Streit bei Berlins Grünen um Kandidaten: Sorge um urgrüne Werte

Mit Michael Cramer unterstützt ein weiterer grüner Promi die Forderung nach breiter Basisbeteiligung bei der Kandidatenaufstellung.

Ein Mensch hälte eine Stimmkarte auf dem grünen Parteitag in die Luft

Die Zukunft ruft, aber die Basis auch: Wie werden die Grünen ihre Kandidaten küren? Foto: dpa

BERLIN taz | Im grün-internen Streit um die Kandidatenaufstellung für die Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl unterstützt ein weiteres prominentes Parteimitglied die Forderung nach einer Landesmitgliederversammlung statt eines viel kleineren Delegiertenparteitags. „Ja, das ist korrekt“, bestätigte Michael Cramer, lange Zeit die verkehrspolitische Instanz der Berliner Grünen, der taz eine entsprechende Mitteilung der Initiative „Basis ist Boss“, benannt nach einem bei den Grünen gängigen Slogan.

Vor Cramer, der je 15 Jahre dem Europaparlament und dem Abgeordnetenhaus angehörte und zum Beispiel den Mauerradweg in Berlin mitinitiierte, hatten schon Exjustizsenator und Langzeitparlamenmtarier Wolfgang Wieland, Mittes Bezirksbürgermeister Stefan von Dassel und die frühere Grünen-Landesvorsitzende Irma Franke-Dressler die Forderung nach breiter Basisbeteiligung unterzeichnet.

Nach bisherigen Vorstellungen des Landesvorstands sollen am 21. März nicht wie bei früheren Kandidatenwahlen alle Mitglieder des inzwischen 10.000 Köpfe zählenden landesverbands entscheiden können, sondern pandemiebedingt nur eine Delegiertenkonferenz mit 155 Stimmberechtigten.

Dieser Plan stößt bei Mitgliedern auf scharfen Widerspruch. Die Initiative um Parteimitglied Michael Blöcher aus Charlottenburg-Wilmersdorf drängt auf eine Vollversammlung via Computer, deren Ergebnis eine in echt tagende Delegiertenkonferenz offiziell für die Bundeswahlleitung bestätigen könne. Solch ein Modell läuft unter dem Etikett „hybrid“ und ist erst jüngst durch Gesetzesänderungen möglich geworden. Auf diese Weise soll es auch möglich sein, in einem breiten Meinungsbild auch nicht-deutsche und minderjährige Parteimitglieder mitentscheiden zu lassen, wie in der Vergangenheit bei Berlins Grünen üblich.

Die Grünen als Abnickertruppe?

Ein Teil der Kritik entzündet sich daran, dass schon im vergangenen Jahr Berichte erschienen, wonach der Landesvorstand bereits eine Kandidatenliste für die Bundestagswahl zusammen gestellt hat. Bei den Grünen gilt so etwas – anders als bei anderen Parteien – als verpönt und schwer vereinbar mit der Grundidee der Basisbeteiligung. Bei einer reiner Delegiertenkonferenz, so die Mutmaßung, könne der Vorstand seine Vorschlagsliste leichter durchsetzen als bei einer viel schwerer zu kalkulierenden Mitgliederversammlung.

Wolfgang Wieland, Grüne

„Dann fehlt ein Stück Basisdemokratie.“

Für die aussichtsreichen Plätze bis Platz sieben der Liste sind laut taz-Informationen drei der sieben Landesvorstandsmitglieder vorgesehen. Ein Mitglied mit Migrationshintergrund ist nicht dabei. Das hatte bereits den früheren Bundestagsabgeordneten Özcan Mutlu verärgert, der sich im Oktober vergeblich um die Direktkandidatur für die Bundestagwahl im Bezirk Mitte bewarb.

Als Vorbild für einen digitalen Parteitag gelten der CDU-Bundesparteitag Mitte Januar mit rund 1.000 Teilnehmenden und im selben Monat der Landesparteitag der hessischen Grünen, die jüngst als erster Landesverband auf digitale Weise Kandidaten aufgestellt haben.

Der Berlin Landesvorstand mit dem Vorsitzenden Werner Graf, der fürs Abgeordnetenhaus kandidieren möchte, und seiner Co-Chefin Nina Stahr, die in den Bundestag will, verweist darauf, dass man den Parteitag pandemiebedingt schon mehrfach verschoben und nun mit dem Präsenz-Parteitag mit 155 Delegierten die auch technisch sicherste Variante gewählt habe. Zudem wäre laut Graf und Stahr die Landesgeschäftstelle mit dem Aufwand einer digitalen Vollversammlung überlastet.

Die Initiative wiederum verweist darauf, dass der hessische Landesverband mit 8.000 Mitgliedern, von denen 2.000 an der digitalen Versammlung teilnahmen, nicht viel kleiner ist als der Berliner. Zeitdruck gebe es auch nicht – die Kandidaten könne man noch bis Juni aufstellen.

Wolfgang Wieland, wie Michael Cramer ein Urgestein der Berliner Grünen, erinnerte gegenüber der taz daran, es habe früher vier bis fünf Mitgliederversammlungen pro Jahr gegeben. Inzwischen gebe es nur noch eine vor den Wahlen alle vier oder fünf Jahre. Die dürfe nicht auch noch wegfallen, fordert Wieland: „Dann fehlt ein Stück Basisdemokratie.“

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