Claudius Prößer war auf Radtour mit Monika Herrmann
: Viel getan, aber noch viel mehr zu tun

Im Friedrichshainer Weidenweg drängelt sich ein weißer BMW an der kleinen Gruppe von RadfahrerInnen vorbei. Die sind recht langsam unterwegs und auch noch in zwei Reihen nebeneinander, das missfällt dem Autofahrer. Durchs Fenster motzt er eine der Frauen in gelber Warnweste an. Dass er es mit der Bezirksbürgermeisterin zu tun hat und die nicht auf den Mund gefallen ist, ahnt er nicht. „Fahr-rad-stra-ße! Fahr-rad-stra-ße!“, brüllt Monika Herrmann dem Drängler hinterher.

Die Grünen-Politikerin, die in Friedrichshain-Kreuzberg auch für den Straßenverkehr zuständig ist, radelt am Mittwoch mit der Presse durch den Bezirk, begleitet von ihrem Mitarbeiter Felix Weisbrich. Der Leiter des Straßen- und Grünflächenamts ist kein Unbekannter mehr, seit er mit der Abteilung Verkehrsmanagement in der grünen Senatsverwaltung die „Pop-up-Radspuren“ erfunden hat.

Herrmann zieht es nun ins Abgeordnetenhaus, ein paar Mal führt der Weg vorbei an einem der Plakate, das sie als Direktkandidatin für den Wahlkreis 4 in Friedrichshain zeigt. Die Bürgermeisterin hat nach eigenem Bekunden „die Mobilitätswende zur Chefinnensache erklärt“ und will sie als Abgeordnete „berlinweit voranbringen“, manche raunen, sie habe das Zeug zur Senatorin. Bei der Tour am Mittwoch wollen Weisbrich und sie zeigen, was der Bezirk geleistet hat – und was noch fehlt.

Das ist natürlich, nüchtern betrachtet, fast alles: Auf die Frage, wie viel Prozent der Infrastruktur schon gemäß Mobilitätsgesetz umgebaut wurden, wollen die beiden keine Zahl nennen. „Ich sage mal: Es ist eine sehr große Aufgabe“, formuliert Weisbrich, „und es ist wichtig, anzufangen.“ Im berlinweiten Vergleich muss sich Friedrichshain-Kreuzberg dabei nicht verstecken, im Gegenteil: Der Bezirk ist die Vorhut der Verkehrswende.

Die Tour führt über die Frankfurter Allee, wo eine Pop-up-Spur mit Minipollern, sogenannten Leit-Boys, verstetigt wurde, hoch zum Stadtplatz, der durch die Teilsperrung der Waldeyerstraße entstanden ist, hinüber zur Pollerreihe, die die Samariterstraße unterbricht, und hinunter zum Weidenweg, wo die Fahrradstraße bald durch neue Einbahnstraßenregeln mehr Gewicht erhalten soll.

Vieles setzen Herrmann und Weisbreich mit einer „Reallabor“-Taktik um: Elemente vorläufig anordnen, beobachten, ob sie angenommen werden, nachjustieren, ausweiten, verstetigen. Zu kämpfen haben sie nicht nur mit der Kluft zwischen dem Anspruch des Mobilitätsgesetzes und den begrenzten Mitteln zu seiner Umsetzung, sondern auch mit AnwohnerInnen, die im konkreten Fall auf die Barrikaden gehen – obwohl sich bei einer Befragung kürzlich mehr als 50 Prozent vorstellen konnten, private Autos ganz aus den Kiezen zu verbannen.

Auf der anderen Seite stehen die RadaktivistInnen, denen es nie schnell genug geht und die man mit ein paar Leit-Boys nicht überzeugen kann. „Ich teile die Ungeduld und verstehe die Radikalität“, sagt Herrmann dazu, gibt aber zu bedenken: „Es geht nicht nur um uns im gemeinsamen Straßenraum.“ Noch sei das Auto eine Realität. Sie warnt umgekehrt davor, dass das Erreichte wieder zurückgedreht werden könnte: „Bei der Kandidatin von der SPD müssen wir uns da ernsthaft Sorgen machen.“

Weiter geht es nach Kreuzberg, auf der „Protected Bikelane“ den Kottbusser Damm entlang, durch die Körtestraße mit ihrem ferngesteuerten Edel-Poller zur Bergmannstraße, wo Radfahrende jetzt teilweise Tempo 10 einhalten müssen. Auch hier offenbaren sich Tücken: Etliche der schwarzen Hartgummiprotektoren auf dem Kottbusser Damm sind von Autos abgefahren worden, Weisbrich erklärt in seiner trocken-norddeutschen Art, dass nachgebessert werden müsse: „Wir sind noch nicht feddich.“

Noch ein Problem: Der Streifen links neben der Radspur ist eine Lieferzone, aber alle parken dort, keiner kontrolliert. Für das Ordnungsamt sei sie leider nicht zuständig, räumt Herrmann ein – sie würde gerne das Straßenamt zur Kontrolle einsetzen. Am besten gleich berlinweit, erklärt sie, und drückt ihre Pausenzigarette in dem kleinen Aschenbecher an ihrem Fahrradrahmen aus. An Projekten für die kommenden Jahre mangelt es ihr nicht.