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Auf einen Schnelltest mit der 5c

Seit Anfang der Woche gilt die Testpflicht an Berliner Schulen. Über die neuen Vorgaben des Senats sind Eltern und Leh­re­r:in­nen wenig begeistert. Ein Besuch in der Grundschule am Stadtpark Steglitz

Von Ralf Pauli

Wäscheklammer, Schere, Handspiegel. Was bei den Schü­le­r:in­nen der 5c an dem Dienstagvormittag auf den Schreibtischen liegt, hat nichts mit Handwerken zu tun – sondern mit einer umstrittenen Entscheidung des Berliner Senats. Die lautet: Seit Anfang der Woche sind die Schnelltests an Schulen zweimal die Woche Pflicht, auch an den Grundschulen.

Deshalb haben die Fünft­kläss­le­r:in­nen der Grundschule am Stadtpark Steglitz Wäscheklammern, Scheren und kleine Spiegel dabei. Und ihre Klassenleiterin einen Teddybären. „Den hat mir mein Sohn für euch mitgegeben“, sagt Oriane Brinkmann im lichtdurchfluteten Klassenzimmer. An den Tischen vor ihr sitzt je nur ein Kind, die Klassen sind geteilt. Wechselunterricht. „Falls ein Test positiv sein sollte, darf das Kind den Bären umarmen“, sagt Brinkmann und lächelt die Kinder an.

Die Grundschullehrerin macht gute Miene zu dem aus ihrer Sicht bösen Spiel. Denn eines stört die 39-Jährige gewaltig: dass die Tests nicht im geschützten Kreis der Familie gemacht werden dürfen, sondern ausschließlich in der Schule. Vor den Augen der Klassenkamerad:innen. „Ich halte die Tests für sinnvoll und notwendig“, sagt Brinkmann vor Unterrichtsbeginn.

„Aber ich habe den Eindruck, dass bei der Entscheidung niemand über die Gefühle der Kinder nachgedacht hat.“ Angst, Scham. Von Mobbing ganz zu schweigen.

In der fünften Klasse seien die Kinder schon in Dutzenden Chats, sagt Brinkmann. Was dort dann los ist, wenn jemand mit einem positiven Schnelltest rausgefischt wird, will sich die Lehrerin lieber nicht vorstellen. „Ich hoffe sehr, dass heute alle negativ sind“, sagt sie. Auch für Brinkmann ist es das erste Mal, dass sie die Tests beaufsichtigt.

Wie lange geht's noch zur Schule?

Notbremse Am Donnerstag hat auch der Bundesrat der Corona-Notbremse zugestimmt. Damit werden spätestens ab nächster Woche bundesweit einheitliche Inzidenzgrenzwerte gelten. Werden diese in Berlin drei Tage lang überschritten, greift die Bremse. Für den Präsenzunterricht in Schulen beträgt dieser Wert 165. In den letzten Tagen lag Berlin konstant knapp darunter bei rund 150. Es besteht weiter Hoffnung, dass auch nächste Woche Unterricht mit halbierten Klassen stattfinden kann.

Bremst Für Freizeiteinrichtungen, Museen, Theater etc. gilt ein Wert von 100: Die zuletzt geöffneten Museen dürften in Kürze schließen. Gleichzeitig wird auch in Berlin eine Ausgangssperre von 22 bis 5 Uhr gelten. Spannend wird es für Geschäfte jenseits der Grundversorgung: Sie müssen bei einer Inzidenz über 150 schließen. (taz)

Mit der Testpflicht an Schulen wollen die Bundesländer Präsenzunterricht auch bei gestiegenem Infektionsgeschehen ermöglichen. Zwar hat der Bundestag am Mittwoch Schulschließungen ab der Inzidenz 165 beschlossen (was der Bundesrat am Donnerstag abgesegnet hat). Wie jedoch getestet wird, entscheidet jedes Land selbst. Der Berliner Senat hat sich wie die meisten Landesregierungen für Tests unter schulischer Aufsicht entschieden. „Das war der Wunsch aus der Koalition“, betonte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) am Mittwoch im taz-Interview. Ihre erste Entscheidung sei ja gewesen, dass Schü­le­r:in­nen sich zu Hause selbst testen sollten. Doch dann seien Zweifel aufgekommen, ob man den Schü­le­r:in­nen trauen könne.

