WTA streicht Tennisturniere in China: Angst vor einer Olympiadebatte

Die chinesische Regierung reagiert schockiert auf den Boykottbeschluss der Tennisorganisation. Sie kritisiert die Politisierung des Falls Peng Shuai.

Peng Shuai beim Tennisspielen.

Beste ihres Landes: die chinesische Tennisspielerin Peng Shuai bei den Australian Open 2013 Foto: Toby Melville/reuters

PEKING taz | Die Ankündigung der Damentennis-Organisation WTA, sämtliche Turniere in China zu streichen, hat in China regelrechte Schockwellen ausgelöst. Dies ließ sich an der bemerkenswerten Stille ablesen, die zeitweise unter Chinas Staatsmedien und Diplomaten herrschte. Normalerweise reagieren diese bei jeder Kritik umgehend mit verbalen Gegenangriffen. Doch dieses Mal musste das Propagandaministerium in Peking offenbar lange an einer offiziellen Argumentationslinie tüfteln. Für die Volksrepublik steht viel auf dem Spiel.

Ein Rückblick: Peng Shuai, die vielleicht beste Tennisathletin des Landes, bezichtigte den ehemaligen Vizepremier Zhang Gaoli in einem Onlineposting vom 2. November, sie zum Geschlechtsverkehr gezwungen zu haben. Erstmals erreichte ein #MeToo-Fall also die Pekinger Politelite. Der Sicherheitsapparat reagierte – wie so oft –, indem er die Nachricht zensierte und die Tennisspielerin aus der Öffentlichkeit verschwinden ließ.

Doch nach immensem internationalem Druck stand Chinas Regierung unter Zugzwang. Die Staatsmedien veröffentlichten zunächst eine offensichtlich fingierte E-Mail von Peng – und als die Aktion ihr Ziel verfehlte, posteten sie Kurzvideos der 35-Jährigen bei einem Restaurantbesuch. Damit war klar, dass Peng Shuai unversehrt ist. Doch ebenso klar war, dass sich die Athletin nicht frei äußern kann. Auch ein unter Aufsicht geführtes Telefonat mit IOC-Präsident Thomas Bach ändert an diesem Befund nichts.

Während das IOC riskiert, sich mit dem chinesischen Propagandaapparat gemeinzumachen, ist die WTA-Entscheidung durchaus mutig. Zwar konnte der Tennisverband seit zwei Jahren pandemiebedingt ohnehin keine Turniere in China veranstalten. Doch allein 2019 hielt die WTA neun Turniere in der Volksrepublik ab, darunter das Saison-Finale in Shenzhen mit über 30 Mil­lionen Dollar Preisgeld.

Kritik im Netz zensiert

Im chinesischen Netz wurden unlängst alle Äußerungen über die Boykott-Nachricht gelöscht. Doch es gab auf den sozialen Medien ein kurzes Zeitfenster von wenigen Minuten, ehe die Zensoren einschritten. Bis dahin zeigten sich einige chinesische Internetnutzer auf der Onlineplattform Weibo überraschend solidarisch: „Dieses Mal stehe ich auf der Seite der WTA“, kommentierte etwa eine Userin. „Die WTA zeigt echtes Rückgrat“, lautete eine andere Meinung.

Stunden später folgten die offiziellen Staatsmedien mit ihren Gegenattacken. Zunächst brach Hu Xijin, Chefredakteur der nationalistischen Global Times, sein Schweigen auf Twitter: „Die WTA zwingt Peng Shuai, den Angriff des Westens auf das chinesische System zu unterstützen. Damit beraubt sie Peng Shuai ihrer Meinungsfreiheit.“ Er bediente sich einer abstrusen Täter-Opfer-Umkehr, deren Botschaft im Westen wohl nicht verfangen wird.

Das Perfide ist, dass Chinas Journalisten zu dem Thema ausschließlich auf Twitter und Facebook publizieren können – Plattformen also, die in der Volksrepublik seit Jahren zensiert sind. Auf ihren eigenen Medien dürfen sie sich nicht zu der Thematik äußern. Dort nämlich existiert der Fall offiziell nicht. Auch das Pekinger Außenministerium antwortete in den vergangenen Wochen stets, dass man sich der Angelegenheit „nicht bewusst“ sei. Am Donnerstag ließ Regierungssprecher Wang Wenbin nun verlauten: „Wir sind entschieden dagegen, den Sport zu politisieren.“

Angst vor der Boykottdebatte

Für Peking steht schlussendlich weitaus mehr auf dem Spiel als nur ein paar abgesagte Tennisturniere. Denn zum einen ist das Risiko groß, dass weitere Sportorganisationen weitere Konsequenzen ziehen werden. Vor allem aber könnte die Causa Peng Shuai die Boykottdebatte rund um die Olympischen Winterspiele in Peking wieder beleben.

Dass hochrangige Regierungsvertreter aus dem Westen im Februar in die Volksrepublik reisen werden, gilt ohnehin als unwahrscheinlich, schon aufgrund der Pandemie. Doch abseits von einem sogenannten diplomatischen Boykott könnten einige Staaten in Erwägung ziehen, ihre Athletinnen und Athleten nicht nach China zu entsenden. Deutschlands künftige Außenministerin Annalena Baerbock schloss etwa jüngst im Interview mit der taz einen Boykott der Olympischen Spiele nicht explizit aus.

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