Trends in Ost- und Westdeutschland: Im Design der Moderne vereint
Die Ausstellung „Deutsches Design 1949–1989. Zwei Länder, eine Geschichte“ macht Station in Dresden. Ost und West zeigen sich ähnlicher als gedacht.
Die Kunsthalle im Lipsiusbau der Dresdner Kunstakademie überrascht mit Ungewohntem. Hier, an der Brühlschen Terrasse ist man unwillkürlich auf bildende Kunst programmiert, und was macht dann hier die einst begehrte noble und variantenreiche Hellerau-Schrankwand aus dem Möbelprogramm der Deutschen Werkstätten MDW?
Zu vertraut und teils bis heute in Gebrauch wie der Küchenmixer RG 28 sind viele der hier gezeigten 390 Exponate. Sie stammen aus vier Jahrzehnten paralleler Designentwicklung in der Bundesrepublik und der DDR bis 1989 und werden im zweiten Raum sogar räumlich gegenübergestellt. Und als gelte es, die lange auf vielen Gebieten zu beobachtende Herablassung West gegenüber vermeintlich bedeutungsloser Kunst Ost wiedergutzumachen, dominiert optisch das DDR-Design.
Das Vitra Design Museum Weil am Rhein und das Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden haben diese erste Zusammenschau gemeinsam entworfen. Bezeichnend, dass sie erst nach über 30 Jahren zustande kam. Die Dresdner Generaldirektorin Marion Ackermann merkt allerdings selbstkritisch an, dass in der späteren DDR und Anfang der 1990er Jahre sowohl in ihrem Kunstgewerbemuseum als auch im Leipziger Grassi-Museum für angewandte Kunst nicht ausreichend Design gesammelt wurde.
Für drei Wochen lief die Ausstellung schon Mitte März in Weil, schlicht überschrieben „Deutsches Design 1949–1989“, kräftiger untertitelt mit „Zwei Länder, eine Geschichte“. Selbstredend geht es um Verflechtungen und Unterschiede, „aber nicht um einen vergleichenden Ansatz“, betont Marion Ackermann.
Werkbund und Bauhaus
Die beiden Kuratorinnen Erika Pinner aus Weil und Klára Nemecková aus Dresden wählten nach Qualitätsmaßstäben aus und nutzten die Chance, Protagonistinnen und Protagonisten als Zeitzeugen noch einmal zu befragen. Der Möbeldesigner Rudolf Horn etwa besuchte am Tage vor der Vernissage die Ausstellung.
Die „eine Geschichte“ auch im deutschen Design wirkte lange über die Teilung 1949 hinaus nach. Der „Prolog“ auf der Galerie des Ausstellungsgebäudes steigt mit den gemeinsamen Prägungen ein. Zu ihnen zählt der 1907 gegründete Werkbund, vor allem aber das nach dem Ersten Weltkrieg in Weimar gegründete Bauhaus, das nach seinem Umzug nach Dessau seine volle Strahlkraft mit seinen vorbildlichen Entwürfen entwickelte.
Horns „Freischwinger“ aus Edelstahl und Leder und Stefan Wewerkas „Einschwinger“ lassen sich beide auf Mies van der Rohes Stuhlklassiker „Barcelona Chair“ zurückführen. Der spätere so genannte Z-Stuhl wird hier im Dresdner Foyer sogar benutzt, er ist ein deutsch-deutsches Gemeinschaftswerk. Von Ernst Moeckl in Ulm entworfen, wurde er ab 1973 in der DDR produziert.
Auch beim Stapelgeschirr für Gaststätten fällt die Verwandtschaft ins Auge. Nebenbei: Eine DDR-Studentenbude war keine echte, wenn in der Küche kein selbst geklautes Mitropa-Kännchen der Reichsbahn stand. Auf frühe Unterschiede weist ein heute kurios wirkender Film aus den 1950er Jahren hin, auf die am 1.Mai getragene Mode nämlich. In der DDR ging man praktisch-proletarisch angezogen zur Maidemonstration, das westliche Filmdokument zeigt eher Eleganz oder Trachten.
Von der SED ausgebremst
Wenn man in diesem Zusammenhang an der insgesamt gelungenen Ausstellung etwas vermissen kann, dann vielleicht die legendäre Kittelschürze aus Dederon. Ob im Alltag oder am Arbeitsplatz, galt sie doch geradezu als Identifikationsmerkmal der „Ostfrau“. Kaum erklärt ist auch das legendäre Ampelmännchen von Karl Peglau, das nahezu zeitgleich mit der Ausstellungseröffnung seinen 60. Geburtstag feiert.
In historischer Logik folgen drei weitere Abteilungen. Mit dem Wirtschaftswunder West und dem versuchten Sozialismusaufbau Ost erlebte das Design in beiden deutschen Staaten eine Blütezeit. Ausgerichtet war es beiderseits an der industriellen Massenproduktion und an der zunehmenden Technisierung.
Mit dem Mauerbau 1961 aber nahmen neben der Abgrenzung auch die Systemunterschiede zu. In der Bundesrepublik tendierte das Design Richtung Pop, Luxus und Extravaganz, in der DDR orientierte es sich mehr an den alltäglichen Grundbedürfnissen und Fragen der sozialen Ausstattung wie dem Plattenwohnungsbau.
Bis 20. Februar 2022, Kunsthalle im Lipsiusbau, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Katalog 59,90 Euro
Designer in der DDR waren dabei dem, was die Planwirtschaft hergab und was die SED-Parteiführung erlaubte, oft weit voraus. Am deutlichsten wird das ersichtlich an der bis heute wohl bekanntesten DDR-Design-Legende Karl Clauss Dietel. Seine Entwürfe für den Nachfolger des Ost-Volkswagens Trabant 601 nahmen mit dem Fließheck den VW Golf und Nachahmer vorweg.
Protest- und Alternativkultur
Umgesetzt werden durften sie nicht, und in der Ausstellung sind sie auch nicht vertreten. Wohl aber ein blaues Simson-Moped S51, nach mehr als 30 Jahren immer noch ein Kultfahrzeug von Teenies in ganz Deutschland. Auch bei Dietels Kugelboxen und anderer Heimelektronik schlägt das Ossi-Herz höher.
Die dritte Abteilung nimmt dann allerdings Abschied von den Produkten des Massenkonsums. Den Glauben an sie erschütterten die Ölkrise in den 1970ern und ein neues Nachhaltigkeitsbewusstsein. Individualisierung trat hinzu, gekoppelt mit dem beiderseitigen Trend, mehr selbst zu basteln. „Drüben“ schwand die Anbetung eines Porsche 911, Birkenstock-Sandalen waren angesagt.
Hübsch wäre hier eine Gegenüberstellung zu dem in Manufaktur hergestellten Melkus-Wartburg gewesen, dem Eigenbau-Rennwagen Ost. „Hüben“ tauchte therapeutisches Spielzeug von Renate Müller auf, jene archetypischen Tiere aus Sonneberg. DDR-Designer machten sich selbstständig oder verließen das Land.
Ein umfangreiches Begleitprogramm empfiehlt den Besuch, unter anderem an einem rekonstruierten sprichwörtlichen Runden Tisch von 1990. Aufschlussreich dürfte ein Vergleich der Rezeptionen in Ost und West werden, denn zumindest bei DDR-Zeitgenossen darf man einen höheren Identifikationsgrad mit dem Design vor 1989 vermuten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos