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Sammeln und Rauschen

Nutzerdaten in großem Umfang können Gebäude energieeffizienter machen, also umweltfreundlicher und rentabler. Das wirft aber auch Fragen zum Datenschutz auf

Von Lars Klaaßen

Die unscheinbaren Ampeln neben den Wohnungstüren zeigen im 15-Minuten-Rhythmus an, in welcher Preisklasse die Bewohner sich gerade bewegen. Auf rund zehn Zentimetern im Quadrat blinkt es Grün, Gelb oder Rot. Lohnt es sich, jetzt die Waschmaschine zu starten? Rot signalisiert, dass der Stromverbrauch gerade ins Geld geht. Grün bedeutet, dass Energie momentan günstig oder fast umsonst ist. Solche Ampeln samt Energiemanagementsystem (EMS) dahinter finden sich unter anderem in Mannheim. Dort entsteht gerade auf dem ehemaligen Areal einer US-Kaserne der neue Stadtteil „Franklin“: 1,4 Millionen Quadratmeter, eine Fläche, so groß wie die Mannheimer Innenstadt. Rund 9.000 Menschen sollen hier künftig in unterschiedlichen Wohnhaustypen leben. Alter Kasernenbestand wird komplett umgebaut, saniert und erweitert, hinzu kommen Neubauten. Die Karlsruher Evohaus GmbH errichtet im neuen Quartier rund 340 Wohnungen, überwiegend neu gebaut. Rund 240 davon sind bereits bezogen.

„Die Energie-Ampeln sind Standard in jeder Wohnung unserer CO2-freien Siedlungen“, sagt Evohaus-Geschäftsführer Heinz Hanen. „Unsere Wohnquartiere werden ausschließlich mit regenerativen Energien versorgt, sie erzeugen ihren Strom weitgehend selbst.“ Ein intelligentes EMS steuert die Stromversorgung einschließlich der Heizung und Warmwasseraufbereitung. Kann gerade zum Beispiel Solarenergie von den Hausdächern kostenlos bezogen werden, steht die Ampel in der Wohnung auf Grün. Input, der nicht gleich komplett im Quartier genutzt wird, lässt sich in Batterien zwischenspeichern. „Da jeder Stadtteil auch über eigene Elektromobile verfügt“, so Hanen, „werden diese ebenfalls damit versorgt und dienen so als virtuelle Kraftwerke.“ All dies reduziere den CO2-Ausstoß gegen null und senke zudem die Energiekosten der Bewohner.

Solch ein EMS funktioniert allerdings nur, wenn ausreichend Daten zur Steuerung vorhanden sind: Je mehr von ihnen erhoben werden, desto effizienter lassen Energieerzeugung und -verbrauch sich aufeinander abstimmen. Diese Daten braucht es auch, um für jeden Haushalt die Energiekosten rechtmäßig und für alle nachvollziehbar abzurechnen. Der Haken dabei: Aus den mittels EMS gewonnenen Daten lassen sich auch Anwesenheitszeiten und Nutzungsgewohnheiten eruieren. Wann läuft zum Beispiel der Computer, wann das TV-Gerät, wann die Waschmaschine, wann wird gekocht, wann steht jemand auf, wie oft geht jemand nachts auf die Toilette? Die Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) verlangt, dass betroffene Personen immer ihre Einwilligung zur Datenverarbeitung geben müssen. Auch Bewohner, bei denen ein EMS eingesetzt wird, müssen der Verwendung ihrer persönlichen Daten vorab zustimmen. Die DSGVO fordert zudem, dass Daten anonymisiert und nur für den festgelegten Zweck bei Einhaltung des Grundsatzes der Datenminimierung verwendet werden dürfen.

Zum Schutz persönlicher Daten werden im EMS zusätzliche Sicherungen implementiert. Christine Tex und Martin Schäler, die am Institut für Programmstrukturen und Datenorganisation des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) forschen, haben in dem vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekt ESQUIRE (Energiespeicherdienste für smarte Quartiere) entsprechende Techniken untersucht. Der Anteil privater Informationen in den Daten soll sich automatisiert noch weiter senken lassen. Differential Privacy nennen sie das eingesetzte Verfahren beim KIT, es verhindert das Zurückrechnen von Einzeldaten. Bei dieser Methode werden die Daten nicht nur anonymisiert, sondern vor der statistischen Auswertung tatsächlich verändert.

