: Die Künstlerinnen
Wie aus einer Tabakfabrik ein Kulturzentrum und neues Symbol für Sulimaniyah entsteht
Die Journalistinnen aus Sulimaniyah würden während einer gemeinsamen Präsidentschaft der Arbeitslosigkeit im Irak den Kampf ansagen.
Sieben Kinder hatte Bahia Hama Rahman, als ihr Mann starb. Die junge Frau aus der Stadt Sulimaniyah im Nordirak war froh, als sie hörte, dass es in der neuen Tabakfabrik Arbeit gebe. „Ich hatte keine Ausbildung und musste doch meine Kinder ernähren“, sagt die heute 94-Jährige, „als einfache Arbeiterin musste ich den Tabak reinigen und wickeln.“ Sie deutet auf ein vergilbtes Foto, das viele Reihen zeigt, in denen nebeneinander sitzende Frauen offenbar unablässig Zigaretten rollen, jeweils aufmerksam beobachtet von Wachmännern. „Es war hart für uns, wir Frauen erledigten alle schwere Arbeiten, die Männer nur die leichteren.“
Das ist lange her. Heute freut sich die alte Dame, dass die siebzehn Hallen des Werks nicht zerstört wurden sondern etwas Neues in ihnen entsteht – ein Kulturzentrum, das ein künftiges Symbol für die Stadt werden könnte. Ähnlich wie es jahrzehntelang die Tabakfabrik war.
Mit der zwischen 1954 und 1961 errichteten Tabakfabrik begann für die Arbeiterinnen von Sulimaniyah ein neues, anderes Leben. Erstmals beschäftigte ein Unternehmen in der Stadt Frauen, die so ein eigenes Einkommen erwirtschaften konnten. Für sie war es eine neue Erfahrung, mit Männern an einem Ort zu arbeiten, zumal mit fremden Männern. Und sie lernten viel Neues, etwa große Autos und Lastwagen zu fahren.
Im Laufe der Jahre dehnte sich das Werk immer weiter in der Stadt aus. Zuletzt produzierten etwa 2.000 Männer und Frauen Zigaretten mit Sumerischem- und Bagdad-Tabak. Fast die ganze Stadt war direkt oder indirekt abhängig von der Fabrik, die sich auf einer Fläche von rund 12 Hektar oder etwa zwanzig Fußballfeldern ausgebreitet hatte.
2003, nach dem Zusammenbruch des Baath-Regimes unter Saddam Hussein, wurde die Fabrik geschlossen. Es sollten nun keine Industriegebäude mehr innerhalb des Zentrums der Millionenmetropole stehen. Auf dem ehemaligen Werksgelände wollten reiche und einflussreiche Menschen Büros und Hotels bauen.
Doch die Zivilgesellschaft, vor allem Künstler, widersetzte sich hartnäckig, zeitweise besetzten sie einzelne Gebäude. „Sieben Jahre haben wir dafür gekämpft, dass die Fabrik nicht abgerissen sondern erhalten wird – als Erinnerung an die Stadt und die Menschen, die hier gearbeitet haben“, sagt Khabat Marouf, Vorsitzender der Vereinigung für Kultur und Entwicklung, in Sulimaniyah.
Am Ende der jahrelangen Konzeptdiskussionen, Verhandlungen und vielen Aktionen genehmigte die teilautonome Regionalregierung von Irakisch-Kurdistan (KRG) im Jahr 2019 endlich die Umwandlung des alten Werks in ein Kulturzentrum und bewilligte 224 Millionen Euro für die Renovierung. Nachdem der Etat jedoch vorläufig gesperrt wurde, sind Geldgeber aus verschiedenen Ländern, darunter das deutsche Goethe-Institut, eingesprungen.
Doch, auch wenn die Renovierung nun langsamer vorangeht, die Kulturfabrik arbeitet. Fotografen auch aus dem Ausland stellen in einer der ersten renovierten Halle aus, Cartoonisten organisierten Workshops, Filmemacher bereiten Produktionen vor. Kino, Design, Musik, Theater, Galerie – alle Kunstsparten sind vertreten. Auf einer ganzen Etage können junge Künstler*innen gestalten, was und wie sie wollen.
Eines der wichtigsten Projekte widmet sich der Gleichberechtigung der Geschlechter. „Wir streben Gleichberechtigung in allen Bereichen der Kulturfabrik an, auch außerhalb“, sagt Vian Faraj, die Chefin des Gender-Equality-Projekts.
Es funktioniert, meint Kunststudentin Tara Abdullah, die seit fünf Jahren in der Fabrik an ihren Projekten arbeitet: „Die von Gesellschaft und Religion gesetzten Geschlechtergrenzen sind in der Fabrik nicht sichtbar“, sagt die 21-Jährige, „die Kulturfabrik ist ein Arbeitsraum für junge Menschen, sie hat uns stets geschützt, ohne irgendeinen Druck auszuüben. Hier habe ich alle Freiheiten und kann bequem arbeiten“
Über das neue Leben in der Fabrik freuen sich auch Ältere, so wie die frühere Arbeiterin Bahia Hama Rahman: Sie ist froh, „dass die Fabrik als Monument für Sulimaniyah fortbesteht und junge Leute dort von Kunst und Bildung profitieren können. Für manche kann es auch interessant sein, den Ort zu entdecken, wo einst ihre Mütter schufteten.“
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