Die Wahrheit: Mutmaßungen über Schleuser

Wenn sich Stuttgarter urlaubstechnisch auf die Mebusepla, die Mecklenburger Seenplatte, verirren, geht das Kopfkino aber sowas von los.

Ob ich nicht ein heißes Sommerwochenende auf einem Mecklenburger Hausfloß verbringen wolle, fragte man mich jüngst und ich nahm die Einladung selbstverständlich an. Wenn man in Stuttgart-Mitte wohnt, wo alle Gewässer längst gekippt oder unrettbar verdreckt sind, ist der nächste Badesee ohnehin so weit entfernt, dass man auch gleich nach Mecklenburg fahren kann.

Unbekannt war mir als Südschatten, mein Gegenwort zu „Nordlicht“, bis zu diesem Ausflug der Beruf des Schleusers. Da die Seen der Mebusepla, meine Kurzform für „Mecklenburgische Seenplatte“, sich auf unterschiedlichen Höhen- beziehungsweise Tiefenmetern befinden, muss man, wenn man von einem See auf den anderen schippern will, mit dem Floß eine Schleuse ansteuern. Dort pumpt ein Schleuser dann Wasser ab, um das Boot auf das entsprechende Level abzusenken. So weit, so faszinierend.

Da die Schleusnachfrage oftmals größer als das Schleusangebot ist, steht man vor so einer Schleuse schon mal ein, zwei Stunden lang Wasserschlange. Worüber der Schleuser mit den Leuten auf den Kleinyachten in der Reihe vor einem spricht, versteht man zwar kaum. Aber als passionierter Lippenleser bilde ich mir ein, aus der Ferne beobachten und interpretieren zu können, dass es hierbei vor allem um eines geht: Sex.

Zuvörderst die Seefrauen unterhalten sich meiner Wahrnehmung nach besonders angeregt mit den kräftigen Schleuserkerlen, die oben am Schleusenufer thronen und deren mächtige Erscheinung aus der Froschper­spek­tive des Floßes noch imposanter daherkommt. Sprüche wie „Ich könnte Ihnen nach Feierabend auch noch andere Schleusen zeigen“ scheinen keine Seltenheit zu sein, auch eindeutige Zweideutigkeiten wie „Oh, Herr Schleuser, das gefällt mir wirklich gut, was Sie da machen: den ganzen Tag rein, raus, hoch und runter!“ meine ich den Lippen der schmachtenden Damen deutlich abgelesen zu haben.

Überdies sprechen Hunderte Google-Rezensionen der einzelnen Schleusen Bände: „Lange Wartezeiten, obschon der Schleuser die Kammer immer gut füllt“ oder „Netter Schleuser, der auch Anfängern Tipps und Hilfestellung gibt“ oder auch: „Tolle Technik, ich war begeistert.“

Vielen dieser Bewertungen merkt man an, wie sehr die Bewerterinnen sich zurücksehnen nach ihren Urlaubserlebnissen mit den leidenschaftlichen Schleusern. Der Schleuser selbst jedoch ist wohl ein Lonely Wolf, der zwar viele Boote, doch niemals sich selbst festbindet: Alle Frauen wollen ihn, alle Männer wollen so sein wie er, der Schleuser aber will nur schleusen.

So liegen am Abend nach der Schleusung mutmaßlich Dutzende Matrosinnen beglückt in der Koje, während ihre nichtsahnenden Männer am Ruder mit lächerlichen Kapitänsmützen einen Schluck Dosenbier in ihre klobigen Körper schleusen. Man hatte mir jedenfalls nicht zu viel versprochen: Es war, wie angekündigt, ein heißes Wochenende.

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Cornelius W. M. Oettle kam in der kältesten Novembernacht des Jahres 1991 in Stuttgart zur Welt und weiß nicht, warum. Zur Überbrückung seiner Lebenszeit schreibt er als freier Autor für alle, die sich ihn leisten können. Seine Tweets aber sind und bleiben gratis.

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kari

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