piwik no script img

Krankenschwester impfte KochsalzlösungUnd die „Querdenker“ freuen sich

In Friesland könnte eine Krankenschwester Tausenden Kochsalzlösung statt Impfstoff verabreicht haben. Weil sie Coronaverharmloserin war?

Wie viele Impfungen wurden hier verfälscht? Das Impfzentrum im Landkreis Friesland Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa

FRIESLAND/BERLIN taz | Als bekannt wird, dass eine Krankenschwester in Friesland bis zu 8.500 Menschen nur mit einer Kochsalzlösung geimpft haben könnte und sich Entsetzen breitmacht, reagiert einer der prominentesten Köpfe des Coronaprotests, der Anwalt Markus Haintz, anders. „Panne? Sabotage?“, fragt er auf seinem Telegramkanal. Und liefert ein anderes Motiv: „Oder vielleicht Nothilfe?“ Haintz schiebt den passenden Paragrafen hinterher: 32, Strafgesetzbuch, Notwehr. Auf anderen Kanälen wird man noch deutlicher. „Ehrenfrau!“, schreibt ein Nutzer auf Twitter.

Das Handeln der Krankenschwester scheint bei einigen Querdenkern Anklang zu finden. Die Behörden sind dagegen weiter geschockt. Frieslands Landrat Sven Ambrosy (SPD) erklärte, der Vorfall mache ihn „sehr betroffen“. Und Heiger Scholz, Leiter des niedersächsischen Coronakrisenstabs, bemerkte: „Das ist schon ziemlich perfide, sich in ein Impfzentrum einzuschleichen mit so einem Vorsatz.“

Noch ist einiges unklar, aber die Dimension des Falls könnte tatsächlich gewaltig werden – umso mehr, wenn sich ein politisches Motiv bestätigt. Es wäre eine neue Eskalationsstufe des Coronaprotests. Noch aber laufen die Ermittlungen.

Ermittlungen wegen Körperverletzung

Schon Ende April war bekannt geworden, dass die rund 40-jährige Krankenschwester im Impfzentrum Roffhausen sechs Impfampullen nur mit Kochsalzlösung verimpft haben soll – nach eigener Auskunft, um zu vertuschen, dass ihr eine Ampulle heruntergefallen war.

Am Dienstag nun gab das Landrats­amt Friesland bekannt, dass nach Polizeiermittlungen weitere Personen nur eine Kochsalzlösung bekommen haben könnten. Theoretisch könne dies 8.557 Personen betreffen, die in den Schichten der Krankenschwester an der Reihe waren – 3.600 von ihnen meldeten sich im Nachgang bisher zu einer erneuten Impfung an. Die Polizei ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung. Die Kochsalzlösung an sich ist ungefährlich.

Auch eigene Impfung gefälscht?

Am Donnerstag wurde ein neuer Vorwurf publik: Auch ihre eigene Impfung soll die inzwischen gefeuerte Krankenschwester gefälscht haben. Laut Staatsanwaltschaft Oldenburg soll die Betroffene auch hier eine Spritze nur mit Kochsalzlösung aufgezogen und eine andere Frau um die Injektion gebeten haben. Dazu sei es aber nicht gekommen. Dennoch sei eine Impfung in ihrem Impfpass vermerkt worden. Im Raum steht der Verdacht der Urkundenfälschung.

Und tatsächlich gibt es Hinweise, dass die Krankenschwester eine Coronaverharmloserin ist. Laut Polizei hat die Frau kurz vor der Tat im April mehrere Whatsapp-Nachrichten an eine Bekannte weitergeleitet, die Zweifel an den Corona-Impfungen äußerten. Schon Monate zuvor habe sie auf ihrem Facebookprofil einen Eintrag geteilt, der die Coronapolitik kritisierte. Auch würden Zeugenaussagen die Frau belasten.

Anwalt bestreitet politisches Motiv

Ihr Anwalt Christoph Klatt räumt gegenüber der taz ein, dass seine Mandantin Zweifel an der Corona-Impfung gehabt habe. Zu den Chats lägen ihm noch keine Akten vor. Es sei aber nicht strafbar, sich kritisch zur Coronapolitik zu äußern. Ein politisches Motiv seiner Mandantin bei den Impfungen bestreitet der Anwalt.

