piwik no script img

Zukunft des Berliner MolkenmarktsShowdown hat begonnen

Zurück in die Vergangenheit oder vorwärts in die Zukunft? Am Molkenmarkt in Mitte entscheidet sich Berlins künftige Stadtentwicklungspolitik.

Der Molkenmarkt mit der Nikolaikirche rechts und dem Stadthaus links um 1930 Foto: Friedrich Seidensticker

Berlin taz | Wenn Marek Czyborra sagt, dass Stellplätze für Fahrräder „priorisiert“ werden sollen und Autofahrer auf die Tiefgarage neben dem Roten Rathaus zurückgreifen können, klingt das nach Stadtplanung auf der Höhe der Zeit. Und dann sagt der Berliner Architekt auch noch das: „Wir wollen keine Stadt für die Reichsten so wie am Werderschen Markt.“ Das ist dann nicht nur auf der Höhe der Zeit, sondern auch eine Art politisches Statement.

Marek Czyborra und Tom Klingbeil haben zusammen mit dem Kopenhagener Büro OS arkitekter einen der beiden ersten Preise für den städtebaulichen Wettbewerb am Berliner Molkenmarkt gewonnen. Ihr Entwurf könnte gegenüber dem zweiten Siegerentwurf von Bernd Albers und Silvia Malcovati unterschiedlicher nicht sein. Stadtplanung auf der Höhe der Zeit auf der einen und die Wiedergewinnung des „Herzens Berlins“ durch eine Annäherung an den historischen Molkenmarkt hinter dem Roten Rathaus auf der anderen Seite. Am Donnerstag haben beide Büros ihre Arbeiten im Rahmen einer Auftaktveranstaltung zu einem sogenannten Werkstattverfahren vorgestellt.

Es war zugleich der erste öffentliche Termin für Berlins neue Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt (SPD). Der Molkenmarkt sei der älteste Markt der Stadt, sagte sie und sprach von einem „Geburtsort unserer schönen Stadt“. Doch das war es dann schon mit den Emotionen. Eher nüchtern stellte Kahlfeldt zu Beginn der Veranstaltung das weitere Verfahren vor.

Zunächst sollen die beiden Siegerbüros ihre Entwürfe auf der Grundlage der Jury-Empfehlungen überarbeiten, bevor sie im Februar in einer Werkstattsitzung öffentlich diskutiert werden. Nach einer weiteren Überarbeitungsphase folgt im April die zweite Werkstattsitzung. Danach entscheidet nach ihrer ersten Sitzung im November die Jury im Juli erneut.

Architektur kommt später

„Unser Ziel ist ein Entwurf, der die zahlreichen Herausforderungen weitgehend löst“, sagte Kahlfeldt. „Das ist dann Grundlage für eine Charta, in der die Kriterien für die Entwicklung des Quartiers definiert wird.“ Über die Architektur der einzelnen Gebäude wird dann in einem weiteren Verfahren diskutiert.

Klingt erst einmal nach einem Verfahren, wie es sie viele gibt in einer Stadt, die sich an zahlreichen Ecken immer wieder neu erfinden muss. Doch der Molkenmarkt ist nicht nur der älteste Markt Berlins. Er ist auch als städtebauliche Herausforderung einzigartig, da die meisten Grundstücke in Landesbesitz sind. Nachdem die Arbeiten zur Verlegung der Grunerstraße längst begonnen haben, soll dort in Zukunft Berlins neuestes Stadtquartier entstehen. Aber wie soll es aussehen?

Der Entwurf von Albers und Malcovati Foto: Bernd Albers, Gesellschaft von Architekten mbH, Berlin

Schon jetzt ist absehbar, dass Berlin vor einer neuen städtebaulichen Kontroverse stehen könnte. Von einer „Richtungsentscheidung“ etwa spricht der baupolitische Sprecher der Grünen, Andreas Otto. „Es geht um die Frage, ob wir ins wilhelminische Zeitalter zurückwollen oder in die Zukunft“, sagte Otto der taz. Für ihn hat der Entwurf von Czyborra/Klingbeil und OS arkitekter klare Vorteile. „Das sind herausragende Holzbauarchitekten“, sagte Otto. „Damit hat der Molkenmarkt die Chance, ein Leuchtturm der Nachhaltigkeit zu werden.“ Bernd Albers und Silvia Malcovati wollen sich dagegen eher mit der Geschichte auseinandersetzen. So soll der historische Jüdenhof an der Jüdenstraße wiederentstehen. In der Jüdenstraße und der Parochialstraße sollen schmal geschnittene Parzellen für eine „lebendige Kleinteiligkeit“ sorgen. Erfahrungen dafür hat Bernd Albers schon beim Bau der „neuen Altstadt“ in Frankfurt am Main sammeln können.

Allerdings räumte Malcovati ein, dass eine exakte Rekonstruktion der Grundstücke und Parzellen am Molkenmarkt nicht möglich sei. „Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Molkenmarkt aus der Topografie der Stadt gelöscht“, sagte sie. „Der Stadtgrundriss wurde dann durch die autogerechte Stadt vernichtet.“

Abreißen oder nicht?

Für Streit dürfte auch der Umgang mit dem Atelierhaus in der Klosterstraße 44 sorgen. Bernd Albers und Silvia Malcovati wollen das ehemalige Fernmeldeamt Ost-Berlins abreißen. Der private Eigentümer hätte dann freie Hand, lukrative Neubauten zu errichten. Czyborra/Klingbeil und OS arkitekter wollen den Gebäuderiegel dagegen in ihr städtebauliches Konzept integrieren. Dafür spricht sich auch Andreas Otto aus und verweist auf den Koalitionsvertrag. „Dort wollen wir einen Strategiewechsel weg von Abriss hin zum Erhalt und Umbau“, sagt Otto der taz. „Das gilt an allen Stellen der Stadt, an denen Abriss vorgeschlagen wird.“

Entwurf von Czyborra/Klingbeil und OS arkitekter Foto: OS arkitekter, Kopenhagen in Arbeitsgemeinschaft mit cka czyborra klingbeil architekturwerkstatt mbB, Berlin

Auch wenn die Architektur derzeit noch kein Thema ist, haben Albers und Malcovati bereits die Rekonstruktion einzelner Gebäude in Erwägung gezogen. Auch der Bau von Townhouses wie auf dem Friedrichswerder ist geplant.

Das passt zur Forderung der „Planungsgruppe Stadtkern“, der auch die neue Senatsbaudirektorin angehört. Im Tagesspiegel hatte sich der Sprecher der Gruppe, Benedikt Goebel, für sogenannte „Leitbauten“ ausgesprochen, also einzelne Gebäude, deren Fassaden wieder rekonstruiert werden sollten. Goebel favorisiert deshalb den Entwurf von Albers und Malcovati.

Der neue Molkenmarkt

Quartier Wenn die Grunerstraße zum Roten Rathaus verschwenkt ist, ist vor dem Stadthaus Platz für zwei neue Blocks. Sie bilden das Zentrum des neuen Molkenmarkts. Der Architekt Carsten Joost schlägt hier einen Stadtplatz vor. Der ist im Wettbewerb aber nicht vorgesehen gewesen. Weitere Bauten sind in der Jüden- und Klosterstraße vorgesehen. An der Grunerstraße soll eine Schule entstehen. Auch Kultur soll es im neuen Quartier geben und bezahlbare Wohnungen. Bauen werden vor allem die WBM und Degewo.

Verfahren Nach der Auftaktveranstaltung am Donnerstag beginnt das öffentliche Werkstattverfahren. Termine sind der 3. Februar und 28. April. Eine große Veranstaltung ist für den 6. Juli vorgesehen. Nach der Jurysitzung am 7. Juli werden der Siegerentwurf und andere Entwürfe in einer Ausstellung präsentiert. (wera)

Demgegenüber sieht die Präsidentin der Berliner Architektenkammer, Theresa Keilhacker, den Entwurf von Czyborra/Klingbeil und OS arkitekter im Vorteil. Allerdings sei das ihre „persönliche Sichtweise“ betonte Keilhacker. Sie hatte bereits versucht, in der Berliner Bauordnung ein Verbot für Abrisse von Bestandsgebäuden durchzusetzen.

Unstrittig ist die Frage, wer am neuen Molkenmarkt bauen darf. Es sind vor allem die landeseigenen Gesellschaften WBM und Degewo. Auch sollen die Erdgeschosszonen für Gewerbe zur Verfügung stehen. „Wir wollen ein lebendiges Quartier, eine Nutzungsvielfalt, ein Kulturquartier und Nachhaltigkeit“, sagte die Juryvorsitzende Christa Reicher.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Interressant, dass dieser gegen Rekonstruktion kämpfende Artikel mit diesem schönen, alten Foto illustriert wird. Da denkt man sofort: Ja, so eine vielgestaltige Stadtkulisse mit Gassen, Türmen, Schatten und Licht hätte man gerne wieder. Ich glaube, diese emotionale Komponente von Architektur wird oft übersehen - und dann der "Modernität" zuliebe großklotzig, grau, quadratisch, gläsern gebaut.



    Schlauer wäre, sich als Linker für lebenswerte, kleinteilige Städte einzusetzen, statt dieses Feld den REchten zu überlassen.

    • @Achim Kniefel:

      Jo, wenn Sie die kleinteiligen Städte auch erschwinglich bauen können, dann gerne...

  • Frau Giffey hat als Bundesministerin im Kampf gegen rechtsextreme und autoritäre gesellschaftliche Tendenzen Vereine und Engagierte finanziell gewertschätzt, die sich für die Stärkung der Demokratie einsetzen. Im Gegensatz zu der Vorstellung von Mocovati und Albers fielen bei der Vorstellung des Entwurfes von Czyborra, Klingbeil und OS Stichworte wie Stärkung der Gemeinschaften, Ermöglichung von nachbarschaftlicher Kommunikation, Gemeinsame Räume, Gärten und Werkstätten, Veränderbarkeit und Offenheit der Grundrisse, Attribute und Ideen (!) die eine funktionierende Zivilgesellschaft und Gemeinsames ausmachen und befördern. Die historische Einbindung soll hier über sichtbare historische Fundamente und Fundstücke ermöglicht werden. Fachwerk soll nicht nachgebaut, sondern ins Heute übersetzt werden, nicht als historisierende Fassade, sondern als modernisierte, nachhaltige Holzbauweise. Auch alter DDR Baubestand soll erhalten werden.



    Aufbruch und Veränderung sind Worte die die Politik grade allenthalben nutzt. Allen ist klar, dass die drohende Klimakatastrophe uns große Veränderungen abverlangen wird. Der Verfassungsschutz ahnt schon, dass die heute „Freiheit“ fordernden, teilweise rechtsextremen und von der AFD unterstützten Demonstranten gegen die Corona Maßnahmen sich nach der Corona Pandemie verstärkt gegen staatliche Maßnahmen zum Klimaschutz wenden werden. Wir brauchen jetzt also auch politisch positive Beispiele für eine gemeinschaftliche, demokratische und nachhaltige Stadt wenn wir uns gegen die autoritären Kräfte wenden wollen. Diese finden sich nicht in den Fassaden der Vergangenheit, wo auch die autoritären Ideen schlummern und so mühelos an Erzählungen von dem „guten Alten“ anknüpfen können. Wir müssen jetzt alles Wissen nutzen was wir zur Verfügung haben um uns für die Zukunft zu wappnen, auch wenn das bedeutet das Straßenbild im Zentrum dann etwas lebendiger aussieht als in der Frankfurter Innenstadt oder auf dem Berliner Schlossvorplatz.

