piwik no script img

„Anthroposophie soll weltoffen und wissenschaftsbasiert sein“

Das Ehepaar Hadewig wollte eigentlich in Rente gehen. Dann haben der ehemalige Waldorflehrer und die frühere Waldorfkindergärtnerin aber einen Kinderbuch- und Spieleladen in Eckernförde aufgemacht

Von Petra Schellen

Mit dem Sofa hat alles angefangen. Geblümt ist es, verschnörkelt, könnte glatt aus dem vorigen Jahrhundert stammen. Tut es aber natürlich nicht. Das Möbelstück stammt aus der Wohnung von Bernd und Susanne Hadewig und steht mitten im Spiele-, Kinder- und Jugendbuchladen „Die neue Spielkiste Eckernförde“. Zusammen mit einem ebenso nostalgischen, ovalen Tisch bildet es die Lese- und Ruheecke, wo Eltern mit Kindern sitzen; Babys können nebenan gewickelt werden. Der Laden ist ein Treffpunkt für Menschen geworden, die gern schmökern, stöbern, es nicht eilig haben.

Überhaupt sieht das Geschäft aus wie ein Kinderzimmer: hagebuttenrot gestrichene Wände, grüne, blaue, gelbe Regale, aus denen Plüschtiere, Puppen, Blechautos, Schubkarren, Teddys hervorlugen. Sortiert, aber nicht ungemütlich ordentlich – eher so, als habe ein Kind noch schnell aufgeräumt, bevor der Fotograf kommt.

Der kommt in Coronazeiten natürlich nicht, aber der virtuelle Rundgang zeigt auch schon ganz gut, wie es zugeht in dem kleinen Laden, der derzeit täglich von zehn bis 13 Uhr geöffnet ist und bestellte Bücher und Spiele an der Ladentür herausgibt, solange der Lockdown nichts anderes erlaubt.

Für die Hadewigs ist es das zweite Berufsleben. Denn obwohl Bernd Hadewig Kaufmannssohn ist und immer von einem eigenen Buchladen träumte, hat er auf Drängen der Familie erst mal Germanistik und Religionswissenschaft studiert und ist von 1978 bis 1984 Waldorflehrer in Rendsburg gewesen. „Dann haben wir mit Freunden in Eckernförde die Waldorfschule und zwei Waldorfkindergärten aufgebaut“, erzählt er. „Dort war ich seit 1984 Schulleiter, Geschäftsführer, Kollege, Mädchen für alles.“

Das Lehren an einer staatlichen Schule sei für ihn nie infrage gekommen. „Ich habe ja 1969 meine Frau kennengelernt, die Waldorf-Kindergärtnerin war, und seitdem war Anthroposophie unser Weg.“

2012 ging Bernd Hadewig in Rente, 2014 seine Frau. Aber noch bevor sie auf den Gedanken kommen konnten, tatenlos herumzusitzen, meldeten ihre Kinder ihnen einen leer stehenden Modeladen im Zentrum Eckernfördes. „Und da ich schon immer einen Buchladen haben wollte und meine Frau einen Spieleladen – und ich außerdem Drachen-Fan bin und die ja auch verkaufen könnte –, haben wir uns entscheiden, einen Laden aufzubauen. Jetzt führen wir ihn seit neun Jahren.“

Es ist ein Mix aus Buch- und Spieleladen geworden, eine Mischung auch aus den Talenten des Ehepaars: Bernd Hadewig erzählt – das rechnet er auch seiner Lehrervergangenheit zu – für sein Leben gern Geschichten, berichtet ausführlich, was in den Büchern steht, kann Eltern, Kinder, Jugendliche begeistern und beraten.

Seine Frau wiederum spielt gern. Und sie führt nicht nur die angebotenen Spiele vor, sondern hat auch die „Puppenbühne Zaubernuss“ gegründet, ein Minitheater für Kinder mit – vor Corona – regelmäßigen Aufführungen nicht nur an­throposophischer Stücke.

Die Anthroposophie sei für sie beide nie ein Dogma gewesen, sagt Bernd Hadewig. „Wir verstehen Anthroposophie als humanistisch und weltoffen“, sagt er. „Während der über 50 Jahre, in denen ich mich damit befasse, waren immer Debatten, kritisches Denken und die wissenschaftliche Forschung entscheidend. Wir kämpfen gegen Rassismus, Antisemitismus und für die Menschenwürde.“

Das gelte auch in Coronazeiten: „Wir haben Freunde, die im anthroposophischen Krankenhaus Berlin-Havelhöhe arbeiten und Coronapatienten sehr liebevoll therapieren“, sagt er. Man versteht: Auf keinen Fall will Hadewig zu den Coronaleugnern unter den Anthroposophen gezählt werden.

Auch in seinem Angebot fährt er nicht eingleisig: Zwar führt die „Neue Spielkiste“ viele Bücher aus anthroposophischen Verlagen und anthroposophisches Spielzeug – das übrigens international so gefragt ist, dass die kleinen Manufakturen hierzulande nicht hinterherkommen und Hadewig oft Monate auf die Lieferung warten muss –, aber er ist zum Beispiel auch Astrid-Lindgren-Fan und fordert zudem manchmal Jugendliche auf, ihm Lieblingsbücher zu nennen. „Als Rentner bin ich da ja nicht immer auf dem Laufenden“, sagt Bernd Hadewig. „Da lasse ich mich eben von den jungen Leuten coachen.“ Vieles davon bestellt er dann, und vieles läuft gut. Abgesehen davon könne er zwar alles – auch die Spiegel-Bestseller – bestellen und binnen eines Tages liefern, „Comics führe ich allerdings nicht“, sagt er. „Da schicke ich die Kunden dann in die beiden anderen Buchläden hier in Eckernförde. Sie machen es umgekehrt genauso.“

Normalerweise läuft das alles gut. Zentral in Eckenfördes Fußgängerzone und Touristenmeile nah beim Hafen gelegen, hat die „Neue Spielkiste“ viel Laufkundschaft. Wegen Corona bleibt die aber seit Monaten aus, und das spüren die Hadewigs. „Wir haben derzeit noch 15 bis 20 Prozent des Vor-Corona-Umsatzes“, sagt er. Vor allem Stammkunden bestellten noch – sei es im Internet, sei es telefonisch – und holen die Ware dann an der Ladentür ab. Und wer nicht kommen kann, dem liefern die Hadewigs sogar bis nach Schleswig.

„Wir sind ja schon in Rente und müssen zum Glück nicht von dem Laden leben“, sagt Bernd Hadewig. Aber später soll seine Tochter mit Familie den Laden übernehmen.

Deshalb haben die Hadewigs kürzlich eine Gutscheinaktion für alle Eckernförder Kaufleute angeregt, tatkräftig unterstützt vom Stadtmarketing. „Das Motto der Aktion: Kauft jetzt Gutscheine bei den Läden, und wenn der Lockdown gelockert ist, könnt ihr sie einlösen“, sagt Hadewig. Zusätzlich habe er Aufrufe auf Facebook und Instagram platziert, und tatsächlich verkaufe er nun täglich Gutscheine. „Das ist Kapital, das uns hilft, die Krise zu überbrücken.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen