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Thriller „New Order“ in den KinosNeue Ordnung des Alten

Arme wollen Rache: Der mexikanische Regisseur Michel Franco beschreibt im Thriller „New Order“ einen brutalen Aufstand in der näheren Zukunft.

Der Farbbeutelanschlag ist für Marianne (Naian González Norvind) die kleinste Sorge Foto: Ascot Elite

Bilder eines Aufstands sind selten gemütlich. Die Szenen, die der mexikanische Regisseur Michel Franco an den Anfang seines neuen Films setzt, lösen aktuell ein noch gesteigertes Unwohlsein aus: Da werden in einem Krankenhaus Patienten aus ihren Betten geworfen. Noch hat das Ganze einen Beigeschmack von Surrealem: Man sieht ein abstraktes Gemälde, dann blutende, gemetzelte Körper, aber auch solche, die einfach mit grüner Farbe übergossen sind. Happening oder reales Ereignis? Und was bedeutet die grüne Farbe?

Nichts Gutes, das hat man im Haushalt der in ihrer modernen Villa gut abgeschirmten reichen Familie schon verstanden. Dennoch hält sich die Alarmbereitschaft in Grenzen, als aus einem der Hähne im Luxusbad auf einmal grünes Wasser fließt. Man hat Wichtigeres zu tun: Die Hochzeit von Tochter Marianne (Naian González Norvind) wird gefeiert.

Es geht zu, wie man sich das so vorstellt in einer von Ungleichheit bestimmten Gesellschaft irgendwo in Lateinamerika: Festlich gekleidete, überwiegend weiße Menschen greifen sich Getränke und Happen von Tabletts, die von Bediensteten herumgereicht oder hingestellt werden.

Letztere sind überwiegend indigener Herkunft. Sympathien für die eine oder andere Seite zu entwickeln, fällt schwer. Die Reichen verhalten sich so schnöselig-arrogant, wie man es von den „Bösen“ in den einschlägigen Seifenopern kennt, während die Angestellten auf eine Weise servil auftreten, mit der man sich auch nicht identifizieren mag.

Aufständische dringen in Villa ein

Der Film

„New Order“. Regie: Michel Franco. Naian González Norvind, Fernando Cuautle u. a. Mexiko 2020, 86 Min.

Viel Zeit darüber nachzudenken lässt einem Regisseur Franco in seinem knapp 90-minütigen Film ohnehin nicht. Bald schon überwinden die Aufständischen die um die Villa gezogenen Schutzmauern. Mit vor Schreck geweiteten Augen verharrt die Hochzeitsgesellschaft vor den auf sie gerichteten Gewehren.

Es dauert nicht lange, bis der Erste von ihnen das Handeln beginnt à la: „Hier, ihr könnt meine goldene Armbanduhr haben.“ Die Aufständischen greifen sich wenig zimperlich besonders die Frauen heraus, bedrohen und erniedrigen sie. Was erst den Auftakt bildet zu vielen, sehr ungemütlichen bis kaum zu ertragenden Szenen der Gewalt, die von da an „regiert“.

Die Stärke und zugleich die Schwäche von Francos Film ist seine gewählte Perspektive: Er zeichnet ein möglichst abstraktes, von Einzelfiguren absehendes Bild eines Aufstands in der „nahen Zukunft“.

Die einzige ­Figur, für die man eine gewisse Empathie empfindet, ist die Braut Marianne. Und nur ­deshalb, weil sie als einzige in ihrer Familie dem ehemaligen Angestellten Rolando (Eligio Meléndez) helfen will. Der klingelt während der Hochzeitsfeier an den Toren der Villa und bittet um Geld, das er für die Operation seiner Frau benötigt.

Privilegierte Weltfremdheit

Die Mutter, der Vater, der Bruder, sie alle reagieren gleichgültig bis ablehnend. Nur Marianne besteht darauf, dass es sich bei Ronaldo eigentlich um Familie handle. Dass sie sich dann selbst ins Auto setzt, um zu helfen, zeigt zugleich ihre privilegierte Weltfremdheit. Weiß sie nicht, was draußen los ist? Begreift sie nicht, dass der Aufstand sich gegen sie wendet? Was Franco, der selbst das Drehbuch schrieb, ihr ­zustoßen lässt, überschreitet allerdings den Zug des ­Zynischen ins ­Sadistische hinein.

Darin liegt eben die Schwäche seiner Vision: Francos Blick auf die Ereignisse will kalt sein, unbeteiligt. Die Aufständischen, das Militär, die Finstermänner, die alsbald das Chaos verstärken, um eine neue Ordnung zu etablieren, die mit erstaunlicher Konsequenz dann doch wieder die alten Privilegien sichert – sie bleiben bloße Schablonen eines Weltbilds, das nicht verstehen, sondern sich im Grauen nur selbst bestätigen will.

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1 Kommentar

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  • Nach mehr als 30 Jahren in Mexiko in nicht-privilegierter Stellung muss ich leider sagen, dass die Schlussfolgerung hier:



    "Darin liegt eben die Schwäche seiner Vision: Francos Blick auf die Ereignisse will kalt sein, unbeteiligt. Die Aufständischen, das Militär, die Finstermänner, die alsbald das Chaos verstärken, um eine neue Ordnung zu etablieren, die mit erstaunlicher Konsequenz dann doch wieder die alten Privilegien sichert – sie bleiben bloße Schablonen eines Weltbilds, das nicht verstehen, sondern sich im Grauen nur selbst bestätigen will"



    grundfalsch ist, aber entschuldbar für jemanden, der die Verhältnisse nicht kennt.



    Was gerade geschieht, ist, dass der vermeintliche Hoffnungsträger der "Linken" (ich möchte hier nicht auf die Kriterien von rings und lechts eingehen) mit seiner Politik gegenüber dem Narco schafft: eine neue Ordnung, die in (leider nicht) erstaunlicher Weise die alten Privilegien sichert.



    Hatten bisher die Privilegierten und der Narco ihre Welten, so wird immer klarer, dass der Narco inzwischen auch "das Ruder" übernommen hat. Die Privilegierten arrangieren sich oder gehen ins Ausland, vorzugsweise US, wohin übrigens auch die Narcos zur Strafverfolgung abgeschoben werden.



    Was den Nicht-Privilegierten bleibt, ist das, was der Film, den ich nicht gesehen habe, wohl zeigt: das Grauen, die Hoffnungslosigkeit.