Brinker verleiht der AfD Flügel

Beim Landesparteitag der Berliner AfD in Brandenburg setzt sich überraschend Kristin Brinker gegen Beatrix von Storch und Georg Pazderski durch. Auch bei anderen Personalentscheidungen rückt die Partei weiter nach rechts

Demo gegen den Parteitag der Berliner AfD in Paaren im Glien Foto: Christoph Soeder/dpa

Von Gareth Joswig

Die stellvertretende Bundesvorsitzende Beatrix von Storch und der Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Georg Pazderski, bekamen am Samstag beim Landesparteitag der AfD Berlin ihre eigene Medizin zu schmecken. Beide kandidierten als Doppelspitze für den Landesvorstand und scheiterten gegen die von rechtsradikalen „Flügel“-Leuten unterstützte Kristin Brinker. Brinker hatte erst vier Tage vor der Wahl ihre Kampfkandidatur bekanntgegeben.

2016 hatten von Storch und Pazderski noch selbst den Lucke-Jünger Günter Brinker – im Übrigen der Ehemann von Kristin Brinker – mit Unterstützung des Flügels wegrechtsgeruckt. Nun bekamen sie am eigenen Leib zu spüren, wie sich das anfühlt.

Vor der Wahl hatten sich die 250 AfD-Delegierten in einer landwirtschaftlichen Nutztierhalle im brandenburgischen Paaren im Glien gegen eine Doppelspitze ausgesprochen – womit Pazderski raus war und nicht mehr für den Vorsitz antrat. Danach scheiterte von Storch in vier äußerst knappen Wahlgängen. In der zweiten Stichwahl hatte sie nur zwei Stimmen weniger als die vom Flügel gepushte Kristin Brinker.

In ihrer Antrittsrede hatte Brinker unter dem Gejohle ihrer Un­ter­stüt­ze­r:in­nen das Versprechen wiederholt, alle ins Boot holen zu wollen. Die 49-Jährige ist finanzpolitische Sprecherin im Berliner Abgeordnetenhaus und gilt eigentlich als liberal-konservativ. Geholfen hat ihr bei der Wahl sicherlich, dass sie im August die linke Bausenatorin Katrin Lompscher mit einer parlamentarischen Anfrage indirekt zum Rücktritt gezwungen hatte.

Bezeichnend für den Triumph des Flügels wiederum war die Wahl von Jeannette Auricht ohne Gegenkandidatin zur Stellvertreterin. Auricht hatte 2016 Höcke zu Wahlkampfveranstaltungen eingeladen und versprach am Samstag in einer deutlich radikaleren Antrittsrede als Brinker: „Wir werden den linken Mist in dieser Stadt von der Straße fegen!“

Man muss im Berliner Landesverband der AfD wohl von einem erneuten Rechtsruck sprechen – auch wenn dies angesichts der Rede von Beatrix von Storch schwer zu glauben war. Die hatte nämlich ihrerseits durchaus in der von ihr gewohnten Radikalität gesprochen („Kulturkampf“, „Gendergaga“, irgendwas mit „Blut“, „linkem Hass“ und „Liebe für Deutschland“). Gleichzeitig ist sie aber ein rotes Tuch für den Flügel, weil sie als Vize des Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen den rechtsextremen Strippenzieher aus Brandenburg, Andreas Kalbitz, mit abgesägt und den Flügel zu seiner, wenn auch nur formell erfolgten, Auflösung gedrängt hat.

Weil Pazderski trotz rassistischer Social-Media-Auftritte und Reden sich vorgeblich immer als gemäßigt, ja sogar regierungsfähig dargestellt hatte und mit einem autoritären Führungsstil gleichzeitig keine Abweichungen von seinem „Berliner Kurs“ erlaubt hatte, hatte Brinker in der Abgeordnetenhausfraktion rebelliert – mit offener Unterstützung der Flügel-Leute. Wie knapp dabei die Machtverhältnisse im Berliner Landesverband sind, hat der hauchdünne Wahlausgang gezeigt.