Auch habe es neben den sechs verfälschten Impfungen im April keine weiteren gegeben. Das Motiv bleibe Vertuschung, weil hoher Druck auf die Beschäftigten im Impfzentrum ausgeübt worden sei, so Klatt. Noch dazu habe die Frau damals gar nicht nur reine Kochsalzlösung verimpft, sondern auch Impfstoffreste aus angebrochenen Ampullen beigemischt. Dass sich die Krankenschwester auch selbst nur mit einer Kochsalzlösung impfen wollte, zieht Klatt in Zweifel: Dafür habe er keine Anhaltspunkte.

Eine Sprecherin der Polizei ­betont dagegen, dass nach den Zeugenvernehmungen durchaus die Gefahr bestehe, dass die Krankenschwester „auch in weiteren Fällen anstelle des Impfstoffs nur eine Kochsalzlösung in den Spritzen aufgezogen hat“ – dies müsse strafrechtlich aber noch erhärtet werden. Zudem ermittelt weiter ein Fachkommissariat für politisch motivierte Kriminalität bei dem Fall mit. Hinweise, dass die Frau Coronaproteste besuchte oder in entsprechende Gruppen eingebunden war, gebe es bisher aber nicht, sagte die Sprecherin.

Verfassungsschutz warnt vor Radikalisierung

Auch der Verfassungsschutz behält den Fall im Blick. Wegen der offenen Ermittlungen will man sich nicht direkt dazu äußern. Aber das niedersächsische Landesamt warnt, dass sich auch in dem Bundesland der Corona-Protest radikalisiert habe und teilweise staatliche Vorgaben missachte. Repräsentanten würden als diktatorisch dargestellt, das politische System mit dem Dritten Reich verglichen oder an sich delegitimiert. „Die weitere Entwicklung und Radikalisierung der Bewegung wird weiterhin beobachtet.“

Beim Deutschen Roten Kreuz, welches das Impfzentrum Roffhausen betreut, verfolgt man den Fall der Krankenschwester fassungslos. „Ich bin total geschockt“, sagt Heide Bas­trop, Vorsitzende des Kreisverbands Jeverland. Die Krankenschwester sei unauffällig gewesen, habe sich nicht offen als Corona­leugnerin gezeigt. Sollte sich ein politisches Motiv bestätigen, wäre dies „entsetzlich“, so Bas­trop zur taz. Noch aber blieben für sie in dem ganzen Fall „große Fragezeichen“.

Heiger Scholz, Coronakrisen­stabsleiter und Staatssekretär im Sozialministerium, hat diese weniger. Es gebe „deut­liche Hinweise“, dass die Krankenschwester „in großem Umfang Kochsalzlösung verimpft hat als Impfgegnerin“, betonte der SPD-Mann am Dienstag. Dies verweise auf eine „erhebliche kriminelle Energie“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Falls sich der Verdacht bestätigt, dass die Krankenschwester als Impfgegnerin massenhaft Kochsalzlösung verimpft hat, kann man dazu verschiedene Dinge sagen:

    Erstens ist es natürlich schlimm für alle, die auf eine Immunisierung gehofft hatten und jetzt nach wie vor ein erhöhtes Corona-Risiko tragen. Gibt es Untersuchungsmöglichkeiten, um festzustellen, ob ein Impfling die richtige Impfung bekommen hat oder nur Kochsalzlösung? Dann könnte man ja alle möglichen Fälle überprüfen.

    Zweitens ist es nicht nur ärgerlich und nervig, sondern auch gefährlich, dass es nach wie vor Impfgegner gibt. Die Ideologie an sich ist schon falsch. Damit meine ich: Wer absolut überzeugt davon ist, Corona-Impfungen (oder wahlweise Impfungen überhaupt) wären extrem gefährlich, handelt nur folgerichtig mit dem Versuch, diese vermeintlichen Gefahren aktiv von den Leuten abzuwenden. Die "erhebliche kriminelle Energie" sehe ich also weniger bei der Krankenschwester, sondern eher bei den Leuten, die mit ihren Falschnachrichten und ihrer Pseudowissenschaft die Motivation für ihre Taten geliefert haben.

    Natürlich kann man so etwas nicht verbieten. Meinungsfreiheit muss gewährleistet bleiben, auch im Bezug auf falsche und schwachsinnige Meinungen. Jede Einschränkung könnte schließlich eines Tages auch gegen Meinungen bzw. Leute verwendet werden, die das nicht verdient haben. Was macht man also dann? Aufklären wäre eine Möglichkeit, wenn auch keine perfekte...