Kinder und Erwerbsarbeit: Mutti geht jetzt arbeiten

2026 kommt der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschüler:innen. Für Eltern dürfte der aber kaum mehr Zeit mit den Kindern bringen.

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Sondern auch morgen, vor allem abends, wenn Vati sich ausruhen muss Foto: dpa

Die Coronapandemie zeigte deutlich: Kinder müssen betreut werden, damit ihre arbeitenden Eltern nicht über kurz oder lang einen Nervenzusammenbruch erleiden. Man erinnere sich an die Burnout-nahen Hilferufe von Eltern im Home­office, die monatelang gleichzeitig zoomen, kochen und ihre Kinder homeschoolen mussten.

Jetzt wird Eltern ermöglicht, Beruf und Familie besser zu vereinbaren, so scheint es: Bund und Länder haben sich darauf geeinigt, dass Grund­schü­le­r:in­nen, die ab 2026 eingeschult werden, einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung bekommen. Was zunächst wie eine sozialstaatliche Entlastungsmaßnahme klingt, hat auch den Sinn, die Gesellschaft von einem prekären Zustand in den nächsten zu überführen: Vom Zwang der Frau in die häusliche Versorgungsarbeit zum Zwang aller in exzessive Lohnarbeit.

Acht Stunden am Tag sollen Grund­schü­le­r:in­nen der Klassenstufen eins bis vier künftig betreut werden – den vollen Arbeitstag eben. Der Bund will die Investitionen zum Ausbau in Höhe von 3,5 Milliarden mitfinanzieren und sich langfristig mit 1,3 Milliarden pro Jahr an den Betriebskosten beteiligen.

Im Ländervergleich fallen bei den Ganztagsangeboten für Schü­le­r:in­nen Unterschiede auf: In Bundesländern wie Thüringen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt gibt es bereits den Rechtsanspruch und dementsprechend gute Angebote. In westdeutschen Bundesländern wie Bayern und Baden-Württemberg kommen die Kinder oft noch mittags nach Hause, wo Mutti dann gehetzt irgendein Teil in die Pfanne wirft oder was für die Mikrowelle bereitgestellt hat. Die Frauen im Osten arbeiteten schon immer, ohne Kitas und Horte ging es nicht.

40-Stunden-Vati-Gehalt

Dass die 1950er Jahre jetzt auch langsam in Bayern enden, ist gut. Ganztagsbetreuung: ein Fortschritt. Wie sich die Zeiten ändern, ist aber kein Grund zur Freude. In der alten Welt der gegenderten Arbeitsaufteilung hat ein 40-Stunden-Vati-Gehalt noch eine ganze Familie ernährt. Heute müssen in den meisten Fällen beide Eltern arbeiten, um Miete oder Kredit zu stemmen – und die Pflegearbeit abends hinterherschieben. Statt Eltern finanziell zu entlasten, damit sie tatsächlich Zeit mit ihren Kindern verbringen können, ohne um ihre Existenz fürchten zu müssen, ermöglicht der Staat noch ungezügeltere Lohnarbeitsverhältnisse.

Bald kann auch jede Mutti ihre Zeit darauf verwenden, das Kapital ihrer Vorgesetzten zu vermehren. Ein Hoch auf moderne Zeiten.

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