Dass der Landesverband mit der Wahl des neuen Vorstands keineswegs versöhnt ist, zeigte sich daran, dass Pazderski bereits eine Stunde nach Brinkers Wahl per Statement nachtrat: „Frau Brinker hat in den vergangenen Monaten viel Porzellan zerschlagen und die Partei nachhaltig gespalten“, lässt sich Pazderski zitieren. Nun müsse sie Wunden kitten und „vor allem in kürzester Zeit drei Parteitage“ sowie anstehende Wahlkämpfe organisieren. Es klang nicht so, als wenn sie dabei auf die Hilfe Pazderskis und von Storchs zählen könne.

Tatsächlich dürfte die Aufgabe Brinkers nicht leicht werden: Gegen alle zivilgesellschaftlichen Proteste und Widerstände muss sie innerhalb kürzester Zeit mehrere Parteitage zur Aufstellung für die im September anstehenden Wahlen zum Bundestag und Abgeordnetenhaus organisieren. Der nur von einem Notvorstand geführte Landesverband hatte zuletzt von über 170 Absagen von Veranstaltungsorten gesprochen und war schließlich nach anderthalb Jahren resigniert nach Brandenburg ausgewichen.

„Wir werden den linken Mist von der Straße fegen!“

Jeanette Auricht, AfD

Stress dürfte dabei auch im neuen Vorstand vorprogrammiert sein: Der von dem Brinker-Lager scharf kritisierte alte Schatzmeister Frank-Christian Hansel ist nach einer wiederum hauchdünnen Stichwahl wiedergewählt worden.

Zuvor hatte dessen Gegenspieler, der Brinker-Vertraute Sebastian Maack, als Rechnungsprüfer der Partei unverhohlen Hansels Buchhaltung zerpflückt und ihm die Kompetenz abgesprochen. Die Parteikasse sei nicht revisionssicher, hieß es, zudem fehlten Belege für mittlere fünfstellige Eurobeträge. Entlastet wurde der alte Landesvorstand dennoch. Wegen der Finanzen der Abgeordnetenhausfraktion läuft derzeit sogar ein Rechtsstreit zwischen Brinker und dem Pazderski-Lager, zu dessen engsten Vertrauten auch Hansel zählt. Jetzt müssen Hansel und Brinker eng zusammenarbeiten.

Als zweiter Stellvertreter wurde der ehemalige Sprecher und als eher wirtschaftsliberal geltende Bundestagsabgeordnete Götz Frömming gewählt. Er sprach davon, das Bildungswesen umkrempeln zu wollen, weil „in den Schulen unsere Kinder indoktriniert und vergiftet“ würden. Dritter Stellvertreter wurde Ronald Gläser, ehemaliger Redakteur der neurechten Zeitung Junge Freiheit und Sprecher des Landesverbands. Er wolle künftig mehr mit rechten Bloggern zusammenarbeiten, sagte er. Ebenfalls einen Vorstandssitz errang Karsten Woldeit, innenpolitischer Sprecher der AfD im Abgeordnetenhaus und ehemaliger Berufssoldat.

Eine kleine Überraschung gab es noch bei der Wahl der Beisitzer: Dort wurde Vadim Derksen, der Chef der ebenfalls als radikal geltenden Nachwuchsorganisation Junge Alternative, gewählt. Angetreten war er gegen seinen Vorgänger, den ehemaligen Landesobmann des Flügels und Höcke-Fanboy, Thorsten Weiß. Auf einem geleakten E-Mail-Verteiler des Flügels waren beide zu finden. Ebenso der am Sonntag zum Beisitzer gewählte Gunnar Lindemann, Abgeordneter aus Marzahn-Hellersdorf, der am Freitagabend noch beim Querdenken-Autokorso mitmachte.