Aktion „Go Film the Police“: Der Dreh gegen Polizeigewalt

Eine Initiative will mit Videos die Beweislage bei Polizeiübergriffen verbessern. Beamte nehmen filmenden Zeugen gern das Handy ab – zu Unrecht.

Hande halten ein Smartphone, das einen Polizeieinsatz filmt

Es ist nicht verboten, die Polizei bei Einsätzen zu filmen. Eine Kampagne ruft nun explizit dazu auf Foto: Stefan Zeitz / imago

BERLIN taz | Spätestens seit dem Mord an George Floyd im Frühjahr 2020 ist es offenkundig: Vorfälle von rassistischer Polizeigewalt werden oftmals nur durch „Bürger*innen-Videos“ öffentlich bekannt und juristisch verfolgt. Das ist auch die Erfahrung der Berliner Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP), die seit Jahren ihr bekannt werdende Fälle dokumentiert und Betroffenen zur Seite steht.

Allerdings erlebten filmende Zeu­g*in­nen oder Betroffene immer wieder, dass Po­li­zis­t*in­nen versuchen, Handys zu beschlagnahmen oder die Filmenden zu zwingen, Videos direkt zu löschen. „Es kommt dabei oft zu brutaler Gewalt. Und im Nachgang werden die Filmenden häufig mit dem Vorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vor Gericht gebracht“, erklärt KOP-Mitbegründer Biplab Basu.

Als Beispiel nennt er diesen Fall: Am Abend des 20. Juni filmte Frau I. den Streit einer Freundin mit zwei Männern in der Falkensteinstraße, zu dem die Polizei hinzugerufen worden war. Als ein Beamter ihr das Filmen verbot, hörte sie damit auf, gab sie später bei KOP zu Protokoll. Dennoch habe der Beamte sie von hinten umfasst und schmerzhaft ihren Arm gegriffen. Ihr Bruder versuchte dazwischenzugehen, doch der Beamte nahm ihr das Handy ab.

Nach Aussage der beiden beruhigte sich danach die Situation. Plötzlich ging der Beamte auf den Bruder los, brachte ihn brutal zu Boden und legte ihm Handschellen an. Der Bruder trug mehrere dokumentierte Hämatome an Hals und Oberarm davon. Beide Geschwister bekamen laut Basu eine Anzeige wegen „Widerstands“. Das Verfahren gegen Frau I. sei inzwischen eingestellt, das gegen den Bruder laufe allerdings noch.

Trotz solcher Erfahrungen – oder gerade deswegen – will die KOP Betroffene und Zeu­g*in­nen ermuntern, eskalierende Polizeieinsätze zu filmen. Mit ihrer neuen Kampagne „Go Film the Police“ fordert sie außerdem, dass die Wegnahme von Handys oder das Löschen von Filmen durch die Polizei verboten wird. Solche Aufnahmen seien „essenziell für die Beweisführung vor Gericht, insbesondere weil den Aussagen von Po­li­zei­be­am­t*in­nen immense Bedeutung zugemessen wird, während den Betroffenen oft nicht geglaubt wird“, sagt Rechtsanwaltin Maren Burkhardt.

Polizei nimmt es gelassen

Zum Auftakt der Kampagne „Go Film the Police“ ruft die KOP für Samstag, 14 Uhr, zu einer Kundgebung auf „gegen rassistische Polizeigewalt und racial profiling“ an die Warschauer Straße Ecke Revaler beim RAW-Gelände. (sum)

Den Aufruf, Polizeieinsätze zu filmen, nimmt Thilo Cablitz ostentativ gelassen. Er ist Sprecher der Berliner Polizei. Die hiesigen Beamten seien es wegen der Hauptstadtlage gewohnt, dass ein „hohes öffentliches Interesse“ an ihren Einsätzen bestehe, erklärt er auf taz-Anfrage: „Aufzeichnungen wie Bild, Video und gegebenenfalls Ton begründen grundsätzlich kein Einschreiten durch die Polizei.“ Vor allem Bildaufnahmen seien in der Regel zulässig.

Bei Tonaufnahmen macht er allerdings eine Einschränkung, die bundesweit bei juristischen Auseinandersetzungen ums Filmen von Polizeieinsätzen eine immer größere Rolle spielt. Beim Ton ist nämlich laut Cablitz „die Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes zu beachten“. Dafür verweist er auf Paragraf 201 des Strafgesetzbuchs: „Hierunter fallen Äußerungen der Beteiligten, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind.“ Berliner Po­li­zis­t*in­nen würden entsprechend geschult, polizeilich nur einzuschreiten, „wenn entsprechende Normen verletzt wurden“ oder dies „begründet zu befürchten“ stehe.

Diese Rechtsauffassung ist für den Strafrechtler Fredrik Roggan, der an der Polizeihochschule Brandenburg in Oranienburg lehrt, zumindest „unglücklich“. „Damit schickt man Beamte in das Risiko, dass Leute sich gegen die Beschlagnahme eines Handys wehren“, sagte er der taz. Laut Roggan ist nämlich Paragraf 201 – der sogenannte „Abhörparagraf“, mit dem der Gesetzgeber die Vertraulichkeit „des nicht öffentlich gesprochenen Worts“, vulgo: „Schlafzimmergespräche“, schützen will – bei Polizeieinsätzen gar nicht anwendbar. Er sagt: Das dienstlich gesprochene Wort eines Beamten gegenüber einem Bürger sei grundsätzlich „kein nicht öffentlich gesprochenes Wort“.

Polizist*innen, die mit dem Verweis auf dieses Gesetz filmenden Bür­ge­r*in­nen das Handy wegnehmen, handelten daher rechtswidrig, erklärt der Jurist. „Und wenn Polizeihandeln rechtswidrig ist, dürfen sich Bür­ge­r*in­nen auch dagegen wehren.“

Uneinigkeit bei Tonaufnahmen

Diese Auffassung pro „Bürger*innen-Video“ wird zunehmend von den Gerichten geteilt. Zuletzt hatte das Landgericht Osnabrück im Oktober einem Bürger recht gegeben, der einen Polizeieinsatz gefilmt hatte, worauf Po­li­zis­t*in­nen sein Handy gegen seinen Willen mit Verweis auf Paragraf 201 „sichergestellt“ hatten.

Wie Roggan argumentierten die Richter, dieser Paragraf schütze die Unbefangenheit mündlicher Äußerungen – dienstliches Handeln von Polizist*innen, das der rechtlichen Überprüfung unterliegt, sei davon nicht tangiert. Ähnlich hatten zuvor Landgerichte in Kassel und Aachen geurteilt.

Allerdings gibt es auch zwei gegenteilige Entscheidungen – an den Landgerichten München und Frankenthal. Ganz rechtssicher ist daher bislang keine Sichtweise, noch fehlt eine obergerichtliche Entscheidung, um die Frage endgültig auszuräumen.

Ein weiteres Argument, warum die Polizei filmende Bür­ge­r*in­nen tolerieren muss: Sie selbst setzt bei der Arbeit zunehmend Bodycams ein – in Berlin seit August in einem Pilotprojekt der Polizeidirektion 5 (City). Dabei werde ja auch automatisch das Wort von Bür­ge­r*in­nen aufgenommen, die mit filmenden Beamten reden, sagt Roggan. „Warum sollen dann nicht auch die Bür­ge­r*in­nen aufnehmen dürfen?“, fragt er.

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