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Meuthen nicht in Rente geschickt

Die AfD hat sich auf ihrem Bundesparteitag ein Sozialkonzept gegeben, doch das lässt die meisten Delegierten kalt. Emotional gestritten wird über Parteichef Jörg Meuthen

Laut dem Ordnungsamt der Stadt Kalkar sollen sich die AfD-Delegierten „im Großen und Ganzen“ an die Hygieneauflagen gehalten haben Foto: Wolfgang Rattay/reuters

Aus dem Homeoffice Sabine am Orde

Es ist kurz nach 12 am Sonntagmittag, als Jörg Meuthen noch einmal ans Redepult tritt. Für den AfD-Chef steht viel auf dem Spiel. Im Saal im Wunderland Kalkar am Niederrhein, wo seit Samstagvormittag der AfD-Bundesparteitag unter strengen Hygienemaßnahmen tagt, debattieren die Delegierten einen Antrag, der es in sich hat: Gefordert wird, dass der Parteitag „das spalterische Gebaren“ von Meuthen missbilligt. Kommt dieser Antrag durch, dürfte es eng werden für den Parteichef.

Im Saal entlädt sich eine Spannung, die sich seit Monaten aufgebaut hat. Seit Meuthen gemeinsam mit der Vize Beatrix von Storch den Bundesvorstand der Partei erst dazu drängte, den rechtsextremen „Flügel“ um Björn Höcke und Andreas Kalbitz zur Auflösung zu zwingen. Und dann die Annullierung der Parteimitgliedschaft von Kalbitz durchsetzte. „Sie haben den integrativen Kurs verlassen“, kritisiert Thorsten Weiß, der im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt. „Herr Meuthen, Ihre Zeit in der AfD ist vorbei“, ruft Jürgen Pohl, Bundestagsabgeordneter aus Thüringen. Und Hans-Thomas Tillschneider, Mitglied im Landtag in Sachsen-Anhalt, brüllt: „Wenn das Führung ist, dann sind Sie ein Führer ins Nichts.“

Meuthen kennt all diese Leute genau. Es sind „Flügel“-Männer, die seit Langem gegen ihn mobilmachen und jetzt ihre Chance wittern. Denn Meuthen hatte am Samstag zum Auftakt des Parteitags den Delegierten die Leviten gelesen – und damit für Aufregung gesorgt. Die Zeit, in der man von einem Wahlerfolg zum nächsten eile, sei vorbei, sagte er. Es könne noch alles kaputtgehen. Und schuld daran seien die Provokateure in den eigenen Reihen – darunter die Abgeordneten, die in der vergangenen Woche Gäste in den Bundestag gebracht hatten, die Abgeordnete bedrängten. „Wir werden nicht mehr Erfolg erzielen, in dem wir immer aggressiver, immer derber, immer enthemmter auftreten“, rief Meuthen in den Saal. Er kritisierte das Gerede von einer „Coronadiktatur“, Vergleiche mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 und fehlende Distanz zur sogenannten „Querdenker“-Bewegung. „Das kann und darf so keinesfalls weitergehen“, sagte der Parteichef, sprach von „rumkrakeelen“ und „rumprollen“, von „Kindergarten“ und „Politkasperle“ und forderte stattdessen Disziplin. Der Applaus im Saal war verhalten, doch auch Buhrufe gab es kaum. Fast so, als wäre der Parteitag in einer Schockstarre.

Fraktionschef Alexander Gauland schaute hinter seiner Maske mit dem Hundemuster, das er sonst auf der Krawatte trägt, alles andere als amüsiert. Hat er doch selbst von Coronadiktatur gesprochen. Meuthens Angriff gilt also auch ihm. Später wird Gauland im TV-Interview sagen, Meuthens Rede sei „spalterisch“ und „zu viel Verbeugung vor dem Verfassungsschutz“ gewesen. Die Behörde prüft derzeit, ob die Gesamtpartei als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wird.

Mit seiner Rede hat Meuthen den Anlass dafür gegeben, was am Sonntagvormittag passiert. Zwar liegt der Antrag gegen ihn schon seit Wochen vor. Doch ohne Meuthens Rede am Vortag wäre er chancenlos. Auch weil er von Dabravko Mandic stammt, einem Totalrechtsaußen aus Baden-Württemberg, der unter anderem keinen so richtigen Unterschied zwischen NPD und AfD sehen will und am Samstag auf dem Parteitag den Ausschluss der Presse forderte, weil diese von dort unschöne Bilder liefern könnte. Doch nach Meuthens Rede ist ein guter Teil der Delegierten aufgebracht.

Am Sonntag um kurz nach 12, als Meuthen also noch einmal kurz reden kann, macht der Parteichef einen klugen Move. Er rudert ein bisschen zurück, betont also, dass es auch ehrlich besorgte Leute unter den Querdenkern gebe und dass er durch Disziplin neue Einheit in der AfD schaffen wolle. Und er geht gleichzeitig zum Angriff über. Er sei dafür gewählt, auch fehlerhafte Entwicklungen in der Partei zu benennen, sagt Meuthen. „Wem das nicht gefällt, der möge einen Abwahlantrag stellen.“

Die für solch einen Antrag notwendige Zweidrittelmehrheit ist an diesem Wochenende allerdings nicht in Sicht. Denn eigentlich, das zeigen viele Abstimmungen über die beiden Tage, ist das Verhältnis der beiden Lager fast halbe-halbe, mit leichter Tendenz zugunsten der Meuthianer. Diesen gelingt es am Ende im vierten Anlauf, eine Abstimmung über den Mandic-Antrag doch noch zu verhindern.

Die AfD hat sich auf dem Parteitag ein Sozialpolitisches Programm gegeben, in dessen Kern ein Rentenkonzept steht. Es ist ein mühsam ausgehandelter Kompromiss zwischen den eher Wirtschaftsliberalen um Parteichef Jörg Meuthen und den Völkisch-Nationalen um den Thüringer Björn Höcke .

Die Kernpunkte beim Thema Rente: Nach Vorstellungen der AfD soll der Zeitpunkt des Renteneintritts freigestellt sein. Wer länger arbeitet, bekommt entsprechend mehr Rente. Um Altersarmut zu verhindern, sollen nur 25 Prozent der Altersrente auf die Grundsicherung im Alter an­gerechnet werden. Politiker, ein Teil der Beamten und manche Selbstständige sollen künftig in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen und Eltern für jedes Kind 20.000 Euro an Beiträgen zur Rentenversicherung aus Steuermitteln erstattet bekommen. Die private Altersvorsorge soll zudem flexibler gestaltet und gestärkt werden. Für jedes Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit und Lebensmittelpunkt in Deutschland soll der Staat bis zum 18. Lebensjahr 100 Euro im Monat in „Spardepots“ der Kinder zahlen.

Auch bei den Nachwahlen für drei Posten im Bundesvorstand setzten sich jeweils knapp jene durch, die parteiintern als gemäßigt gelten. Damit hat sich in dem Spitzengremium die Mehrheit weiter zugunsten der Gruppe um Meuthen und von Storch verschoben. Eine der Neuen: die hessische Bundestagsabgeordnete Joana Cotar, die zur Nachfolgerin von Kalbitz gewählt wurde. Der „Flügel“-nahe Maximilian Krah, der im Europaparlament sitzt und unter anderem von Meuthens Co-Chef Tino Chrupalla unterstützt wurde, unterlag.

Jenseits der Debatte über Meuthen geht es auf dem Parteitag eher geschäftsmäßig zu. Recht diszipliniert halten sich die etwa 550 Delegierten, die mit Abstand an Einzeltischen sitzen, an die Hygieneauflagen. Die meisten tragen Masken, knapp ein Zehntel soll Atteste vorgelegt haben, dass dies aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich sei. Die Stadt Kalkar hatte angekündigt, den Parteitag notfalls auch zu beenden, wenn die Auflagen nicht eingehalten werden sollten. Später teilte sie mit, dies sei aber „im Großen und Ganzen“ der Fall. Die Eskalation, die manche auch in der Partei in Sachen Maskenpflicht befürchtet hatten, blieb aus.

Am Samstag haben die Delegierten mit großer Mehrheit einen Leitantrag zur Sozialpolitik verabschiedet, der im Kern ein Rentenkonzept vorsieht (siehe unten). Das sollte eigentlich der Schwerpunkt des Parteitags sein. In Erinnerung aber wird dieser als unvollendeter Aufstand gegen Meuthen bleiben. Bei der Debatte hatten sich übrigens Meuthen-Unterstützer recht schnell an die Saalmikrofone gestellt, damit sie vor dem Ende der Redeliste noch berücksichtigt werden würden. Die „Flügel“-Leute waren eindeutig langsamer. Wäre Kalbitz, der Ex-AfDler und Ex- „Flügel“-Strippenzieher, dabei gewesen, wäre das wohl nicht passiert.