„Theater der Welt“ in Düsseldorf: Ringen um Relevanz

In Düsseldorf sind beim Festival „Theater der Welt“ Produktionen aus fünf Kontinenten zu sehen. Das Programm war bis zuletzt eine Zitterpartie.

Zwei Frauen und ein Mann stehen an der Bar, vor ihnen ihre Bierkrüge

Szene aus der live aus Santiago de Chile gestreamten Produktion „Dragón“ von Guillermo Calderón Foto: Eugenia Páz

Als vor 40 Jahren das „Theater der Welt“ erfunden wurde, war Gründungs-Intendant Ivan Nagel noch stolz darauf, wenn er Produktionen des Wiener Burgtheaters zeigen konnte. Daran erinnerte zur Eröffnungs Joachim Lux die Presse. Der Intendant des Hamburger Thalia Theaters ist Präsident des Internationalen Theaterinstituts (ITI), des Gründers und Co-Veranstalters des Festivals.

Längst ist sein Anspruch so global wie der internationale Festivalzirkus – wo derzeit nichts den Erfahrungen der Pandemie eigentlich mehr widersprechen könnte, als tatsächlich Theater aus der ganzen Welt zeigen zu wollen. In Zeiten von Reisebeschränkungen, Quarantäne-Vorschriften und reisefreudigen Mutationen.

So war das Programm bis zuletzt eine Zitterpartie. Das Festival, das alle drei Jahre in einer anderen Stadt oder Region stattfindet, wurde 2020 wegen der Pandemie abgesagt und um ein Jahr verschoben. Aber auch der neue Termin war alles andere als sicher. Nun aber ist das Festival eine der ersten kulturellen Großveranstaltungen, die tatsächlich überwiegend live vor Publikum stattfinden kann.

Die diffuse Weite der Themen

Thematisch arbeitet sich das internationale Theatertreffen an allen brisanten Themen ab, die derzeit die Debatten beherrschen: Kolonialismus, der Kampf um Gleichberechtigung, die Chancen und Risiken künstlicher Intelligenz, Diskriminierung, die Rechte indigener Völker, Rollenbilder, Afrika, Klimawandel und der Zustand unseres Planeten. Klingt ambitioniert, aber auch ein bisschen beliebig. Aber vielleicht ist gerade diese etwas diffuse Weite der Themenfelder am besten geeignet, einen Überblick zu gewinnen über die aktuellen Anliegen und Ästhetiken des Theaters der Welt?

Eröffnet wurde das Festival mit der Uraufführung einer Bühnenfassung des Romans „Leben und Zeit des Michael K.“ des Nobelpreisträgers J. M. Coetzee, allerdings nur live gestreamt aus dem Baxter Theatre in Kapstadt vor luftig besetzten Reihen im gastgebenden Düsseldorfer Schauspielhaus. Der 1983 erschienene Roman erzählt die Geschichte eines schwarzen Außenseiters aus prekären Verhältnissen, der am unteren Rand der von Apartheit geprägten und durch einen nicht näher definierten Krieg zerrissenen Gesellschaft herumgeschubst und brutal ausgegrenzt wird.

Dieser Michael K. wird von einer fast lebensgroßen holzgeschnitzten Puppe verkörpert, die von drei sichtbaren Spielern der legendären Handspring Puppet Company virtuos geführt wird. Die weiße südafrikanische Regisseurin Lara Foot erzählt die Geschichte schnörkellos, der Puppen-Verfremdungseffekt sorgt für Überhöhung und zugleich für besondere Anteilnahme am Schicksal des Gebeutelten.

Ein atmosphärisch starker, würdiger Auftakt

Die lineare Inszenierung und ihre biederen ästhetischen Mittel wirken jedoch eigenartig aus der Zeit gefallen. Dennoch, die auf riesiger Leinwand über 9.500 Kilometer live erlebte Aufführung aus Kapstadt, wo derzeit Ausgangssperre herrscht, ist atmosphärisch stark und war ein würdiger Auftakt.

Wiederum nur live-gestreamt kam aus Santiago de Chile die Produktion „Dragón“, eine Arbeit des chilenischen Autors und Regisseurs Guillermo Calderón. Das brillant geschriebene Stück spielt in einem Setting, das ein in Chile legendäres Lokal nachbildet, in dem sich traditionell Intellektuelle und während der Militärdiktatur besonders Dissidenten trafen.

Verhandelt werden die Dispute des titelgebenden Künstlerkollektivs Dragón, das in einer tiefen Krise steckt. Zwei übrig gebliebene Mitglieder des Kollektivs diskutieren mit einer hinzugekommenen Frau ihr neuestes Projekt: die möglichst drastische Nachstellung des Mords an dem guyanischen Historiker und Politiker Walter Rodney in einer Galerie. Das Kunstprojekt, das an den schwarzen Theoretiker und Revolutionär erinnern soll, ist gedacht als Kommentar zu den aktuellen Verhältnissen im postkolonialen Chile.

Treffsicher, mit bösem, selbstironischem Humor

Treffsicher und mit bösem, selbstironischem Humor spießt Guillermo Calderón alle aktuellen Debatten auf, die den aktuellen Kunstdiskurs aufmischen, vom Black-Facing über Fake-News, Fragen der Repräsentation, Identität und Relevanz von (politischem) Theater und den Grenzen seiner Wirksamkeit. Das DarstellerInnen-Trio spielt dabei lustvoll mit Klischees aller Art und stellt die Rituale der Produktion von künstlerischer Scheinbedeutsamkeit gnadenlos aus. Klug gedacht und hinreißend gespielt ist es aber auch ein Theater der reinen Selbstreferenz.

Amüsant, wenngleich etwas langatmig fiel dann der „European Philosophical Song Contest“ aus, ein live gebotenes Spektakel aus Lausanne von Massimo Furlan und Claire de Ribaupierre mit Beiträgen aus zehn europäischen Ländern. Nach dem Vorbild des Eurovision Song Contest wetteiferten zehn Songs um die Gunst einer vierköpfigen, divers besetzten Jury und des Saalpublikums, moderiert von Furlan und der Tatort-Dortmund-Ermittlerin Anna Schudt.

Thematisch arbeitet sich das internationale Theatertreffen an allen brisanten Themen ab, die derzeit die Debatten beherrschen: Kolonialismus, die Chancen und Risiken künstlicher Intelligenz, die Rechte indigener Völker, Klimawandel und der Zustand unseres Planeten

Die Texte der überwiegend soften Songs stammen von gegenwärtigen europäischen DenkerInnen der Soziologie, Anthropologie, Geschichte, Rechtsphilosophie, Literatur und Philosophie, kreisen um aktuelle Diskurse und sollen vor allem eine Antwort geben auf die Frage: Was soll aus Europa werden?

Neben den mehr oder weniger ansprechenden Songs und dem witzig karikierten Song-Contest-Pathos der Moderationen standen die Diskussionen der Jury, angeführt vom Düsseldorfer Star-Schauspieler André Kaczmarczyk, im Mittelpunkt des Abends. Dabei ging es wenig diskursiv, in teils weitschweifigem „Ich-finde-irgendwie“-Idiom ermüdend politisch korrekt zu. And the winner is: Portugal für einen raunenden öko-utopischen-Song. Na bitte!

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