Diskriminierung an Berliner Schulen: „Schulen brauchen Orientierung“

Eine Studie der Berliner Anlaufstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen zeigt: Viele LehrerInnen haben Vorurteile gegenüber dem Islam.

Muslimische Schülerinnen, deren Glaube sichtbar ist, fühlen sich oft an ihren Schulen diskriminiert Foto: dpa

taz: Frau Arani, Sie haben Berliner muslimische Jugendliche und junge Erwachsene zu ihren Diskriminierungserfahrungen in der Schule befragt. Mit welchem Ergebnis?

Aliyeh Yegane Arani: Zunächst ist wichtig zu wissen: Wir haben Jugendliche befragt, die wir über die Moscheegemeinden und die muslimische Jugendarbeit angesprochen haben. Das war unsere Zielgruppe, weil Menschen, die ihre Religion praktizieren wollen, eine besonders vulnerable Gruppe sind bei Diskriminierung aufgrund der Religion. Und da war zunächst auffällig, dass ihre Lebensrealität im starken Widerspruch steht zu den auch in Schulen vorherrschenden stereotypen Bildern über Muslime.

Zum Beispiel?

Anders als viele erwarten mögen hat diese Gruppe eine besonders hohe Bildungsmotivation und einen überdurchschnittlichen Bildungsgrad. Der Großteil der Befragten (62 Prozent) hat ein Gymnasium besucht, das ist doppelt so oft wie der Durchschnitt der Berliner Schüler*innen. Es gibt auch Stereotype im Hinblick auf Herkunft und Zuschreibungen. So sind über 87 Prozent der befragten Jugendlichen in Deutschland geboren und haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Und 70 Prozent sprechen unter anderem Deutsch in ihren Familien. Trotzdem erleben die Meisten, dass ihnen das Deutschsein abgesprochen wird, auch in der Schule. Sie werden als „Fremde“ angesehen – Othering nennt man das in der Fachsprache. Dabei spielen vor allem ihre Namen eine Rolle, aber auch ihre religiöse Zugehörigkeit.

Wie äußert sich dieses Othering?

Wir haben etwa gefragt, ob es negative Äußerungen von Lehrkräften gegenüber Religionen gibt, und wenn ja, gegenüber welchen. 62 Prozent der Jugendlichen bejahten das – und zwar gebe es solche Äußerungen fast ausschließlich gegenüber dem Islam. Wir haben auch gefragt, ob die Betreffenden als Muslime sichtbar sind. Knapp über die Hälfte hat das bejaht – vor allem durch ein Kopftuch. Und auf die Frage, was sie aufgrund dieser Sichtbarkeit erleben, gaben 65 Prozent an, deswegen mit Lehrkräften und Schulleitung negative Erfahrungen zu machen. 31 Prozent meinen dies mit anderen MitschülerInnen zu erleben.

Die Politikwissenschaftlerin und Expertin für Diversität & Antidiskriminierung mit dem Schwerpunkt Diskriminierungsschutz an Schulen ist Leiterin der unabhängigen Anlaufstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen (ADAS) bei LIFE Bildung, Umwelt Chancengleichheit e.V.. Die Beratungseinrichtung wird von der Bildungsverwaltung und der Landesantidiskriminierungsstelle finanziert.

Was sind das für Erfahrungen?

Zum Beispiel gab eine Befragte an: Als sie mit Kopftuch in die Schule gekommen sei, „frage mich ein Lehrer vor der gesamten Klasse, ob ich zum IS übergetreten bin“. Andere hören: „Wir sind in Deutschland“ oder „Wir leben in einem europäischen Land“. Oder der Schulleiter sage, „ich soll mein Kopftuch abnehmen oder gehe ich etwa putzen?“ Des Weiteren berichteten die Jugendlichen, man rede grundsätzlich mit ihnen, als könnten sie kein Deutsch sprechen, gebe ihnen das Gefühl, dass sie dumm wären, interagiere weniger mit ihnen und gebe schlechtere Bewertungen.

Wie bewerten Sie die Ergebnisse?

Wir haben diese Studie gemacht, weil wir in unserer Beratungsarbeit in der Anlaufstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen (ADAS) immer wieder mit Diskriminierungen zu tun haben, die im Kontext mit dem Kopftuch stehen oder sich auf die islamische Religion beziehen. Zu uns kommen auch SchülerInnen und Eltern wegen anderer Diskriminierungen. Aber wir haben den Eindruck, dass das Thema Islam in den Schulen zum Teil sehr eskalierend und konfrontativ angegangen wird und es daher sehr schwer ist, die Betroffenen bei diesem Thema optimal zu unterstützen und dagegen vorzugehen.

Das wussten sie schon vorher?

Ja, aber das waren sozusagen viele Einzelfälle, wir konnten auf der Grundlage unserer Beratungserfahrungen dazu keine allgemeinen Aussagen machen. Darum haben wir die Studie gemacht. Und tatsächlich passen die Ergebnisse ins Bild: Es gibt hier wirklich einen strukturellen Handlungsbedarf. Schulen brauchen mehr Orientierung und Unterstützung – auch in Bezug auf Grundrechtsklarheit im Umgang mit Religion und Neutralität in der Schule.

Wie meinen Sie das?

Zum Beispiel wird das Neutralitätsgesetz oder die Vorstellung der neutralen Schule oft als Abwehr-Argument benutzt, etwa wenn Schulen in Hausordnungen das Beten oder das Tragen von Kopfbedeckungen verbieten. Aber Schulen dürfen das Kopftuch nicht einfach per Hausordnung verbieten. Das widerspricht der Religionsfreiheit – auch Schülerinnen sind ja Träger von Grundrechten. Ein Verbot kann nur unter ganz engen Bedingungen als Ausnahmeregelung stattfinden, wenn der Schulfrieden gefährdet ist. Das muss aber belegt werden, es reicht nicht, wenn ein paar Eltern das nicht gut finden. Dennoch gibt über die Hälfte der Befragten an, dass an ihrer Schule solche Verbote bestehen. Eine unserer Empfehlungen lautet daher, das Schulordnungen durch die Schulaufsicht geprüft werden sollten.

Sie empfehlen auch, in den Schulen keine diskriminierende Sprache mehr zu verwenden, etwa „konfrontative Religionsausübung“. Der Begriff fällt gerne, wenn es darum geht, dass muslimische Mädchen von Mitschülern unter Druck gesetzt werden, weil sie kein Kopftuch tragen. Oder wenn muslimische Schüler anderen vorwerfen, dass sie nicht fasten im Ramadan.

Befragte Für ihre Studie „Religion und Glauben an der Schule. Diskriminierungserfahrungen muslimischer Jugendlicher in Berliner Schulen“ hat Yegane Arani gemeinsam mit einem Religionspädagogen und einem Juristen 274 Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 27 befragt, die in Moscheegemeinden oder muslimischen Jugendverbänden aktiv sind. Die meisten gehen oder gingen in ehemaligen Westvierteln mit hohem migrantischen Bevölkerungsanteil zur Schule.

Glaube 79 Prozent der Befragten schätzen sich selbst als ziemlich bis sehr gläubig ein, 93 Prozent fasten im Ramadan in der Schule, 38 Prozent beten (teils heimlich) in der Hofpause, 38 Prozent achten darauf, mit dem anderen Geschlecht keinen körperlichen Kontakt zu haben, etwa beim Sport.

Schule 78,3 Prozent der Befragten haben das Gefühl, wegen ihrer Herkunft in der Schule mehr leisten zu müssen als andere. Fast die Hälfte der Jugendlichen (42 Prozent) nimmt in der Schule ein positives bis sehr positives Bild des Christentums wahr, vom Islam sagen das 18 Prozent, vom Judentum 21; 32 Prozent nehmen ein negatives Bild vom Islam an ihrer Schule wahr. Zum Umgang mit religiöser Vielfalt erklären 40,5 Prozent, Schulleitung und Leh­re­r*in­nen gratulieren zu den christlichen Feiertagen, knapp die Hälfte davon sagt, dies geschehe zu allen Feiertagen. 33 Prozent sagen, christliche Feiertage wie Weihnachten werden im Unterricht gemeinsam gefeiert. 62 Prozent geben an, dass es an ihrer Schule Pädagogen gebe, die schlecht über Religionen reden, 92 Prozent der negativen Äußerungen bezögen sich auf den Islam, 15 Prozent sagen, dies geschehe oft. Knapp die Hälfte gibt an, in der Schule religiös erkennbar zu sein – und fast alle von ihnen kennen negative Reaktionen darauf. „Der Großteil der negativen, stereotypen und abfälligen Bemerkungen oder Nachfragen bezog sich auf das Kopftuch und adressierte darum nur muslimische Mädchen und junge Frauen. Teilweise erlebten die Schülerinnen auch direkte Aufforderungen zur Abnahme bzw. (Androhung von) Konsequenzen, wie schlechtere Noten, falls sie es nicht tun“, heißt es in der Studie. (sum)

Studie als PDF unter: www.adas-berlin.de/publikationen

Ja, ich will nicht abstreiten, dass es solche Probleme gibt. Und natürlich muss das angegangen werden. Wir haben in unserer Beratung sehr viele Mobbing-Fälle zwischen SchülerInnen – nicht nur in Bezug auf Religion. Es geht bei den uns gemeldeten Fällen viel um die Verwendung des N-Worts und um auf Hautfarbe bezogenen Rassismus. Bei all dem brauchen die Schulen viel mehr Unterstützung, um wirksam dagegen vorgehen zu können. Wir merken, dass sie solche Konflikte häufig nicht ausreichend oder erst viel zu spät bearbeiten und es dann weiter eskaliert, manchmal bis hin zu körperlichen Übergriffen.

Aber was ist schlecht an dem Begriff „konfrontative Religionsausübung“?

Er bringt das Thema „konfrontativ“ mit „Religion“ in einen Sinnzusammenhang. Das ist schon an sich stigmatisierend: Menschen können ja aus verschiedensten Gründen konfrontativ oder gewalttätig sein. Wie weit das mit Religion oder aber eher mit anderen Haltungen oder Problemlagen zu tun hat, ist dahingestellt und jeweils individuell zu prüfen. Aber mit dem Begriff wird ein organischer Zusammenhang hergestellt – was natürlich, gerade wenn es um den Islam geht, an den großen Diskurs des antimuslimischen Rassismus anknüpft sowie an die Vorstellung einer höheren Gewaltbereitschaft von MuslimInnen. Zudem entsteht durch den Begriff eine Rechtsverunsicherung. Denn zunächst sind ja Religionsausübung oder -bekundungen durchs Grundgesetz geschützt. Aber wo fängt das „Konfrontative“ an? Es gibt dafür keine Definition – entsprechend können die Lehrkörper das gemäß ihrer Vorurteile mit Inhalt füllen.

Sie meinen, Konflikte, die auf bestimmten Religionsauffassungen basieren, sind nicht grundsätzlich anders zu behandeln als andere Konflikte?

Ja, und zwar erstmal pädagogisch! Außer es besteht der Verdacht auf eine Straftat, oder es ist Gewalt im Spiel, dann müssen natürlich auch andere Maßnahmen greifen. Aber da muss gut unterschieden werden, das ist auch eine Herausforderung! Wir haben zum Beispiel in der Beratung eine Häufung von muslimischen Jungen aus Grundschulen, die sehr schnell von ihren LehrerInnen in eine „konfrontative“ bzw. „aggressive“ Ecke gedrückt werden. Der Begriff „konfrontative Religionsausübung“, so befürchten wir, verstärkt diese Tendenz, Muslime in eine Kriminalisierungsperspektive zu stellen. Hier wäre als Unterstützung der Schulen sicherlich mehr religionspädagogische Kompetenz hilfreich.

Dennoch gibt es jetzt in Neukölln das Projekt „Anlauf- und Registerstelle konfrontative Religionsbekundungen“.

Warum ich den Namen schwierig finde, habe ich ja gerade gesagt. Aber ich finde das auch aus Datenschutzgründen problematisch: Wie können Lehrkräfte auf Basis so eines schwammigen und stigmatisierenden Begriffs Daten erheben von SchülerInnen – und die sogar an Außenstehende weitergeben? Ich hätte es auch gut gefunden, wenn erstmal empirisch die Problemlage und das eigentliche Ausmaß erhoben worden wären. Allerdings ist der Begriff nicht nur rechtlich problematisch und öffnet Tür und Tor für religions- und islambezogene Zuschreibungen: Bei einer Datenerhebung würde es auch schwierig werden, da es kein wissenschaftlicher Begriff ist.

Die Idee kam wohl von der Initiative „Pro Berliner Neutralitätsgesetz“. Sie fordert auf ihrer Webseite, ein solches Projekt solle dazu dienen, konkrete Belege für gestörten Schulfrieden zu sammeln. Hintergrund ist das Urteil des Bundesverfassungsgericht von 2015, das besagt, Lehrerinnen kann das Tragen eines Kopftuch nur in solchen konkreten Einzelfällen verwehrt werden.

Gerade wenn es darum geht, den Schulfrieden in auch von religiöser und weltanschaulicher Vielfalt geprägten Schulen zu wahren, ist es absolut wichtig, Stigmatisierung, gruppenbezogene Zuschreibungen und Diskriminierung zu vermeiden. Nur so kann hier Vertrauen zwischen den verschiedenen Gruppen geschaffen und eine gute Beziehung zu allen SchülerInnen sowie deren Eltern aufgebaut werden. Wir erleben eher, dass Diskriminierung den Schulfrieden an manchen Schulen gefährdet. Dafür liegt mit dem Landesantidiskriminierungsgesetz und dem Schulgesetz eine klare rechtliche Vorgabe vor: Wenn es zu diskriminierenden Mobbing kommt, unabhängig von den Beweggründen der TäterInnen, dann liegt die Verantwortung bei den Lehrkräften und der Schulleitung, dagegen vorzugehen. Was das Neutralitätsgesetz angeht, haben wir in der Studie auch festgestellt, dass dies häufig von Lehrkräften und Schulleitungen falsch interpretiert wird, etwa um SchülerInnen das Gebet oder das Kopftuchtragen zu verbieten, und hier oftmals ein falsches Verständnis von Neutralität in der Schule vorliegt.

Nämlich?

Die Annahme, eine neutrale Schule sei eine Schule, in der Religion nicht sichtbar ist. Das wird im Kontext von Othering meist auf Muslime bezogen – deren Religion soll unsichtbar sein. Gleichzeitig gibt es an vielen Schulen einen ganz lebendigen Umgang mit dem Christentum. Viele Befragte haben berichtet, dass an ihrer Schule den SchülerInnen zu christlichen Feiertagen gratuliert wird – nicht hingegen MuslimInnen zu muslimischen Feiertagen. Manche Schulen feiern etwa Weihnachten – aber kaum eine begeht das Zuckerfest.

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