  • Ich habe heute auch an der Auftaktveranstaltung zur Entwicklung des Molkenmarktes teilgenommen. Sie schreiben eine gute Zusammenfassung, danke!

    Auch wenn es heute nicht um Architektur und die bauliche Ausgestaltung des Areals gehen sollte, so hatten doch beide Gewinnerteams Bilder mit im Gepäck. Frau Mocovati hatte als Zoom Bildhintergrund eine original Aufnahme von spielenden Kindern auf einem ehemalig Jüdenhof benannten Innenhof, den das Büro teilweise originalgetreu Rekonstruieren möchte. Auf dem Modell, das Frau Mocovati Präsentierte findet sich außerdem ein klassischer, dekorativer Arkadengang mit Spitzdach Straßenseits als Zugang zur Klosterruine gedacht. Auch hier wurde eine alte Fotografie oder Zeichnung präsentiert, die einen ehemaligen Originalzustand zeigte. Es ist wohl zu vermuten, dass diese Teile des Entwurfs bei einer Weiterentwicklung weiter festgezurrt werden und die Richtung einer Bebauung vorgeben werden, sollte dieses Team am Ende die sog. Charta bestimmen. Das wäre passend zur Baugeschichte des Büros Albers und dessen Engagements und ebenso passend zur konservativen Architekturauffassung und Praxis der neu ernannten Stadtbaudirektorin Kahlfeld.

    Die jüngst von Phillip Oswalt aufgedeckten Skandale um die Finanzierung der Stadtschlossfassade – an der sich mehrere Rechte und antisemitische Großspender beteiligten und die Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt, angeschoben durch Politiker der AFD desavuieren/verunmöglichen jedoch eine konservative, rekonstruierende Architektur- und Stadtplanung.

    Was will diese wiederherstellende Architektur? In der „Welt“ wurde den Unterzeichnenden eines kritischen Briefes zur Personalie Kahlfeld vorgeworfen, mit der Politisierung der Stadtbaudirektorin selber die kritisierte ideologische Aufladung der Architektur zu betreiben. Wie sollte ein Bau jedoch ohne dahinterstehende Idee aussehen? Natürlich werden Gebäude und Fassaden im Rahmen von Ideen um deren Aussehen und Nutzung entworfen.

    • @Bonnie:

      Aha. Weil einige rechte Opis was für die Schlossfassade gespendet haben und ein AfD-Politiker für das durch ein demokratisches Stadtparlament mit großer Mehrheit entschiedenes Dom-Römer-Projekt gestimmt hat, ist jetzt keine "konservative" - also wohl kleinteilige Stadtplanung mehr möglich? Und Neubauten müssen jetzt wieder dachschrägenlos, gläsern, öde, schmucklos sein? Dürfen wir BewohnerInnen der Städte auch mitreden?

  • Da ich ja sicher bald gefragt werde, tendiere ich zu dem Entwurf von Albers und Malcovati.



    ... Bernd Albers und Silvia Malcovati wollen sich dagegen eher mit der Geschichte auseinandersetzen...



    Das Dom-Römer-Areal in Frankfurt liegt mir eher(optisch) als Holzbauten am Molkenmarkt.



    ... So soll der historische Jüdenhof an der Jüdenstraße wiederentstehen...



    www.bpk-bildagentur.de/shop



    (Jüdenhof Berlin- in Maske eingeben, wenn weg!)



    www.bpk-bildagentur.de/shop



    (Molkenmarkt- Berlin- in Maske....)



    Blick aus der Krögelgasse auf den Molkenmarkt und das Berliner Rathaus 1926



    Bastelstube des Senders v. Molkenmarkt. 1925



    Ich finde die alten Bilder gut.



    Natürlich ist egal für mir, welcher Entwurf sich durchsetzt. Erstens bin ich dann verblichen und zweitens, wer soll das bezahlen! Icke nich!