: Oben ohne für alle
Beschriebene Brüste statt Plakate: In Kreuzberg demonstrieren Menschen für die Gleichbehandlung nackter Körper. Anlass ist ein Vorfall am Spielplatz
Von Cristina Plett
Sorgfältig malt sich eine Frau mit roter Farbe einen Kussmund auf den linken Nippel. Zwei Frauen schmieren sich den ganzen Oberkörper rot ein, jemand legt sich eine lila Federboa um die Schultern – die Vorbereitungen auf die Demo am Samstag am Kreuzberger Mariannenplatz erinnern an ein Festival. Wäre da nicht ein Unterschied: Alle anwesenden Frauen und nonbinären Personen sind oberkörperfrei. Die wenigen Männer, die da sind, tragen Bustiers, BHs, Bikinis.
So will die Demo darauf aufmerksam machen, dass männliche und weibliche Oberkörper ungleich behandelt werden. Unter dem Motto „No nipple is free until all nipples are free“ hatte die Sektion „Wilde Möpse“ der Hedonistischen Internationalen dazu aufgerufen. Auf Fahrrädern zog der Zug am Samstag durch Kreuzberg und Neukölln. Gekommen waren laut Veranstalter*innen 700 Menschen, laut Polizei 350.
Hintergrund des Protests war ein Ereignis Ende Juni gewesen: Weil eine Frau sich oben ohne am Wasserspielplatz Plansche im Plänterwald gesonnt hatte, während ihr Sohn spielte, waren die Parkaufsicht und danach die Polizei gekommen. Beide hatten sie aufgefordert, einen BH oder ein T-Shirt anzuziehen, weil ihre Brüste „stören“ würden und es „hier Kinder“ gebe. Die Frau namens Gabrielle Lebreton weigerte sich. „Das ist Diskriminierung“, habe sie laut ihrem Gedächtnisprotokoll gesagt. Schließlich sei sie gegangen, weil die Polizei sie des Platzes verweisen wollte.
Dass die Frauen oben ohne sind, wurde zur Überraschung der Veranstalter*innen genehmigt. Für eine der Organisator*innen, die als Rosa Nippel-frei zitiert werden will, bestätigt das nur, wie absurd der Vorfall im Plänterwald war: „Selbst die CDU hat nichts dagegen. Das zeigt die ungeschriebene Gesellschaftsordnung in Berlin. Der Konsens zu oben ohne ist da.“ Deswegen fordern die Wilden Möpse, das politisch umzusetzen.
Lebreton war wegen §118 des Ordnungswidrigkeitengesetzes, Belästigung der Allgemeinheit, des Platzes verwiesen worden – dass ihr nackter Oberkörper darunter fällt, sei die persönliche Auslegung des Polizisten gewesen. Damit so etwas nicht wieder vorkomme, sei eine verwaltungsinterne Richtlinie, die diese Auslegung unterbindet, eine Lösung.
Für eine Teilnehmerin der Demo ist es damit jedoch noch nicht getan. „Das Gesetz zu ändern, reicht nicht, um das gesellschaftliche Bild zu ändern“, sagt Rosa, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte. „Brüste sind basically da, um Babys zu füttern. Ich kann nicht nachvollziehen, warum das sexualisiert wird“, sagt sie. „Free the titties“ steht auf ihrem Oberkörper.
Am Rande des Fahrradzuges ereignet sich eine Szene, die das Anliegen der Protestierenden nur bestätigt. Ein Demoteilnehmer – oben ohne – bringt seiner Begleiterin – auch oben ohne – ein Bier aus dem Späti. Kurz verweilen sie vor dem Geschäft. Da kommt ein Mitarbeiter und bittet die Frau mit eindeutigen Gesten zu gehen. Oben ohne, so normal das am Samstag in der Masse der Protestierenden wirkte, so anstößig ist es noch in der Realität.
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