100 Jahre Kommunistische Partei Spaniens: Der Mythos des Widerstands​

Vor 100 Jahren, am 14. November, wurde die Kommunistische Partei Spaniens gegründet. Heute gehört sie der Regierung an. Eine Zeitreise.

Große rote Fahne mit dem Logo der PCE, die von jungen Leuten gehalten wird

Kundgebung zum Tag der Arbeit mit Flaggen der Kommunistischen Partei in Pamplona Foto: Alvaro Barrientos/ap/dpa

Die PCE war die treibende Kraft im antifranquistischen Widerstand und im Kampf für Demokratie und damit ein Bezugspunkt nicht nur für Kommunisten“, sagt der Historiker Antonio Elorza. Er selbst gehörte in den 1970ern und 1980ern – in den Jahren der Rückkehr Spaniens zur Demokratie nach dem Tode von Diktator Francisco Franco – der PCE an. Der 77-Jährige lehrte als Professor an der Madrider Universität Complutense und gilt als kritischer Geist. In der Geschichte des Kommunismus in Spanien sieht er sowohl positive als auch negative Aspekte vereint.

„Ich bin zufrieden, ein Teil ihrer Politik gewesen zu sein“, sagt Elorza, bevor er auf die Schattenseiten zu sprechen kommt. Die PCE war und ist für Elorza eine Partei, „die für Demokratie eintritt, dabei aber intern stalinistisch geblieben“ sei. Also eine Kraft mit autoritären Ansichten und Strukturen. Elorza weiß, wovon er spricht. Er hatte es bis zum PCE-Generalsekretär im Baskenland gebracht, bevor er schließlich wegen des Versuchs, ein Bündnis mit einer anderen linken, baskischen Formation einzugehen, ausgeschlossen wurde.

Diese Dialektik aus Positivem und Negativem, Licht und Schatten, fängt für Elorza jedoch historisch viel früher an. „Die PCE wurde 1921 gegründet, doch stark wurde die Partei erst in den 1930er Jahren“, sagt Elorza. Eines seiner Werke, „Queridos camaradas“ („Liebe Genossen“) beschäftigt sich auch mit der von Moskau aus geleiteten Komintern, der PCE und den Jahren der Spanischen Republik und dem Bürgerkrieg (1936–1939).

Sie ordneten sich Stalin unter

Die PCE beanspruchte im Spanischen Bürgerkrieg – dank der ideologischen und materiellen Unterstützung aus der Sowjetunion – die Macht in den republikanischen Gebieten, die den aufständischen Faschisten unter dem General und späteren Diktator Francisco Franco die Stirn boten. Sie war attraktiv. „Die spanischen Kommunisten ordneten jedoch ihre Strategie ganz und gar dem russischen Staats- und Parteichef Josef Stalin unter“, beschreibt Elorza die Schattenseiten jenes „heldenhaften Kampfes zur Verteidigung der demokratischen Ordnung der Republik gegen die Faschisten“.

Die PCE bremste überall im Land die aufflammende soziale Revolution. Wenn es sein musste mit Repression, mit Verhaftungen, Folter und Gewalt gegen andere Linke, wie die starken Anarchosyndikalisten und Trotzkisten. Die irregulären Haftzentren überall im Land und der Bürgerkrieg im Bürgerkrieg, der Barcelona 1937 erschütterte, zeugten davon.

„Stalin wollte keine Revolution, um England und Frankreich nicht zu verschrecken“, sagt Elorza. Spanien war für die Sowjetunion – ähnlich wie für Hitler-Deutschland, das Franco unterstützte – das Vorspiel für den großen Krieg, der sich am Horizont bereits abzeichnete. Eine Revolution hätte die sowjetische Position nicht gestärkt, sondern geschwächt.

51 Jahre verboten

Ging die Rechnung Stalins auf? Die Sowjetunion und die Alliierten gewannen den Zweiten Weltkrieg, besiegten den Hitlerfaschismus. Spanien jedoch ging verloren und versank in 40 Jahre faschistischer Diktatur. Dies waren auch „die Jahre des antifranquistischen Widerstandes unter gefährlichem, persönlichem Einsatz vieler Militanter, von denen der Mythos der PCE bis heute lebt“, wie Elorza sagt. Der Diktator starb im Jahr 1975 und die PCE wurde knapp zwei Jahre später legalisiert. Mit anderen, kürzeren Episoden vor der Franco-Diktatur war die PCE damit 51 ihrer 100 Jahre verboten.

Die Früchte des Kampfes für die Demokratie ernteten später andere. Die sozialistische PSOE von Felipe González, die all die Jahre der Diktatur so gut wie inexistent war, zog 1977 mit 118 Abgeordneten ins erste freigewählte Parlament ein; die PCE nur mit 20. Und es ging immer weiter bergab. Ab 1983 traten die Kommunisten nur noch innerhalb des Wahlbündnisses der Vereinigten Linken (IU) zu den Wahlen an.

Für die PCE war es die Rettung

Als 2014 die linksalternative Podemos die politische Bühne betrat, war auch die IU drauf und dran, in die völlige Bedeutungslosigkeit zu versinken. Beide Kandidaturen schlossen sich schließlich zu Unidas Podemos (UP) zusammen. Mittlerweile regiert UP in Koalition mit den Sozialisten unter Ministerpräsidenten Pedro Sánchez.

