Gerichtsstreit um Verhütungspille: Klage gegen Bayer abgewiesen
Felicitas Rohrer nahm die Verhütungspille Yasminelle und erlitt eine Lungenembolie. Ein Gericht sieht die Kausalität nicht bewiesen.
Die angehende Tierärztin Felicitas Rohrer nahm seit Oktober 2008 die Mikropille Yasminelle, die von einer Bayer-Tochter vertrieben wird und heute noch auf dem Markt ist. Yasminelle war damals bei jungen Frauen sehr beliebt, weil mit Nebeneffekten wie guter Haut und vollem Haar geworben wurde.
Doch im Juli 2009 brach die damals 25-jährige Rohrer in der Freiburger Universität zusammen. Die Ärzte stellten eine Lungenembolie fest, die durch Thrombosen verursacht wurde, verbunden mit einem Herzstillstand. Rohrer wäre fast gestorben. Noch heute ist sie beeinträchtigt. Sie muss Medikamente nehmen und leidet an Angstsattacken. Als Tierärztin kann sie nicht arbeiten.
Rohrer macht die Verhütungspille Yasminelle dafür verantwortlich. Warum sonst sollte sie so schwer kollabieren? „Ich war jung, gesund, sportlich. Ich rauchte nicht und hatte kein Übergewicht“, argumentierte sie. Rohrer ist mit ihrer 2011 eingereichten Klage kein Einzelfall. In über 9.000 Verfahren schloss Bayer in den USA vergleiche aufgrund ähnlicher Vorwürfe und zahlte 1,9 Milliarden Dollar. Rohrer wollte einen Präzedenfall für Deutschland schaffen.
Fall laut Gericht „eindeutig“
Doch nun ist sie gescheitert. Wie schon das Landgericht Waldshut-Tiengen im Jahr 2018 lehnte jetzt auch das Oberlandesgericht Karlsruhe ihren Anspruch auf 200.000 Euro Schadensersatz ab. „Für Sie persönlich tut es mir leid, dass wir nicht anders entscheiden konnten“, sagte Eva Voßkuhle, die Vorsitzende Richterin, „aber letztlich war es eindeutig“.
Das OLG Karlsruhe, das in Freiburg verhandelte, hatte drei Wege zur Annahme von Kausalität geprüft und alle verneint. Ein normaler Beweis, dass die Yasminelle-Einnahme für die Lungenembolie ursächlich ist, sei nicht möglich. „Schließlich treten 40 Prozent aller Thrombosen ohne erkennbare medizinische Ursache auf“, so Voßkuhle. Auch ein so genannter Anscheinsbeweis schied für das Gericht aus. „Von 10.000 Frauen, die Yasminelle nehmen, erleiden nur 9 bis 12 Thrombosen“.
Im Mittelpunkt des Verfahrens stand daher die Frage, ob die Kausalität vermutet werden kann. Wegen der typischen Beweisprobleme hatte der Bundestag 2002 eine Kausalitätsvermutung ins Arzneimittelgesetz eingebaut (Paragraf 84 Absatz 2). Danach ist Kausalität anzunehmen, wenn ein Medikament „geeignet“ ist, den Schaden zu verursachen. Allerdings entfällt die Vermutung laut Gesetz, wenn es im Einzelfall auch eine andere geeignete Ursache für den Schaden gab.
Im Fall von Felicitas Rohrer lehnte das OLG die Vermutung ab. Zwar hatte selbst Bayer eingeräumt, dass Yasminelle Thrombosen verursachen kann. Allerdings stellte ein medizinischer Sachverständiger fest, dass es bei Rohrer eine mögliche Alternativursache gab. Sie war im März 2008 nämlich nach Thailand geflogen, und auch solche Flugreisen seien geeignet, Thrombosen auszulösen. Zunehmende Beschwerden bis zum Zusammenbruch im Juli passten ins Bild einer derartigen Reise-Thrombose.
Keine Revision
Weil das Gericht schon keine Kausalität belegt sah, mussten die anderen Voraussetzungen für den Schadensersatz gar nicht mehr geprüft werden. Es blieb also offen, ob Bayers Beipackzettel damals ausreichend auf Risiken hinwies. Und es blieb ungeklärt, ob der Nutzen von Yasminelle die Risiken der Pille ausreichend überwiegt.
Das OLG ließ keine Revision zum Bundesgerichtshof zu, weil nur die Beweiswürdigung umstritten war, während es in der Revision lediglich um Rechtsfragen gehen könne. Rohrer will sich nun mit ihrem Anwalt beraten, ob sie eine Nicht-Zulassungsbeschwerde einreicht.
Damit sind Klagen gegen Yasminelle nicht generell aussichtslos. Schließlich sind nicht alle Frauen, die die Pille für schwere Schäden verantwortlich machen, vorher in andere Kontinente geflogen.
Tatsächlich sind Arzneimittelhaftungsklagen aber meist wenig erfolgversprechend, weil selbst die Kausalitätsvermutung in der Praxis weitgehend leerläuft, kritisiert der Fachanwalt für Medizinrecht Jörg F. Heynemann. Häufig könne der Arzneimittel-Hersteller doch auf irgendeine mögliche Alternativursache verweisen.
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