Fotografien im Jüdischen Museum Berlin: Berliner Performance
Das jüdische Leben in der Diaspora beschäftigt Frédéric Brenner schon lange. Das Jüdische Museum zeigt seinen fotografischen Essay „Zerheilt“.
Was man sieht, ist reich an Pracht und Geheimnis. In Frédérik Brenners fotografischem Essay „Zerheilt“ leuchten Kunst und Natur. Das Licht lässt die Farben strahlen, die roten Sessel im Opernhaus, vom blauen Hasen im Wohnzimmer eines Sammlerehepaares bis zum Grün der Pflanzen in einem Garten. Etwas Verführerisches geht von den meisten Szenen, Porträts und Interieurs aus, sie sind ein Schmaus für die Augen.
Und sie geben viel zu überlegen auf. Da liegt ein nackter Mann, nicht mehr jung, bäuchlings im dunklen Sand, als wolle er sich an die Erde schmiegen. Auf seinen Rücken ist ein Text eintätowiert, dessen blaue Zeilen zart wie zwei zusammengefaltete Flügel wirken. Er exponiert sich und versteckt sich zugleich. Der Text auf dem Rücken ist wie ein Verweis, den Zusammenhang zwischen Körper und Geist mit allen Mitteln immer wieder neu herstellen zu wollen.
Ein junger Mann sitzt allein in einem leeren Opernhaus, das Gesicht in den Händen geborgen, ein Moment der Trauer wahrscheinlich. Ein männliches Paar tritt im schattigen Garten einer Villa auf, exotisch in ihren Kostümen. Was für eine Szene sie spielen, darüber kann man nur spekulieren.
Wie auch bei den beiden, die sich im Ambiente eines gründerzeitlichen Ballhauses als Dramaqueens inszenieren: Er liegt rücklings über einem Tisch, sie steht triumphierend hinter ihm. Man stellt sich ein Drama von Liebe, Betrug und Eifersucht vor.
Bilder in Berlin entstanden
Alle Bilder von „Zerheilt“ sind zwischen 2016 und 2019 in Berlin entstanden, wohin der Fotograf Frédéric Brenner zunächst als Artist in Residence des Wissenschaftskollegs gekommen war. Hinter ihm lagen, wie er in einem Text des begleitenden Buchs erzählt, dreißig Jahre der Erforschung, wie Juden in der Diaspora ihre Identität finden und zehn Jahre in Israel.
„Zerheilt“. Jüdisches Museum, bis 13. März 2022. Dazu erscheint im Hatje Cantz Verlag „Zerheilt“, hrsg. von Oren Myers, 45 Euro im Museumsshop.
In „Zerheilt“ sammelt er Entwürfe jüdischen Lebens in Berlin und porträtiert, wie es die Kuratorin für Fotografie des Jüdischen Museums Berlin, Theresia Ziehe, beschreibt, Neuangekommene, Alteingesessene, Konvertierte. Dieser Kontext der Suche des Fotografen nach zeitgenössischen Performances von „jewishness“ in Berlin bestimmt mit, aber nicht allein, was man in den Bildern lesen kann.
In seinem Text zitiert Brenner Sergey Lagodinsky, Mitglied der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde in Berlin: „The jews have become a projection screen with which the Germans try to silence their own demons.“ („Die Juden sind eine Projektionsfläche geworden, mit der die Deutschen ihre eigenen Dämonen zum Schweigen bringen wollen.“)
Das beschreibt einen der Horizonte von Erwartungen, denen sich das jüdische Leben in Berlin ausgesetzt sieht und vor denen es sich behaupten muss. Was Brenner überrascht hat, ist, wie viele Konvertiten das Leben der jüdischen Institutionen in Berlin aufrechtzuerhalten helfen.
Antworten ohne Fragen
So spürt man in den Porträts und Gruppenbildern in erster Linie oft eine große und bewunderswerte Kraft der Entfaltung, die oft auch mit vielen Brüchen und Zweifeln umgehen muss. In zweiter Linie denkt man dann womöglich darüber nach, gegenüber welchen Fragen sich diese Inszenierungen als Antworten gebildet haben, welche Klischees sie kontern wollten, welchen Einordnungen sie sich entziehen. Und wie die meisten in ihrer Extrovertiertheit auch dem Verschwinden im Unauffälligen eine Absage erteilen.
Das mag aber auch damit zusammenhängen, dass viele von Frédéric Brenners Protagonisten einem intellektuellen und kulturaffinen Milieu angehören. Ihre Namen stehen nicht bei den Bildern, sondern am Anfang der Ausstellung als Cast, als Mitspielende in diesem fotografischen Essay. Es sind bildende Künstler:innen und Autor:innen darunter, auch der Publizist und taz-Autor Micha Brumlik, der ziemlich entspannt auf einer Schaukel vor einer hohen Graffiti-Wand sitzt.
Lea Rosh taucht auf, in einem Raum voller leerer Bilderrahmen, und weil man sie als Initiatorin des Holocaustmahnmals kennt, denkt man bei den fehlenden Bildern an fehlende Menschen und Familien. Unter Brenners Porträtierten sind die Zwillingsschwestern Maria und Natalia Petschatnikow, die am Rande eines Zimmers sitzen, das von künstlichen Hunden und Tauben bewohnt wird. Fast alle Porträts machen neugierig auf die Persönlichkeiten; man sieht das Fragment einer Geschichte, die spannend zu sein verspricht.
Das Kunstvolle von Brenners Fotografien wird noch betont durch das Zitieren von Gemälden. Fünf junge Frauen bei einem provisorischen Picknick auf einem Mäuerchen im Park erinnern in ihrer Beziehung zueinander und auch durch das späte Licht an Lotte Lasersteins „Abend über Potsdam“, das eine Gruppe von Freunden der Malerin 1930 zeigte, als die Gedanken sich schon um das Weggehen aus Nazideutschland drehten. Es ist eine sehr verhaltene Spur, die Brenner da zu den Spannungen der Gegenwart legt, in der antisemitische Übergriffe wieder deutlich zunehmen.
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