Für die PCE war dies die Rettung. Die Partei „ist heute ein entscheidender Faktor in der Politik des Landes“, jubeln die Kommunisten nun in einer Erklärung zu ihrem „Jahrhundertfest“. Die bei Gewerkschaften bekannte Arbeitsrechtsanwältin Yolanda Díaz ist Arbeitsministerin und zweite Vizeregierungschefin und wohl die künftige Spitzenkandidatin von UP. Sie gehört ebenso der PCE an, wie der IU-Chefkoordinator, Konsumminister Alberto Garzón. Und selbst der nur bei Insidern bekannte PCE-Generalsekretär Enrique Santiago hat es zum Staatssekretär für die Umsetzung der UN-Agenda 2030 gebracht.

Podemos hat die tote Partei wiederbelebt

„Die Kommunistische Partei hat etwas, was Podemos nicht hatte. Sie hat im ganzen Land aktive Mitglieder“, sagt Eddy Sánchez von der PC-nahen Stiftung für marxistische Forschung. Diese Militanten bilden heute das Rückgrat von UP in weiten Teilen Spaniens.

„Die PCE verteidigt wie sonst niemand den Sozialstaat und kämpft wie keine andere gegen soziale Ungerechtigkeit“, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler. Nach der Covidkrise stehen die sozioökonomischen Themen einmal mehr im Zentrum der Debatte. „Die Empörtenbewegung 15M und Podemos als ihre politischen Erben bezweifelten in ihren Ursprüngen, dass dies die Hauptthemen seien“, sagt Sánchez. Dank der Präsenz der Kommunisten in UP habe sich dies geändert.

„Es ist paradox: Podemos hat eine tote Partei wiederbelebt“, schüttelt der Philosoph und Essayist Santiago Alba Rico den Kopf. Er ist ein glühender Verfechter jener ursprünglichen Podemos-Idee der transversalen Politik. Statt sich als links zu bezeichnen, redete Podemos von „oben und unten“, „Volk und Kaste“. Alba Rico erinnert sich nur zu gut an jenen Satz: „Wir werden nicht die Intensivstation für Kräfte des 78er-Regimes sein“, der von den Podemos-Gründern immer wieder zu hören war. Zumindest solange, bis sie mit IU und somit auch mit der PCE, die einst die Grundlagen für die 1978 entstandene Nach-Franco-Demokratie mittrug, zusammenging.

Der transversale Diskurs

„Die Empörtenbewegung 15M und Podemos waren ein Misstrauensantrag ans ganze System. Die Kommunisten wurden als Teil davon gesehen“, sagt Alba Rico. Er erinnert an Korruptionsfälle namhafter Kommunisten auf Kommunalebene und in der Madrider Sparkasse.

Nach internen Flügelkämpfen drängte der Podemos-Chef Pablo Iglesias die anderen Strömungen aus der Partei, so auch die um die Nummer 2, Iñigo Errejón, der wie keiner für den transversalen Diskurs verantwortlich zeichnete. Iglesias stützte sich fortan auf Mitglieder und Kader aus IU und der PCE. „Iglesias hat Podemos zum Geschenk an die Kommunisten gemacht“, sagt Alba Rico. Die Hoffnung auf grundlegende Veränderungen in Spanien sei damit untergegangen.

„Die heutige Kommunistische Partei wäre ohne die Entstehung von Podemos nicht denkbar“, ist sich auch Jorge Alemán sicher. Der Argentinier, der zwischen Buenos Aires und Madrid pendelt, ist Psychoanalytiker und politischer Beobachter der Entwicklungen auf der Linken. Was für Leute wie Alba Rico eine „Vereinnahmung von Podemos durch die PCE“ ist, nennt Alemán lieber „dialektische Beziehung zwischen der historischen Kommunistischen Partei, IU und Podemos“.

Kleine Kraft links der Sozialisten

Auch für Alemán hat Podemos nach den Flügelkämpfen und dem Zusammengehen mit IU den ursprünglichen Charakter verloren. „Podemos entstand nicht als eine weitere linke Option. Sie stützen sich auf die Ideen von Gramsci, den Populismus in Lateinamerika, sie wollten eine Kraft sein, die regieren wird und die Sozialisten verdrängt“, erinnert Alemán.

Während Podemos in nur wenigen Jahren mehrere schwere Krisen und Spaltungen erlebt habe, sei die PCE „eine der stabilsten Elemente auf der Linken“. Und genau deshalb hätten die Kommunisten letztendlich den Einfluss in UP gewonnen, den sie heute haben. Die Folge: Die aus Lateinamerika importierten populistischen Ansätze, wie die von Ernesto Laclau, seien nicht mehr operativ, beobachtet Alemán. „UP wird wohl dort in der politischen Landschaft enden, wo IU und damit die Kommunisten immer waren: Als kleine Kraft, links der Sozialisten.“

Zwar habe all das die PCE gerettet, doch sie werde „nie wieder die Partei sein, die sie bis Ende des 20 Jahrhunderts noch war – eine Partei, die für sich allein handeln kann“, sagt Alemán. Er sieht die Zukunft der PCE als „ein weiteres Element der Linken, aber nicht als deren Zentrum“.

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