Haus, Energie und Geld

Das ökologische wie finanzielle Potenzial ist enorm: Etwa 35 Prozent des Endenergieverbrauchs entfallen in Deutschland auf Gebäude. Insgesamt wenden die Deutschen für Raumwärme, Warmwasser, Beleuchtung und Kühlung in Wohn- und Nichtwohngebäuden rund 73 Milliarden Euro auf. Der größte Anteil des Energieverbrauchs in Gebäuden entfällt auf Wohnhäuser: In Ein- und Zweifamilienhäusern werden 39 Prozent der gesamten Energie genutzt, Mehrfamilienhäuser schlagen mit 24 Prozent zu Buche. Die restlichen 37 Prozent am Gebäudeenergieverbrauch gehen auf das Konto der Nichtwohngebäude. Der Gebäudebereich bietet große Energieeinsparpotenziale. Etwa 63 Prozent der Wohngebäude in Deutschland wurden vor dem Inkrafttreten der ersten Wärmeschutzverordnung im Jahr 1979 errichtet. Folglich sind die Effizienzpotenziale bei älteren Häusern besonders hoch: Sie verbrauchen bis zu 5-mal mehr Energie als nach 2001 errichtete Neubauten, die einen Energieverbrauch von durchschnittlich circa 85 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr aufweisen.

Dieser sogenannte differenzielle Datenschutz ist ein komplexes mathematisches Modell, mit dem Organisationen aggregierte Daten über Benutzergewohnheiten beispielsweise zwischen Quartieren austauschen und gleichzeitig die Privatsphäre einer Person schützen können. Wissenschaftler nennen dieses Veränderungsverfahren auch „Rauschen“. Je mehr Rauschen, umso höher ist der Datenschutz. „Es waren einige Anpassungen der mathematischen Modelle notwendig, um das generelle Verfahren sinnvoll in einem EMS einsetzen zu können“, sagt KIT-Experte Schäler, „doch das Prinzip der Differential Privacy bietet mit Abstand auch hier den besten Schutz der persönlichen Daten.“

„Um rechtlichen Problemen aus dem Weg zu gehen, muss man schon in der Planungsphase den Datenschutz mitberücksichtigen“, betont Steffen Szeidl, Sprecher des Vorstands beim Planungs- und Beratungsunternehmen Drees & Sommer. Das Unternehmen hat unter anderem den Bauherren CA Immo bei der Digitalisierung des „Cube Berlin“ neben dem dortigen Hauptbahnhof begleitet. Das smarte Bürogebäude steuert nicht nur sein Raumklima via digitaler Technik. Alle Systeme werden durch künstliche Intelligenz (KI), dem sogenannten Brain, vernetzt. Sensoren sollen den kompletten Betrieb des Gebäudes optimieren. Nutzer können den Cube Berlin über eine App „bedienen“. Dazu gehören neben der Steuerung des Raumklimas unter anderem auch die Zugangskontrollen, aber auch alle Services, wie eine Paketstation oder optionale Komponenten wie Raumbuchungen. Bei solchen Bauvorhaben wird grundsätzlich zwischen personenbezogenen und nicht personenbezogenen Daten unterschieden. Personenbezogene Daten lassen Rückschlüsse auf individuelle Verhaltensmuster zu, sie sind, wie auch in Mannheim, durch die DSGVO besonders geschützt. Anders verhält es sich mit den nicht personenbezogenen Daten, wozu etwa Informationen über den Energieverbrauch, technische Daten oder auch Raumbelegungspläne zählen. „Von Beginn an muss daher überlegt werden, wie sich ein direkter Personenbezug möglichst vermeiden lässt“, so Szeidl. „Wenn das nicht geht – beispielsweise bei der Zutrittskontrolle –, ist die Pseudonymisierung ein probates Mittel, um die Persönlichkeitsrechte zu schützen.“ Darüber hinaus sei es notwendig, ei­ne:n Da­ten­schutz­be­auf­trag­te:n zu benennen und in den Planungsprozess zu integrieren, die oder der nicht zuletzt sicherstelle, dass ein Bauprojekt nach Fertigstellung DSGVO-konform sei.

