Frauenprotest in London: Polizei gegen Trauernde

Eine Mahnwache in London hat einer ermordeten 33-Jährigen gedacht. Dabei kam es zu Rangeleien mit der Polizei.

Eine Reihe PolizeibeamtInnen steht vor einem Meer aus Blumen.Dahinter eine Menschenmenge

Polizei im Südllondoner Park Clapham Common am Samstagabend Foto: Victoria Jones/ AP

LONDON taz | „We aren’t safe in our homes, how can we reclaim these streets?“ stand auf einem Plakat. „Reclaim These Streets“ – holen wir uns die Straßen zurück – sollte das Motto einer Mahnwache im Südllondoner Park Clapham Common am Samstagabend sein, zum Gedenken an die 33-jährige Londonerin Sarah Everard, die am Abend des 3. März durch diesen Park nach Hause ging, zuletzt auf einer nahen vielbefahrenen Straße gesehen wurde und dann verschwand.

Tage später wurde sie tot in einem Wald in Kent gefunden. Ein 49-jähriger Polizeibeamter des diplomatischen Schutzcorps ist inzwischen ihrer Ermordung angeklagt worden; es wird vermutet, er habe die 33-jährige von der Straße weg entführt. Am Dienstag soll er im Londoner Gericht „Old Bailey“ einem Richter vorgeführt werden.

Doch die Mahnwache für Sarah Everard am Samstagabend geriet zur Konfrontation zwischen trauernden Frauen und der Polizei. Dutzende von Po­li­zei­be­am­t*in­nen kesselten Frauen im offenen Orchesterpavillon von Clapham Common ein und nahmen sie fest, begleitet von Rangeleien und Rufen von „Leave them alone!“ (Lasst sie in Ruhe!)

Die Entführung und der Mord haben im Vereinigten Königreich Empörung ausgelöst und eine breite Debatte über Sicherheit von Frauen entfacht. Mahnwachen waren für Samstagabend in vielen Städten geplant, wurden jedoch bis auf zwei von den Ver­an­stal­te­r*in­nen nach erfolglosen Verhandlungen mit der Polizei abgeblasen, unter anderem im London. Die Polizei befand, dass die Veranstaltungen nicht in einer mit den Covid-19-Schutzmaßnahmen vereinbaren Art durchgeführt werden könnten. Die Gruppe Reclaim These Streets gab hingegen an, es sei die Polizei gewesen, welche auf ihre konkreten Vorschläge dazu nicht eingehen wollte.

Strikter Lockdown trotz erfolgreichen Impfprogramms

Englands strikte Lockdown-Regeln erlauben derzeit nur das Treffen zweier Personen aus unterschiedlichen Haushalten unter freiem Himmel. Für illegale Versammlungen von über 30 Personen können von der Polizei Bußgelder in Höhe von bis zu 10 000 Pfund (11 650 Euro) verhängt werden. All dies bleibt in Kraft trotz der Erfolge des britischen Impfprogramms und des starken Rückgangs der Neuinfektionen in den vergangenen Wochen.

So rief Reclaim These Streets stattdessen zu einer Spendenaktion für Frauenorganisationen auf und zu individuellen Mahnwachen vor der eigenen Haustüre. An diesen beteiligten sich auch Premierminister Boris Johnson und seine Verlobte Carrie Symonds. Sie ist selbst Überlebende einer Vergewaltigung durch einen später ertappten Londoner Taxifahrer, der viele andere Frauen zu Opfern gemacht hatte. Johnson twitterte davor, dass er an die Familie und Freunde von Everard denke, und versprach, „alles zu tun, damit die Straßen sicher seien.“ Auch Labour-Oppositionsführer Keir Starmer und seine Frau Victoria Alexander hielten eine Mahnwache vor ihrer Haustür mit Kerze.

Plötzlich räumt die Polizei

Trotzdem begaben sich den ganzen Samstag lang Menschen zum Orchesterpavillon in Clapham Common, um dort friedlich und sozial distanziert Blumen niederzulegen. Auch die Herzogin von Cambridge, Prinzessin Kate, legte am Pavilion Narzissen nieder. Gegen 18 Uhr, der eigentlich vorgesehene Beginn der abgeblasenen Veranstaltung, waren Hunderte von Menschen um den Pavillon versammelt. Als die Sonne unterging, schaltete sich plötzlich die Londoner Polizei ein.

Die Studentin Mya Coco-Bassey schilderte auf Twitter, was vor ihren Augen geschah: „Die Polizei kam und besetzte den Orchesterpavillon und räumte mit Gewalt.“ Sie twitterte dazu #shameonyou – Schande über Euch – was dort als Parole gerufen wurde und was laut Polizei zu vier Festnahmen wegen Verletzung der öffentlichen Ordnung und Corana-Schutzregeln führte. Videos zeigen, wie Personen abgeführt und in einen Polizeitransporter gesetzt wurden. Bei den Festnahmen wurden einige Frauen mit Körpereinsatz auf den Boden gedrückt.

Breite Kritik am Vorgehen der Polizei

Das Vorgehen der Polizei ist auf breite Kritik gestoßen. Londons Bürgermeister Sadiq Khan nannte es „nicht hinnehmbar“, und selbst Innenministerin Priti Patel, die als Scharfmacherin gilt, nannte die Bilder vom Park „erschütternd“ und verlangte eine volle Erklärung von der Londoner Polizei. Gracie Bradle, Vorsitzende der britischen Menschenrechtsorganistion Liberty, stellte dem entgegen, dass Patel eine Sondererlaubnis für diesen Protest hätte erteilen können. Der Vorsitzende der Liberaldemokraten, Ed Davey, forderte sogar den Rücktritt der Londoner Polizeichefin Cressida Dick.

Die Vizechefin der Londoner Polizei, Helen Ball, verteidigte das Vorgehen. Über sechs Stunden hätten Menschen in einer erlaubten Art ihre Anteilnahme gezeigt, dann aber seien am Pavillon Reden gehalten worden, woraufhin sich Menschen eng aneinanderdrängten, was „ein wahres Risiko der leichten Verbreitung von Covid-19 darstellte.“ Die meisten hätten sich ordnungsgemäß zerstreut, eine Minderheit habe aber die Be­am­t*in­nen bedrängt und mit Gegenständen beworfen.

Rangers-Fans durften dicht an dicht feiern

Doch Verständnis für das polizeiliche Eingreifen fehlt nicht zuletzt weil erst vor zehn Tagen Fuß­ball­an­hän­ge­r*in­nen des Glasgower Klubs Rangers F.C. ohne Polizeieingreifen in großen Mengen eng aneinandergereiht den Sieg des Klubs in der schottischen Liga gefeiert hatten. Auch bei den Black Lives Matter Protesten letztes Jahr inmitten der Pandemie hatte sich die Polizei größtenteils zurückgehalten. Nun schritt sie ein – gegen trauernde Frauen nach einem mutmaßlich von einem Polizisten verübten Mord.

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