piwik no script img

die dritte meinungFlüchtende sind kein Druckmittel. Sie sind keine Handelsware, mahnt Sam Zamrik

Sam Zamrik

ist in Damaskus geboren, Lyriker, Übersetzer und Musiker, der auf Englisch und Deutsch schreibt. Er managt die Metal-Band „Eulen“, für die er auch Texte schreibt.

Flüchtende sind kein Druckmittel, mit dem man andere bedrohen kann. Wir sind keine Handelsware. Die Politik hat vergessen, dass es MENSCHEN sind, die sich an den ach so souveränen Grenzen Europas reiben. Mit der Türkei hat die EU damals einen Deal gemacht und einige Milliarden Euro an Erdoğan bezahlt, um uns zurückzuhalten. Das hat vorübergehend funktioniert, und die Mitte- und Rechtsparteien haben darüber gejubelt. Jetzt aber ist es anders.

Die Art, wie die EU die Migranten behandelt, die derzeit an der polnische-belarusischen Grenze festsitzen, wirkt wie eine sehr deutliche Drohung. Als seien diese Migranten bis an die Zähne mit kulturellen Minen und ideologischen Raketen bewaffnet, die das glorreiche westliche sozioökonomische Bergmassiv erschüttern werden. Polen und Deutschland rüsten ihre Grenzen auf, um nicht noch mehr von uns hereinzulassen. Sie wollen damit einen Racheplan Putins und Lukaschenkos vereiteln, der darin besteht, Geflüchtete in die EU zu schleusen.

Als seien die Kriege in Syrien, Irak, Jemen, Libyen, Afghanistan oder anderswo auf der Welt schon vorbei! Als gäbe es keine Gründe mehr für Massenflucht! Wenn wir nicht an euren Grenzen sterben, sterben wir anderswo unter Diktatur und Hunger. Das Problem ist: Wir werden so behandelt, als wären wir so oder so fast tot.

Wir sind Menschen, die vor Krieg und Ausbeutung geflohen sind, Menschen mit individuellen Motiven, die Traumata erfahren haben und nun hier erneut bis in den Tod traumatisiert werden. Wir werden als biopolitische Waffe gehandelt, die von außen auf Europa gerichtet ist. Das hat schwerwiegende Folgen. Wenn man als bioökonomische Waffe benutzt wird, infiziert das den gesamtem Diskurs. Ak­ti­vis­t*in­nen werden zu Verbrecher*innen, Hel­fe­r*in­nen werden zu Menschenhändler*innen, Geflüchtete hereinzulassen wird zu einer Gefahr, für die Europa bereit zu sein scheint, in einen Krieg zu ziehen. Sind Sie bereit, in einen Krieg zu ziehen? Nein? Dann erheben Sie bitte die Stimme und schreien: KEIN DRUCKMITTEL! KEINE HANDELSWARE!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen