Julia Neumann über die Präsidentschaftswahl in Iran
: Keine echten Sieger

Die historisch niedrige Wahlbeteiligung bei der Präsidentschaftswahl in Iran zeugt von dem verzweifelten Versuch der Reform­orien­tierten und Gegner des Systems, ihren Unmut Ausdruck zu verleihen. Das Regime hatte in den letzten Jahrzehnten die Wahlbeteiligung als indirektes Zeichen der Unterstützung gesehen. Die hat die politisch-religiöse Führung nun verloren, nur 48,9 Prozent gingen nach offiziellen Angaben zur Wahl.

Damit verliert das Regime weiter an Legitimität. Doch das scheint die Erzkonservativen nicht zu bekümmern. Denn das Lager um den Wahlsieger Ebrahim Raisi, der bereits als Nachfolger des geistigen und politischen Oberhaupts Ajatollah Ali Chamenei gehandelt wird, feiert.

Die Anhänger Raisis wollen „Unabhängigkeit“ von den USA und „Vergeltung“ für den Tod des von den USA im Januar 2020 getöteten Qasem Soleimani. Der iranische General der Revolutionsgarde galt als mächtiger Mann in Iran. Die USA töteten ihn im Januar 2020 in Bagdad mit einer Militärdrohne.

In einer zum Wahllokal umfunk­tio­nier­ten Moschee hingen Plakate mit Köpfen von „Märtyrern“, auf einem großen Banner wurde Chamenei zitiert: „Meine Stimme, ein Geschenk für Qasem Soleimani.“ Trump hat mit seiner Politik, sich Iran stärker zu widersetzen als jeder andere Präsident zuvor und der Aufkündigung des Nuklearabkommens, dem Regime neue politische Lebenszeit eingehaucht. Die alten anti-westlichen Narrative der islamischen Revolution, die für viele vergangen waren, sind wieder aufgewühlt. Diese Politik ist schon lange weit entfernt von der Lebensrealität der Menschen. Einen Umsturz wird es trotzdem nicht geben.

Als im November 2019 Menschen in Massen gegen die Regierung auf die Straße gingen, verhängte der moderate Präsident Hassan Rohani eine Internetsperre, Sicherheitskräfte schossen direkt auf Demonstrierende, 300 Menschen wurden getötet, mehr als 1.000 verhaftet. Deshalb haben auch die Moderaten aufgehört, an Veränderung durch Wahlen oder Protest zu glauben. Das führt zur Apathie. Die Politik ist zu einer Parallelwelt geworden.