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Sorge um die Party-Meute

Niedersachsen hat die Spielregeln für Clubs und Discos noch einmal drastisch verschärft, weil sich zu viele junge Leute angesteckt haben. Mindestens ein Betreiber will sich dagegen vor Gericht wehren

Von Nadine Conti

Die Meldungen häuften sich: In der Region Hannover gab es zeitweise Quarantäne-Anordnungen für mehr als 3.000 junge Leute, weil sie in Clubs mit Infizierten gefeiert haben. Auch aus den niedersächsischen Landkreisen gab es zahlreiche solcher Meldungen – aus Großraumdiscos und von Abi-Partys.

Für Niedersachsens Sozialministerin Daniela Behrens (SPD) eine undankbare Situation. Einerseits, sagte sie am Rande eines Ortstermins in der vorvergangenen Woche der taz, verstehe sie ja absolut das Nachholbedürfnis und die sommerliche Feierlaune der jungen Leute. Die hätten nun auch wirklich lange die Füße still halten müssen.

Andererseits drohten die steigenden Inzidenzen aber dann auch andere Branchen mitzureißen, obwohl die gar nichts dafür könnten. „Es wäre doch auch unfair, wenn Gastronomie und Handel leiden müssen, obwohl wir dort kaum Ansteckungen zu verzeichnen haben.“

Am Mittwoch der vergangenen Woche machte Niedersachsen dann Nägeln mit Köpfen. Obwohl man eigentlich gehofft hatte, die Coronaverordnung und den Stufenplan über die Sommerferien erst einmal nicht mehr anfassen zu müssen, nahm man dann doch eine kleine – für die Clubs aber bedeutsame – Verschärfung vor.

Discos, Clubs und Shisha-Bars müssen in Niedersachsen nun schon ab einer Inzidenz von 10 schließen, vorher war dies erst ab einer Inzidenz von 35 der Fall. Bei einer Inzidenz von unter 10 gelten Maskenpflicht – auch auf der Tanzfläche –, die üblichen Hygienekonzepte und eine Beschränkung der Gästezahl auf 50 Prozent.

In der Region Hannover macht das erst einmal keinen großen Unterschied: Hier gab es schon ein letztes großes Partywochenende, weil die Inzidenz über 35 lag und klar war, dass alle wieder schließen müssen. Nun ist allerdings eine Wiedereröffnung in sehr viel weitere Ferne gerückt. Und in einigen Landkreisen mussten Clubs schließen, die nach den alten Spielregeln eigentlich noch offen haben durften.

Der Betreiber der Discothek Index in Schüttorf in der Grafschaft Bentheim, Holger Bösch, hat deshalb nun einen Eilantrag gegen die aktuelle Änderung der Coronaverordnung vor dem Oberverwaltungsgericht in Lüneburg eingereicht. Er strebt ein Normenkontrollverfahren an und wird dabei von mehr als 25 Diskotheken in 18 niedersächsischen Landkreisen unterstützt, wie er dem NDR sagte. Bösch ist Vizepräsident im Bundesverband deutscher Diskotheken und Tanzbetriebe und betreibt in Schüttorf nach eigenen Angaben Deutschlands größte Disco.

Auch der Gaststättenverband Dehoga Niedersachsen hat gegen die Neuregelung protestiert. Er verweist darauf, dass die Betreiber viel Geld und Mühe in die Wiedereröffnung und ihre Hygienekonzepte investiert hätten. Man solle lieber konsequent gegen diejenigen vorgehen, die sich nicht an die Spielregeln hielten, als alle anderen mitabzustrafen, fordert ein Vertreter des Branchenverbandes.

Lediglich drei Wochen lang haben die meisten Clubs mit voller Kapazität öffnen können – davor waren die Gästezahlen beschränkt, was den Betrieb für viele unwirtschaftlich machte.

In Nordrhein-Westfalen hatte es im Juni schon eine ähnliche Enttäuschung gegeben: Hier hatten die Clubs gerade einmal zwei Wochen lang richtig öffnen dürfen, bevor man sie angesichts der steigenden Infektionszahlen wieder schloss.

Insgesamt handhaben die Länder dies sehr unterschiedlich. Bremen hatte eine Öffnung vorsichtshalber gar nicht erlaubt, auch in Hamburg darf nur im Freien und unter Auflagen getanzt und gefeiert werden, nicht aber in geschlossenen Räumen. Schleswig-Holstein setzt auf umfängliche wissenschaftlich begleitete Modellversuche, für die aber noch keine Ergebnisse bekannt sind.

Nicht ganz klar ist allerdings, ob die Masseninfektionen in Niedersachsen nun wirklich aufgrund von Regelverstößen zustande gekommen sind – oder ob die Hygienekonzepte vielleicht doch nicht so ganz halten, was sie versprechen.

Das Gesundheitsamt der Region Hannover hatte zuletzt mehrere Testzentren geschlossen – sie sollen unsauber gearbeitet haben und den Gästen voreilig negative Testergebnisse aufs Handy geschickt haben, bevor der Test überhaupt abgeschlossen war. Darunter soll – sagen Insider – auch ein Betreiber gewesen sein, der seine mobilen Teststände direkt vor Clubs oder gezielt in den Vergnügungsvierteln aufgebaut hatte.

Die Region Hannover sagt, sie habe die Neuinfektionen in ganz anderen Lebensbereichen über fünf Stufen zu den Party-Ausbrüchen zurückverfolgen können

Auch einzelne Shisha-Bars und Clubs (darunter zwei Discotheken im Steintorviertel in Hannover) waren zuletzt durch die Ordnungsbehörden geschlossen worden, weil sie wiederholt und massiv gegen die Corona-Auflagen verstoßen haben sollen. Dabei ging es zum Teil um fehlende Abstände und zu viele Gäste auf zu engem Raum, oft aber auch um eine mangelhafte Erfassung der Kontaktdaten.

Für die Gesundheitsämter ist die Kontaktnachverfolgung in solchen Fällen vor allem da eine Riesenherausforderung, wo bisher noch das Tanzen in Innenräumen ohne Maske erlaubt war – und so auf einen Schlag hunderte von Kontaktpersonen aufgefunden und unter Quarantäne gestellt werden müssen.

Während die jungen Leute selbst kaum schwer erkranken, tragen sie das Virus in rasendem Tempo in ihre Familien und in die Betriebe, in denen sie arbeiten. Gegenüber der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung sagte ein Regionssprecher, man habe Infektionen aus ganz anderen Lebensbereichen über fünf Stufen bis zu den Partyausbrüchen zurückverfolgen können.

Ob das Argument des klagenden Discobetreibers, es sei ja gar nicht erwiesen, dass die Clubs Treiber des Infektionsgeschehens seien, vor diesem Hintergrund Bestand hat, ist fraglich. Allerdings hat auch die Landesregierung die Türe noch nicht ganz zugeschlagen: Die aktuelle Änderungsverordnung könne nur eine Übergangsregelung sein, heißt es im Begleittext zur Verordnung.

Bei den kommenden Bund-Länder-Gesprächen müsste „eine Verständigung über neue Maßstäbe getroffen werden, die sowohl die Impfquote als auch die Krankenhausbelegung stärker mit in den Blick nimmt“, heißt es weiter. Die Gespräche sind für den 10. August anberaumt. Möglicherweise wird danach die Inzidenz nicht mehr die einzige Zahl sein, auf die man gucken muss.

Bis dahin will Niedersachsen unter den jungen Erwachsenen noch einmal verstärkt für Impfungen werben und hat dafür eine eigenen Kampagne aufgelegt. Mehr als 62 Prozent der Neuinfektionen betrafen in der vorletzten Juliwoche Menschen unter 35 Jahren, aber weniger als die Hälfte der Menschen in dieser Altersgruppe sind nach Angaben der Landesregierung geimpft.

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