Tatsächlich hatten die Schulen in Berlin vor den Osterferien damit begonnen, den Schü­le­r:in­nen die Tests schon mit nach Hause zu geben. Ende vergangener Woche dann hieß es: Die Kinder sollen die Tests wieder mitbringen, es muss in der Schule getestet werden. Für ihre Kehrtwende hat Scheeres Kritik einstecken müssen. Von einer „chaotischen und unzumutbaren“ Teststrategie sprach die GEW Berlin. Und El­tern­ver­tre­te­r:in­nen schrieben in einem offenen Brief an Scheeres: Die „jüngsten Entscheidungen“ zur Testpflicht an Schulen hätten das Fass zum Überlaufen gebracht: „Nie zuvor in der Krise haben sich so viele Schulgemeinschaften so entschlossen gegen eine Anweisung gestellt!“, heißt es in dem Brief der Vorsitzenden aller zwölf Bezirkselternausschüsse. Ihre Forderung: Überlasst den Schulen die Entscheidung, wo getestet wird.

Dieser Forderung schließt sich auch Matthias Meyer an, der Schulleiter der Grundschule am Stadtpark Steglitz. „Das Testen gehört nicht in die Schule“, sagt Meyer in seinem Büro. Das habe er auch gegenüber der Schulaufsicht so kommuniziert. „Wir sind keine Mediziner, wir sind Pädagogen“, so Meyer, der die Grundschule am Stadtpark 2013 gegründet hat. Im Übrigen teilten auch viele Eltern die Bedenken, Kinder zusammen in einen Raum zu testen.

Was, wenn ein mit Corona infiziertes Kind bei den gemeinsamen Tests seine Klas­sen­ka­me­ra­d:in­nen ansteckt? Es gebe aber auch Eltern, die das Testen ihrer Kinder grundsätzlich ablehnten. Im Schnitt, sagt Meyer, würden diese Woche wegen der Testpflicht bisher zwei Kinder pro Klasse fehlen. Allerdings habe er erst von 9 der 22 Schulklassen eine Rückmeldung erhalten. Laut Senatsverwaltung hätten diese Woche „nur wenige Schülerinnen und Schüler aufgrund der Testpflicht nicht am Präsenzunterricht teilgenommen“. Konkrete Zahlen konnte ein Sprecher aber nicht mitteilen.

In der geteilten 5c bei Oriane Brinkmann fehlen am Dienstag drei von elf Schüler:innen. Ein Kind gehört zur Risikogruppe und lernt zu Hause. Bei einem anderen lehnen die Eltern anlasslose Schnelltests ab, bei dem dritten ist den Eltern der Pressebesuch nicht recht. Mit den übrig gebliebenen acht führt die Lehrerin nun „Nasenbohrer“-Tests der Firma Roche durch. Hinreichend ausgebildet fühlt sie sich dafür nicht.

„Das Testen gehört nicht in die Schule“

Matthias Meyer, Schulleiter

„Ich bin heute Frau Doktor Brinkmann“, sagt Brinkmann trotzdem und verteilt Nasentupfer, Testkassetten und Testlösung. Die nächsten Schritte nehmen den Großteil der Schulstunde ein: die Packung des Stäbchen aufschneiden, die Testlösung mit den Wäscheklammern vor dem Umfallen sichern, mithilfe des Spiegels das Stäbchen in beide Nasenlöcher einführen. „Auf jeder Seite viermal umdrehen“, erinnert Brinkmann.

Bis alle acht Kinder den Tupfer in die Lösung und die Lösung in die Testkassette bekommen, bricht die zweite Schulstunde an. Bilanz: einmal Nasenbluten, ein paar Kinder mussten niesen. Für die meisten der Zehn- und Elfjährigen sei der Test aber nicht unangenehm, erzählen sie, während sie auf das Testergebnis warten. Einfache Spucktests, wie sie die GEW fordert, kommen an Berliner Schulen bisher nicht zum Einsatz. Gerade für Erst- bis Dritt­kläss­le­r:in­nen seien die Nasenbohrertests zu kompliziert, berichten Eltern und Leh­re­r:in­nen aus anderen Schulen.

Um 10.30 Uhr kontrolliert Oriane Brinkmann die Teststreifen. Alle negativ. „Ich bin erleichtert, klar“, sagt sie. Die Kinder machen inzwischen Brotzeit im Klassenzimmer.

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