Schwieriger wird es im gigantischen Gebäudebestand, die nötigen Daten zu erfassen, um dort Energie effizienter nutzen zu können. „Aktuelle Zahlen zu Sanierungsquoten oder Wärmeverbräuchen, nach Energiequellen und Gebäudenutzung sowie Bundesländern ausgewertet, gibt es nicht“, sagt Anne-Caroline Erbstößer, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Technologiestiftung Berlin. „Bisher haben wenige Städte Gebäudedaten für strategische Planungen genutzt.“ Eine Voraussetzung dafür sei die digitale Aufbereitung und Verfügbarkeit von Daten. Die technischen Möglichkeiten sind gegeben. In den Bereichen Haustechnik und Gebäudeautomation drängen neue Anbieter mit offenen Plattformen zum Datenaustausch auf den Markt, wie Erbstößer in ihrer Studie „Das intelligente Quartier“ eruiert hat: Standardisierung und Schnittstellenmanagement, Smart beziehungsweise Connected Home in der Verbindung mit einem digitalen Abbild der Realität ermöglichen demzufolge neue Nutzungsarten von Gebäudedaten. Im nächsten Schritt müssen die Daten mithilfe digitaler Werkzeuge in Anwendungen eingebettet werden. „Was erst am Anfang steht“, so Erbstößer, „ist die Verknüpfung von Stadtplanung mit digitalen Werkzeugen unter Nutzung von urbanen Daten.“

Diesen Schritt geht nun die Initiative „Nachhaltige Mierendorff-Insel“, die mit vielen Akteuren ein Modell nachhaltiger Stadtteilentwicklung auf die Beine stellen will. In diesem Quartier des Berliner Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf leben rund 15.000 Menschen. Es hat eine großstädtische Struktur mit Wohnen, Gewerbe, Dienstleistung und öffentlichen Institutionen, durchsetzt von Grünanlagen und Kleingärten.

Bisher haben wenige Städte Gebäudedaten für Planungen genutzt

„Eine gute Mischung für Experimente nachhaltiger Entwicklung in verschiedenen Lebensbereichen“, so die Initiatoren. Seit Oktober 2020 können die Insulanerinnen und Insulaner über www.energiedaten-mierendorffinsel.de ein Energiesparkonto nutzen: ein Werkzeug, das den eigenen Energieverbrauch transparent aufschlüsselt, sowie Tipps und Wissen zum Energiesparen vermittelt. „In anonymisierter Form unter Erfüllung aller Anforderungen des Datenschutzes werten wir die individuellen Wärmeverbrauchsdaten aus“, sagt Jörg Zander, Mitarbeiter des Umwelt- und Naturschutzamtes vom Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf. „So bekommen wir ein erstes Bild vom energetischen Istzustand des Quartiers.“ Das Energiesparkonto gebe der Bezirksverwaltung auch ein Instrument an die Hand, mit dem sie kontrollieren könne, ob die von Hauseigentümern bei Gebäudemodernisierungen im Milieuschutzgebiet prognostizierten Einsparungen beim Heizwärmeverbrauch auch tatsächlich erreicht worden seien.

Langfristiges Ziel ist ein umfassendes Wärmekataster für das gesamte Quartier. Die Kunst besteht darin, an Daten zu kommen. Das Energiesparkonto, also der anonyme und freiwillige Input von Mietern, ist ein Baustein. Wohnungsbaugesellschaften sind auch mit im Boot, ebenso eine Reihe privater Eigentümer, vor allem Genossenschaften. „Die verbleibenden Lücken müssen wir mithilfe von Partnern aus der Wissenschaft generisch schließen“, erläutert Zander. Dabei wird hochgerechnet: Erfahrungswerte durch Häuser verschiedener Baualter und Bauformen liegen aus den vorhandenen Quellen bereits vor. Fehlen in einem Häuserblock mit zehn Gebäuden die Werte von dreien, werden diese mit der passenden Typologie sowie den sieben Nachbarhäusern abgeglichen. Aus all diesen Quellen summiert sich schließlich ein umfassendes Wärmekataster. „Darauf basierend können wir energetische Quartierskonzepte erstellen“, so Zander, „die Mittel und Wege für energetische Modernisierungsmaßnahmen an Gebäuden und Heizungsanlagen aufzeigen.“ Der Senat unterstützt das Vorhaben mit Fördermitteln. Zusätzlich 4.500 Euro hat die co2online gGmbH, Betreiberin des Energiesparkontos, für das Rechtsgutachten zum Datenschutz aufbringen müssen.

Um relevante Daten für die Energiewende in Gebäuden zu bekommen, ist also nicht zwingend KI vonnöten. Mit Know-how wird man auch in ohnehin vorhandenen Quellen fündig.

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