neue Blocks. Sie bilden das Zentrum des neuen Molkenmarkts. Der Architekt Carsten Joost schlägt hier einen Stadtplatz vor. Der ist im Wettbewerb aber nicht vorgesehen gewesen. Weitere Bauten sind in der Jüden- und Klosterstraße vorgesehen. An der Grunerstraße soll eine Schule entstehen. Auch Kultur soll es im neuen Quartier geben und bezahlbare Wohnungen. Bauen werden vor allem die WBM und Degewo.
Verfahren Nach der Auftaktveranstaltung am Donnerstag beginnt das öffentliche Werkstattverfahren. Termine sind der 3. Februar und 28. April. Eine große Veranstaltung ist für den 6. Juli vorgesehen. Nach der Jurysitzung am 7. Juli werden der Siegerentwurf und andere Entwürfe in einer Ausstellung präsentiert. (wera)
Demgegenüber sieht die Präsidentin der Berliner Architektenkammer, Theresa Keilhacker, den Entwurf von Czyborra/Klingbeil und OS arkitekter im Vorteil. Allerdings sei das ihre „persönliche Sichtweise“ betonte Keilhacker. Sie hatte bereits versucht, in der Berliner Bauordnung ein Verbot für Abrisse von Bestandsgebäuden durchzusetzen.
Unstrittig ist die Frage, wer am neuen Molkenmarkt bauen darf. Es sind vor allem die landeseigenen Gesellschaften WBM und Degewo. Auch sollen die Erdgeschosszonen für Gewerbe zur Verfügung stehen. „Wir wollen ein lebendiges Quartier, eine Nutzungsvielfalt, ein Kulturquartier und Nachhaltigkeit“, sagte die Juryvorsitzende Christa Reicher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge