das wird: „Politisierung und Bildung von unten“
Die Journalistin und Filmemacherin Eliseth Peña über die erste indigene Guerilla Lateinamerikas
Eliseth Peña
Jahrgang 1991, kolumbianische Journalistin, ist nur durch Zufall darauf gekommen, dass ihre Eltern selbst Teil der „Quintínes“ waren.
Interview Knut Henkel
taz: Eliseth Peña, mehrere Guerillas prägen die Geschichte Kolumbiens bis heute. Aber nur eine davon, die Bewaffnete Bewegung Quintín Lame, war indigener Herkunft und trat für indigene Interessen ein. Was unterschied sie von den anderen?
Eliseth Peña: Es ging ihr nicht um den Machtwechsel mit der Waffe in der Hand, sondern um den Aufbau von Strukturen von unten. Politisierung und Aktivierung der Basis, Erziehung, Bildung von unten waren zentrale Ziele der „Quintínes“. Sie regten die indigenen Gemeinden an, ihre eigene Realität und Identität zu hinterfragen. Heute ist es ganz normal zu sagen, ich bin Nasa, Kokonuka oder Guambiana – damals war das anders. Der Kampf für die eigene Identität hatte damals erst begonnen, und die bewaffnete Bewegung Quintín Lame ist ein Teil davon, genauso wie der Rat der indigenen Gemeinden des Cauca (CRIC).
Wie kam es dazu, den Film zu machen, Ihre eigene Geschichte zu rekonstruieren – und welche Rolle spielte dabei ein Pappkarton mit Familienfotos?
Meine Eltern sprachen nie darüber, dass sie Guerilleros gewesen waren. Das war ein Geheimnis. Als ich neun Jahre alt war, sollte ich ein Familienfoto in die Schule mitbringen. Also klappte ich die Schachtel auf, in der alle Familienfotos und Schriftstücke meiner Eltern verwahrt waren. Da sah ich die beiden zum ersten Mal in Uniform und stellte Fragen – auch die nach meinen eigenen Wurzeln. Das war ein Schlüsselmoment in meinem Leben und er hat dazu geführt diesen Film zu machen.
Ihre Eltern sind die zentralen Protagonisten des Films. War es leicht, sie für die Mitarbeit zu gewinnen?
Meine Mutter, ja. Sie war aktiv im Netzwerk der ehemaligen Kämpferinnen, nahm an Workshops teil, hat auch mal auf einem CRIC-Kongress das Wort ergriffen. Mein Vater, der letzte Comandante der Quintínes, war viel verschlossener. Für ihn war die Rückkehr an historische Orte sehr schmerzhaft; die Erinnerung an einen Vater, der seinen Sohn weggegeben hat, weil er ihn nicht ernähren konnte.
Am 10. November 1984 ermordeten Auftragskiller den streitbaren indigenen Geistlichen Álvaro Ulcué Chocué im Cauca, bis heute die gefährlichste Region Kolumbiens. Welche Bedeutung hat dieser Mord für Ihren Film?
Álvaro Ulcué Chocué war ein junger, katholischer Priester, der für die Rechte der indigenen Völker und deren Landrechte eintrat. So wurde er zur Symbolfigur, und seine Ermordung brachte das Fass zum Überlaufen. Sie war der Höhepunkt einer langen Kette von Gewalttaten gegen indigene Aktivisten und Familien. Die direkte Reaktion waren wenig später die ersten Aktionen der indigenen Guerilla Quintín Lame.
Filmvorführung und Gespräch „Der letzte Kommandant der Quintínes“ (Spanisch und Nasa Yuwe/dt. UT): Sa, 13. 11., 19 Uhr, Hamburg, Infoladen Wilhelmsburg; Sa, 27. 11., 18 Uhr, Hamburg, Centro Sociale
Wer war Quintín Lame, auf den die Guerilla sich berief?
Ein Anführer der indigenen Nasa, der in den 1920er-Jahren für indigene Rechte eintrat und legale Prozesse zur Landrückgabe im Cauca in Gang setzte. Er schrieb Briefe, macht Eingaben, rief aber auch zu Straßenblockaden auf und war Dutzende Male im Gefängnis.
Gibt es eine indigene Erinnerungskultur?
Das Aufzeichnen, Niederschreiben, Festhalten unserer eigenen Geschichte hat keine Tradition. Bei der mündlichen Überlieferung geht vieles verloren. Hier setzt eine neue indigene Generation ein, die rekonstruiert, archiviert, festhält, was unsere Geschichte ausmacht. Zu der gehöre ich. Dieser sehr persönliche Film ist weder der erste noch wird er der letzte sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen